Fröhlicher Junge mit Kopfhörern
Himmlische Ruhe im Kinderzimmer. Aber in welcher Lautstärke hört das Kind gerade Musik oder ein Hörspiel? Bildrechte: IMAGO/YAY Images

Tag gegen den Lärm Psst! Hören Kinder heute schlechter?

04. Juni 2024, 13:59 Uhr

Hören Kinder und Jugendliche heute schlechter als früher? Zu den klassischen Lärmquellen wie im Straßenverkehr, in Schulklassen, auf Schulhöfen, in Sporthallen und Clubs haben sich weitere etabliert: Audiosysteme, mit denen Filme, Videospiele und Musik in Kinolautstärke daheim konsumiert werden können. Und nicht zuletzt über transportable Boxen und allgegenwärtige Kopfhörer. Wann wir besser hinhören sollen, wenn es um das Gehör der Kinder geht, verrät ein Experte.

Wer mit Kindern oder Jugendlichen im Haushalt lebt, oder vielleicht auch nur Tür an Tür in der Nachbarwohnung, der sehnt sich manchmal vielleicht nach Ruhe. Doch wenn es dann mal verdächtig ruhig ist im Zimmer, sollten wir vermutlich besser hinhören. Oder einfach mal nachgucken, in welcher Lautstärke sich der Nachwuchs gerade was auf die Ohren gibt, egal ob Musik, Actiongame, Podcast oder Hörspiel. Ab wann wird der freiwillige Geräusch-Konsum gefährlich fürs Gehör?

Ein Junge mit Smartphone und Kopfhörern
Wie laut ist der Klangteppich, den sich der Junge grade auf die Ohren lädt? Bildrechte: imago images/Westend61

Das lässt sich nicht eindeutig sagen, sagt der bayerische Landesgeschäftsführer des Verbands der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte Dr. Bernhard Junge-Hülsing: "Denken Sie mal an die Stahlarbeiter, der eine hat nach zehn Jahren einen Hörschaden, der andere sein Lebtag nicht. Wo man wirklich hinschauen sollte, das sind die Ballerspiele. Wenn die mit Kopfhörern gespielt werden, stößt dieser Krach auf das ungeschützte Ohr." Schießlärm ist Impulslärm, also kein anhaltender Geräuschteppich wie das Rauschen des Straßenverkehrs, sondern das sind einzelne Schallwellen, die dann ungeschützt ins Gehör dringen.

Richtlinien für die Menge, quasi die Dauer an Lärm, die ein Gehör problemlos verkraftet, gibt es nicht, sagt Dr. Junge-Hülsing. Aber ein, zwei Stellschrauben gibt es ihm zufolge dennoch, an denen Eltern drehen können, wenn es um den Schutz des Gehörs geht. Zum einen natürlich die Dauer, die Kinder und Jugendliche unter Kopfhörern verbringen; zum anderen, wie nahe sie die Lärmquelle an deren Gehör lassen: "Je größer der Abstand zum Gehör, desto besser", rät der Mediziner: "Wenn Kopfhörer, dann keine In-Ear-Plugs, denn die sind nur zwei Zentimeter weg vom Gehör."

Junge Frau stößt einen gequälten Schrei aus. Schrift: Ist es zu laut bei uns? 45 min
Ist es zu laut bei uns? Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Aber was macht der kontinuierliche Klangteppich, der ihren Alltag begleitet, mit Kindern und Jugendlichen: angefangen vom Geratter der Straßenbahn, dem Krach im Schulbus, dem Getöse der Autos über den Krach im Schulhaus, Klassenzimmer oder Pausenhof, in Turnhallen, in Clubs oder dem Gaming-Lärm, bis hin zur Fahrstuhlmusik, Werbedurchsagen beim Einkaufen, dem Radio im Auto, der Musik und dem Hörspiel über Kopfhörer?

Eine Jugendliche mit Ohrhörern beim Tagebuchschreiben
Schick und praktisch, aber fürs Ohr gefährlich, weil die Lärmquelle noch näher dran ist am Ohr. Bildrechte: imago images/Westend61

Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass das Gehör sich irgendwann geschädigt "bedankt" und als Folge also, dass unsere Kinder und Jugendlichen schlechter hören? "In der täglichen Praxis bestätigt sich das nicht", sagt Dr. Bernhard Junge-Hülsing. Die Rechnung kommt später, permanente Beschallung erhöht nämlich das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt und Co, führt der Mediziner aus. Vermutlich keine Argumente, die bei Jugendlichen in der Pubertät verfangen. "Da hilft es dann eher, zeitweise das W-Lan ausschalten oder die Geräte zu entziehen," bestätigt der Mediziner.

