Großraumbüro 4 min
Bildrechte: IMAGO / Felix Jason

Erhöht ein toxischer Arbeitsplatz das Depressionsrisiko?

20. März 2024, 12:50 Uhr

Forschende der University of South Australia fanden heraus, dass Depressionssymptome bei Vollzeitarbeitenden um bis zu drei Mal öfter auftauchen, wenn sie für ein Unternehmen arbeiten, dass sich nicht um die mentale Gesundheit seiner Mitarbeiter:innen kümmert. Wie toxisch ein Arbeitsplatz ist, bewertete das Forschungsteam anhand des "psychosocial safety climate", also des psychosozialen Sicherheitsklimas des Unternehmens.

Junge Frau mit Brille und seitlich geflochtenem Zopf lächelt.
Autorinnenfoto von Jennifer Schollbach Bildrechte: goldinefotografie/JenniferSchollbach

Die meisten von uns verbringen rund acht Stunden des Tages am Arbeitsplatz. Arbeit macht also einen ziemlich großen Anteil unseres Lebens aus und hat einen sehr großen Einfluss auf unseren Alltag. Doch in diesem Arbeitsalltag kommt es immer häufiger zu Fehlzeiten, sie haben in den letzten Jahren stetig zugenommen.

Ein Mann hält sich gramgebeugt die Hand an den Kopf
Bildrechte: colourbox.com

Laut DAK-Gesundheitsreport 2019 ließen sich ca. 15 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage auf psychische Erkrankungen zurückführen. Seit dem Jahr 2000 hat sich der Anteil dieser Erkrankungen fast verdreifacht. Hinzukommt, dass im Vergleich zu körperlichen Erkrankungen psychische Erkrankungen überdurchschnittlich lange Fehlzeiten mit sich bringen – nämlich 33,7 Tage. Im Vergleich dazu fehlen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Herz-Kreislauferkrankungen nur 21,8 Tage. Einen Zusammenhang zwischen Depressionen und dem Arbeitsplatz hatte die Wissenschaft laut Deutscher Depressionshilfe bisher nicht feststellen können. Sie beruft sich dabei auf eine prospektive Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. Darin kamen die Forschenden zu dem Schluss, dass die Arbeit nur einen geringen oder sogar fehlenden Einfluss auf das Auftreten von Depressionen hat.

Die Australier sehen das anders

Eine neue Studie der University of South Australia (UniSa) widerspricht dem. Die Forschenden fanden heraus, dass schlechte Managementpraktiken ein erhöhtes Risiko dafür bergen, Depressionssymptome zu entwickeln. Die Studie wurde vom Psychological Safety Climate Observatory (PSC) der UniSA geleitet. Dabei handelt es sich nach Angaben der Uni um die weltweit erste Plattform, die sich gezielt mit der Erforschung psychischer Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz beschäftigt.

Dr. Amy Zadow, Hauptautorin der Studie, sagt, eine schlechte mentale Gesundheit am Arbeitsplatz sei auf schlechte Managementpraktiken, Prioritätensetzung und Werte zurückzuführen. Diese schlagen sich dann in hohen Arbeitsanforderungen und geringen Ressourcen nieder.

Es ist erwiesen, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht für harte Arbeit belohnen oder anerkennen, unangemessene Anforderungen an die Arbeitnehmer stellen und ihnen keine Autonomie gewähren, ihre Mitarbeiter einem viel größeren Risiko für Depressionen aussetzen.

Dr. Amy Zadow, University of South Australia

Der Studie zufolge ist dieses Risiko bei Vollzeitbeschäftigten, die in Unternehmen arbeiten, die die mentale Gesundheit ihrer Beschäftigten nicht priorisieren, drei Mal höher.

Arbeitsumfeld rückt in den Fokus

Schätzungsweise 300 Millionen Menschen sind weltweit von Depressionen betroffen. Und obwohl Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, scheint diese Zahl nicht zu sinken. Da ist es naheliegend, dass der Fokus nun auf schlechte Arbeitsbedingungen bzw. ein schlecht funktionierendes Arbeitsumfeld rückt, das zu diesem Problem beitragen kann.

Den australischen Forschenden zufolge fällt auch auf, dass sich auch Burnout und Mobbing darauf zurückführen lassen können, dass Unternehmen es versäumen, die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern. Ein niedriger PSK-Wert ist da ein wichtiger Prädikator.

Der PSK-Wert zeigt an, welche Qualität das psychosoziale Sicherheitsklima innerhalb eines Unternehmens hat. Dabei werden Managementpraktiken, Kommunikations- und Beteiligungssystem mit einberechnet, die die psychische Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten schützen.

Versäumen es Unternehmen zum Beispiel, sich mit Mitarbeiter:innen und Gewerkschaften über Fragen der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz auszutauschen, oder sie bei der Stressprävention zu unterstützen, hat das ganz klar Einfluss auf den PSK-Wert, sagt Prof. Maureen Dollard. Sie ist eine international anerkannte Expertin auf dem Gebiet psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz und die Direktorin des PSC Observatory.

