Packung Ozempic, Antidiabetikum zur Gewichtskontrolle 4 min
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"Ozempic Babies" Abnehmspritze: Frauen berichten über ungeplante Schwangerschaften

17. Juli 2024, 15:56 Uhr

Im Internet berichten Frauen über unerwartete Schwangerschaften als Nebenwirkung einer Therapie mit Semaglutid-Medikamenten wie der "Abnehmspritze" Ozempic. Ein Fruchtbarkeitswundermittel sind die Präparate nicht, aber es gibt zwei Zusammenhänge, die das Phänomen teilweise erklären können. Für die Entwicklung des ungeborenen Kindes selbst ist Semaglutid vermutlich sehr schädlich.

Junge Frau schaut frontal in die Kamera.
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Medikamente wie Ozempic und Wegovy sind aktuell als "Abnehmspritzen" populär und werden unter anderem in der Adipositastherapie verwendet. Seit einigen Monaten gibt es Berichte von Frauen in den sozialen Medien, die behaupten, während der Nutzung von diesen Medikamenten unerwartet schwanger geworden zu sein. "Ozempic Babies" ist ein Stichwort, das im Netz mitunter für eine Beschreibung dieses Zusammenhanges genutzt wird. Dass ein solcher Zusammenhang tatsächlich existiere, sei aus seiner Sicht denkbar, sagt der Diabetologe und Endokrinologe Karsten Müssig. Man müsse die geschilderten Fälle aktuell ernst nehmen.

Adipositas beeinflusst Hormonfunktionen negativ

Ein Fruchtbarkeits-Wundermittel sind Ozempic und Co. aber eigentlich nicht. Die geschilderten Schwangerschaften dürften eher indirekt auf das Medikament zurückzuführen sein. Zum einen ist es so, dass viele stark übergewichtige Frauen einen veränderten Zyklus haben, also gar nicht ohne Weiteres schwanger werden können, selbst wenn sie es sich wünschen. "Das hängt damit zusammen, dass die Adipositas sich auf sehr viele Hormonfunktionen negativ auswirkt", erklärt Prof. Dr. Müssig (Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Diabetologie am Franziskus-Hospital Harderberg der Niels-Stensen-Kliniken).

Gerade das viszerale Fettgewebe (innerhalb der Bauchhöhle) spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, weil es Hormone und Botenstoffe freisetzt. Auch Hormone wie Östrogen werden zum Teil im Fettgewebe gebildet. Ein Teil davon wird in männliche Geschlechtshormone umgewandelt, zuständig dafür ist die Hirnanhangdrüse. Bei zu viel Fettgewebe kann diese allerdings in ihrer Funktion gestört werden – der Hormonhaushalt gerät durcheinander. Häufig findet der weibliche Zyklus dann nicht mehr regelmäßig statt, was auch eine Schwangerschaft dann von vorneherein ausschließt.

Bei einer Gewichtsabnahme normalisiert sich der Zyklus meist schnell

Bei einer Gewichtsabnahme, beispielsweise durch Ozempic, reduziert sich das viszerale Fettgewebe häufig, das bedeutet, der weibliche Zyklus kann sich wieder normalisieren. Bereits ein geringer Gewichtsverlust sei in diesem Zusammenhang häufig ausreichend, sagt Karsten Müssig. "Das sind etwa fünf bis zehn Prozent des Ausgangsgewichtes, bis es zu einer Normalisierung der Hormonfunktion kommt." Das bedeutet auch, dass die entsprechenden Frauen nun wieder schwanger werden können – und das dürfte zumindest für einen Teil der "Ozempic-Babies" verantwortlich sein.

Es könnte allerdings auch noch eine weitere Wechselwirkung existieren, die mit den Schwangerschaften in Zusammenhang steht: Während der Wirkstoff Semaglutid, der in vielen Abnehmspritzen enthalten ist, laut Herstellerangaben keine Wechselwirkungen mit hormoneller Verhütung wie der Anti-Babypille hat, steht er aber dennoch häufig im Zusammenhang mit Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt. "Unwohlsein, Erbrechen, vielleicht auch Durchfall – das sind Situationen, in denen wir wissen, dass die Aufnahme von Medikamenten herabgesetzt sein kann, das betrifft auch die Pille", betont der Endokrinologe Karsten Müssig.

Laut einem Bericht im Magazin "nature" gab es beim Zulassungsverfahren für eines der neuen Abnehmmedikamente mit dem Semaglutid-ähnlichen Wirkstoff Tirzepatid bereits Untersuchungen, die zeigten, dass die Wirkung der Antibabypille beeinträchtigt werden kann. So stellte sich heraus, dass die maximale Konzentration des Verhütungsmittels im Blut nach einer Einzeldosis um bis zu 66 Prozent reduziert war. Orale Kontrazeptiva seien konzentrationsabhängig, sagt Jessica Skelley, Pharmakologin an der Samford University in Birmingham, Alabama. "Wenn nicht genug davon im Körper vorhanden ist, können sie keinen wirksamen empfängnisverhütenden Nutzen haben."

Tierversuche legen embryotoxische Wirkung nahe

Auch Frauen, die keinen Kinderwunsch haben, könnten in einem solche Szenario während einer Ozempic-Therapie schwanger werden. Für den Verlauf einer solche Schwangerschaft gibt es noch keine wissenschaftlichen Studien. Die Erkenntnisse, die es bisher auf diesem Gebiet gibt, stammen aus Tierversuchen und sie legen nahe, dass Semaglutid-Medikamente embryotoxisch wirken, also das ungeborene Leben schwer schädigen können. Karsten Müssig betont, bestenfalls sollte eine Semaglutid-Therapie bereits mindestens zwei Monate vor Beginn einer Schwangerschaft beendet sein, da der Wirkstoff eine lange Halbwertszeit habe und andernfalls noch Reste im Körper vorhanden sein könnten. Sollte es den Ozempic-Babysegen also tatsächlich so geben, wie diverse Berichte in den Sozialen Medien nahelegen, wäre das für die entstehenden Babies selbst auch mit potenziellen Gefahren verbunden.

Wie verbreitet ist das Phänomen?

Wie verbreitet das Phänomen "Ozempic Babies" nun tatsächlich zahlenmäßig ist, lässt sich schwer abschätzen. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat die Hersteller jetzt dazu aufgefordert, die entsprechenden Zusammenhänge zu untersuchen. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hingegen schreibt auf Anfrage, es seien keine Fälle von unerwarteten Schwangerschaften unter Semaglutid-Medikation bekannt. Karsten Müssig betont, das könne aber auch teilweise damit zusammenhängen, dass man aufgrund der Studiendesigns wissenschaftlicher Untersuchungen auf diesem Gebiet auch gar keine Zusammenhänge hätte feststellen können, Schwangerschaft oder auch nur ein Schwangerschaftswunsch sei immer ein Ausschlusskriterium gewesen. Die entsprechenden Frauen wurden also bereits vor Beginn der Studien ausgesiebt.

"Für uns hat das Thema eine sehr große Bedeutung, einfach mit dem Hintergrund, dass Semaglutid ja eine recht neue Substanzklasse ist, über die man noch bedingt viel weiß", sagt Endokrinologe Müssig. Man müsse alle Nebenwirkungen und Komplikationen, die in diesem Zusammenhang nun eine Rolle spielen, wahrnehmen und versuchen, die Betroffenen zu schützen, damit es nicht im schlimmsten Fall zu Fruchtschädigungen komme. "Wir als Ärzte sind da schon alarmiert und schenken dem große Aufmerksamkeit".

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 08. Juli 2024 | 09:52 Uhr

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