Einschulungsuntersuchung
Bei regelmäßigen Kinder-Untersuchungen und bei der Einschulungsuntersuchung wird getestet, ob Kinder gut hören. Bei Jugendlichen gibt es das nicht mehr. Bildrechte: imago/JOKER

Aber manchen jungen Menschen kann man ja auch mit Wissen überzeugen. Was ist mit aussagekräftigen Studien zu Hörschäden bei Jugendlichen durch Lärm? Was weiß die Wissenschaft in Deutschland über die Entwicklung von Hörschäden von Kindern und Jugendlichen? Bis zur sogenannten U-10 werden Kinder auf ihre körperliche Entwicklung hin schließlich regelmäßig gecheckt, dazu zählt jeweils auch ein Hörtest. Aber danach, woher könnten dann noch Daten kommen? "Bei der abschließenden Jugenduntersuchung gibt es keinen Hörtest", bestätigt Dr. Junge-Hülsing, hier entsteht also kein Überblick darüber, wie gut oder schlecht Jugendliche hören. Kein Wunder, denn Hörschäden, die durch Lärmeinwirkung verursacht werden, entstehen meist über einen längeren Zeitraum.

Studie Ohrkan: Freizeitlärm in der Jugend birgt Risiko für späteren Hörverlust

Das Langzeitforschungsprojekt Ohrkan des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Universität Regensburg hat versucht, die Hörfähigkeit von Jugendlichen über mehrere Jahre hinweg zu untersuchen. Dabei wurden dieselben 2.148 Schülerinnen und Schülern über mehrere Jahre getestet und befragt, die zwischen 2009 und 2011 die Klasse 9 einer beliebigen Schulform in einer deutschen Stadt besuchten. Erfasst wurde einerseits der Freizeitlärm, dem Jugendliche ausgesetzt sind, zum Beispiel dem Lärmpegel in Turnhallen, Sportstadien, Clubs. Und es wurden die selbst berichteten "Lärmzeiten" der Jugendlichen erfasst, ihre Angaben wie laut sie Musik auf tragbaren Musikabspielgeräten benutzten. Daraus wurde ein durchschnittlicher Schallpegel abgeschätzt und errechnet, und mit den Richtwerten aus dem Arbeitsschutz abgeglichen.

73 Prozent der Jugendlichen sind regelmäßig gefährlichem Lärmpegel ausgesetzt

Die bisher ausgewerteten Daten zeigten: Etwa ein Viertel aller befragten Jugendlichen setzte der Studie zufolge ihr Abspielgerät so laut und so häufig ein, dass anhand dessen, was man aus dem Arbeitsschutz zur Schäden durch Lärm weiß, langfristig ein erhöhtes Risiko für einen dauerhaften Hörverlustes entsteht. Bis zu 73 Prozent der Jugendlichen überschritten demnach bei einer gemittelten 40-Stunden-Woche den Lärmpegel von 85 dB(A), der auch laut Arbeitsschutz als potentiell risikoreich gilt. 85 Dezibel? Das ist vergleichbar mit dem Lärm eines vorüberfahrenden ICEs.

Wer ist besonders von Freizeitlärm gefährdet?

Außerdem zeigte die Studie: Die Lärmbelastung und die Bedeutung der verschiedenen Freizeitaktivitäten ändert sich, je älter die Kinder waren. Besonders stark gefährdet, viel Freizeitlärm und Lärm über tragbare Abspielgeräte ausgesetzt zu sein, sind der Studie zufolge drei Gruppen von Kindern: Kinder aus Familien mit niedrigerem Bildungsniveau, Kinder mit einem alleinerziehenden Elternteil sowie Jungen.

Die letzte Befragung der Ohrkan-Sudie fand im Sommer 2021 statt und ist noch nicht fertig ausgewertet. Spannend an der Stelle dürfte die Entwicklung des Freizeitlärms sein, da durch die Einschränkungen in der Pandemie viele Lärmquellen wegfielen, wie Konzerte, Sportevents etc.

WHO warnt: Weltweit riskiert eine Milliarde Menschen ihr Gehör

Auch wenn es hierzulande offenbar keine großen Datensammlungen über das Hörvermögen von Jugendlichen gibt: Dass es höchste Zeit ist, genauer hinzuhören, zeigte der Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO Anfang März: Demnach riskieren mehr als eine Milliarde Menschen zwischen 12 bis 35 Jahren ihr Gehör weil sie zu lange und zu lauter Musik und anderen Freizeitgeräuschen ausgesetzt sind. Dr. Bente Mikkelsen, WHO-Direktorin für die Abteilung für nichtübertragbare Krankheiten benennt die Haupt-Risikofaktoren fürs Ohr: nämlich die Art, wie persönliche Audiogeräte genutzt werden, und Orte wie Nachtclubs, Bars, Konzerte und Sportveranstaltungen mit schädlichen Schallpegeln.

Die WHO empfiehlt deshalb diese Punkte zum Schutz des Gehörs: Bei Veranstaltungen einen maximalen durchschnittlichen Schallpegel von 100 Dezibel, die Live-Überwachung und Aufzeichnung des Schallpegels mit kalibrierter Ausrüstung durch speziell geschultes Personal, eine Optimierung der Akustik von Veranstaltungsorten und ihren Beschallungsanlagen, Bereitstellung von persönlichem Gehörschutz für das Publikum, inklusive Anweisungen zur Verwendung und Zugang zu Ruhezonen, sowie entsprechende Schulungen und Informationen für das Personal.

Links/Studien

Eine Zusammenfassung Ohrkan-Studie aus Bayern finden Sie in diesem PDF. Die WHO Empfehlungen zum Schutz des Gehörs auf Veranstaltungen finden Sie hier.

(lfw)

Lärm Schule 3 min
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