Arbeitsumfeld kann Mobbing und Burnout fördern

In einer früheren Arbeit stellte sie fest, welchen Einfluss der PSK- Wert eines Unternehmens auf das Auftreten von Mobbing und Burnout am Arbeitsplatz hat und wie sich dieses auf die mentale Gesundheit von Beschäftigten niederschlägt.

Wir fanden heraus, dass Mobbing in einer Abteilung nicht nur das Opfer negativ beeinflussen kann, sondern auch den Täter und die Teammitglieder, die Zeugen dieses Verhaltens sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass alle in der gleichen Abteilung als Folge davon ein Burnout erleben.

Prof. Maureen Dollard, University of South Australia

Doch wie beeinflusst das Arbeitsumfeld das Auftreten von Mobbing genau? Stress kann ein Auslöser sein. Im schlimmsten Fall könne das sogar dazu führen, dass für die Teammitglieder ein "akzeptables Niveau" dieses Verhaltens festgelegt wird. Sprich, der Umgangston wird rauer und niemand wundert sich mehr darüber. Dabei könnte von Unternehmensseite her sogar im Vorfeld darauf eingewirkt werden, ob sich eine "Mobbing- und Burnout-Atmosphäre" am Arbeitsplatz breit macht oder nicht.

Vor allem aber lässt sich Mobbing durch das Engagement eines Unternehmens für die psychische Gesundheit vorhersagen, so dass es verhindert werden kann.

Prof. Maureen Dollard, University of South Australia

Angesichts dieser Erkenntnisse und der globalen Kosten, die Mobbing und Burnouts verursachen, sollten Unternehmen ein größeres Augenmerk auf das Arbeitsumfeld und die mentale Gesundheit ihrer Beschäftigten legen.

Die Deutsche Depressionshilfe beziffert die jährlichen Kosten, die der deutschen Volkswirtschaft durch depressive Erkrankungen entstehen übrigens mit 15,5 bis 21,9 Milliarden Euro. Das wären immerhin 0,88 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung.

Depressive Symptome und Depressionen sind ein Unterschied

Ein tolles, entspanntes Arbeitsumfeld und Depressionen haben keine Chance? Ganz so einfach ist es leider nicht, denn es gibt einen großen Unterschied zwischen Depressionen und depressiven Symptomen, sagt Prof. Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe. Für ihn ist natürlich klar, dass ein unangenehmes Arbeitsumfeld, in dem man sich überfordert fühlt, wo es Mobbing gibt, zu viel Druck gemacht wird und in dem die Vorgesetzen mit ihren Mitarbeiter:innen rücksichtlos umgehen, die Lebensqualität massiv beeinflusst. Das sei völlig unbestritten.

Was das Problem ist, ist die naive Vorstellung, dass Stress und Ärger automatisch zu depressiven Erkrankungen führen. Eine depressive Stimmung, sich gestresst fühlen, das kann auch eine ganz gesunde menschliche Reaktion auf schwierige Lebensumstände sein, und nicht Ausdruck einer Erkrankung. Leider wird das oft vermengt.

Prof. Ulrich Hegerl, Deutsche Depressionshilfe

Ihm fehlen in der australischen Studie strukturierte diagnostische Interviews. Auch habe sich die Hypothese der Autoren, dass eine lange Arbeitszeit mit vermehrten depressiven Symptomen in Beziehung stehe, so nicht bestätigt. Zudem erstreckt sich die Studie über einen relativ kurzen Zeitraum von zwölf Monaten. Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie hingegen hat eine stringente prospektive Studie über zehn Jahre hinweg durchgeführt. Darin wurden sorgfältig Daten zu den Arbeitsplatzbedingungen und der Arbeitsplatzzufriedenheit erfasst. Anschließend wurde geschaut, ob das Erkrankungsrisiko in den folgenden zehn Jahren beeinflusst wurde. Das Ergebnis war: Nein.

Das entscheidende ist die Veranlagung. Wenn man die Veranlagung zu einer Depression hat, rutschen die Betroffenen immer wieder hinein, auch wenn die Bedingungen günstig sind. Hat man die Veranlagung nicht, erträgt man auch üble Arbeitsbedingungen ohne deswegen an einer Depression zu erkranken. Für andere Erkrankungen wie etwa Blutdruckstörungen mag das dennoch sehr abträglich sein.

Prof. Ulrich Hegerl, Deutsche Depressionshilfe

Hat man die Veranlagung zur Depression können negative Erlebnisse, wie etwa dauerhafter Stress oder Mobbing am Arbeitsplatz, manchmal einen Rückfall oder eine Verschlechterung der Erkrankung bewirken. Der Arbeitsplatz ist aber, auch nach der klinischen Erfahrung Hergerls, in der Regel nicht die Hauptursache für die Depression. Die Versuchung, diese Kausalität herzustellen, ist aber groß, da sich alle depressiv Erkrankten immer auch durch die Arbeit überfordert fühlen.

Anders sieht das Denise Dörfel, Arbeitspsychologin an der TU Dresden. Die genetische Veranlagung spiele eine große Rolle, sagt sie, aber das sei ihr zu kurzsichtig: "Es gibt, glaube ich, ganz wenige Personen, die keinerlei Veranlagung für Depressionen mitbringen. Und es gibt andere sehr, sehr gute Studien, Metaanalysen, die eindeutig gezeigt haben, dass schlechte Arbeitsbedingungen, depressive Erkrankungen und hier sogar von Ärzten diagnostiziert, mit bedingen können, dass das Risiko steigt, eine depressive Erkrankung zu bekommen, wenn die Arbeitsbedingungen schlecht ausgeprägt sind."

Unternehmem können trotzdem etwas tun

Laut Professor Hegerl sind die Möglichkeiten durch Arbeitsplatzinterventionen eine Primärprävention gegen Depressionen zu etablieren sehr gering. Das heißt aber nicht, dass Unternehmen untätig sein müssen, denn ein gesundes und wohlwollendes Arbeitsumfeld ist für die Lebensqualität und gesundheitliche Aspekte entscheidend.

Bezüglich Depression ist das Wichtigste, für eine Atmosphäre im Unternehmen und die Handlungskompetenz von Personalverantwortlichen zu sorgen, die dazu führen, dass depressiv Erkrankte Mitarbeiter möglichst rasch in eine  professionelle Behandlung kommen. So können viel Leid und Kosten durch Absentismus und Präsentismus vermieden werden.

Prof. Ulrich Hegerl, Deutsche Depressionshilfe

Hegerl wünscht sich, dass Personalverantwortliche wissen, wie sie etwa mit einem Menschen sprechen, der plötzlich weinend vor seinem Laptop sitzt. Wie führe ich so ein Gespräch, was kann ich dem Mitarbeiter raten, wohin er sich für Diagnostik und Behandlung wenden kann, was kann ich im Unternehmen unterstützendes tun? Dazu muss Basiswissen vorhanden sein. Im Umgang mit depressiv Erkrankten habe sich in den letzten 40 Jahrzehnten einiges gebessert. Die Zahl der Depressionsdiagnosen habe sich vervielfacht, was aber nicht Ausdruck einer Zunahme der Depressionshäufigkeit sei, sondern der Tatsache, dass sich mehr Betroffene Hilfe holen und Depressionen von Ärzten häufiger erkannt und richtig benannt werden. Dies sei also eine erfreuliche Entwicklung, die auch eine naheliegende Erklärung dafür sei, dass in dem gleichen Zeitraum die Zahl der Suizide von 18.000 auf 9.000 zurückgegangen sei. Die große Mehrheit davon ist Folge von meist nicht optimal behandelten Depressionen und anderen psychiatrischen Erkrankungen. Diese Zahl ist laut Hegerl trotz der Verbesserung noch immer erschreckend.

Das müssen Sie sich vorstellen, das ist jedes Jahr eine Kleinstadt, die durch Suizid verschwindet.

Prof. Ulrich Hegerl, Deutsche Depressionshilfe

Es gibt ganz klar noch sehr viel zu tun, um Menschen mit Depressionen zu helfen. Und auch wenn ein angenehmer Arbeitsplatz nicht wesentlich dazu beiträgt, das Risiko zu senken an einer Depression zu erkranken, einen Mehrwert für unsere Lebensqualität und unsere Gesundheit hat er dennoch. Vor allem wenn wir daran denken, dass wir ziemlich viel Lebenszeit dort verbringen.

Hilfsnagebote zur Suizidprävention In Deutschland gibt es 104 Telefonseelsorgestellen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit anonym Beratung am Telefon anbieten. Unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222 kann kostenlos angerufen werden.

Unter der Rufnummer 0800-111 0 333 finden sich bundesweit Beratungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, überwiegend vom Deutschen Kinderschutzbund.

Informationen über Selbsthilfegruppen erhält man über die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) unter der Rufnummer: 030 / 89 140 19.

In jeder Gemeinde gibt es Sozialpsychiatrische Dienste, die Menschen in psychischen Krisen und bei psychiatrischer Erkrankung Beratung bieten und weitere Hilfen vermitteln. Meistens sind die Sozialpsychiatrischen Dienste bei den Gesundheitsämtern angesiedelt. In jedem Fall erfährt man die Adresse und Telefonnummer des nächsten Dienstes über die Gemeindeämter.

Für Kinder, Jugendliche und Eltern gibt es bei akuten Krisen Hilfe über Beratungsstellen der Jugendämter, Erziehungsberatungsstellen und Ehe-, Familien-, Lebensberatungsstellen in den Gemeinden.

Der Beratungsführer online von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e.V. (DAJEB) listet mit einem guten Suchsystem unter www.dajeb.de ca. 12.000 Beratungsangebote auf.

Jede psychiatrische Klinik bietet stationäre Hilfe für Menschen, die einen stationären Hilferahmen benötigen. Nach einem Suizidversuch ist ohnehin immer die nächste Rettungsstation eines Krankenhauses aufzusuchen. Rettungsdienst über Notfallnummer rufen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS)

Das könnte sie auch interessieren:

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/b48f3c14-21f8-4c9e-b360-04ac6cc2ca39 was not found on this server.