Ein Mann reibt Creme auf sein Gesicht
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Impfstoffe Impfen mit Creme statt Spritze: Forschung macht große Fortschritte

11. Dezember 2024, 17:05 Uhr

Wissenschaftler der Stanford University haben ein Bakterium, das beim Menschen massenhaft Haut und Schleimhäute besiedelt, in einen Impfstoff umgewandelt, der Krankheitserreger fernhält. Bei Mäusen funktioniert das schon sehr gut. Die Forscher sind optimistisch, dass es auch beim Menschen klappen wird.

Mann mit Brille und Kopfhörern vor einem Mikrofon
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Die Vorteile eines Impfstoffs, der mit einer Creme auf die Haut aufgetragen wird, gegenüber einem, der gespritzt werden muss, liegen aus medizinischer Sicht auf der Hand. Zum Ersten gäbe es weniger Leute, die sich vor der Impfung fürchten. Zum Zweiten käme es nicht zu unmittelbaren Reaktionen, die sich durch den Einstich ergeben können, wie Schmerzen, Schwellungen, Rötungen oder gar Infektionen. Und zum Dritten könnte man mit einer Creme einige Erreger schon dort aufhalten, wo sie in den Körper gelangen, zum Beispiel an der Nasenschleimhaut, während ein gespritzter Impfstoff die Infektion nicht verhindert, sondern nur ihre Folgen bekämpft.

"Ich habe noch niemanden gefunden, dem die Idee nicht gefällt, dass man eine Spritze durch eine Creme ersetzen kann", sagt Michael Fischbach, Professor für Bioengineering an der Stanford University (Kalifornien, USA). Gemeinsam mit seinem Forschungsteam ist Fischbach auf dem Weg zu solchen Creme-Impfstoffen nun einen sehr großen Schritt weitergekommen. Und zwar mit Hilfe einer Bakterienart, die auf unserer Haut und den Schleimhäuten allgegenwärtig ist: Staphylococcus epidermidis. "Diese Bakterien befinden sich auf jedem Haarfollikel von praktisch jedem Menschen auf der Erde", so Fischbach. Immunologen hätten hautbesiedelnde Bakterien bislang vielleicht etwas vernachlässigt, meint der Professor, "weil sie nicht viel zu unserem Wohlbefinden beizutragen scheinen. Wir haben einfach angenommen, dass dort nicht viel los ist."

Immunsystem bildet reichlich Antikörper

Dass dort "nicht viel los ist", hat sich spätestens jetzt als falsch erwiesen. In den letzten Jahren haben Fischbach und seine Kollegen herausgefunden, dass das Immunsystem viel aggressiver gegen Staphylococcus epidermidis vorgeht als angenommen. In ihrer neuen Studie konzentrierten sie sich auf einen Schlüsselaspekt der Immunantwort: die Produktion von Antikörpern. Zuerst fanden sie heraus, dass das Immunsystem von Mäusen (deren Haut normalerweise nicht von Staphylococcus epidermidis besiedelt ist) eine Antikörperreaktion auf diesen Mikroorganismus auslöst, wenn er dort auftaucht. Dazu wurden die Bakterien mit einem Tupfer über das Fell der Mäuse gerieben, die Mäuse wurden also nicht einmal rasiert, um die Haut freizulegen.

Biotechnoligisches Labor. Maus für Versuchszwecke
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Die Antikörperreaktion war "ein Schocker", so Fischbach. "Die Antikörperspiegel stiegen langsam an, dann etwas mehr – und dann noch mehr." Nach sechs Wochen hatten sie eine höhere Konzentration erreicht, als man bei einer normalen Impfung erwarten würde – und sie blieben auf diesem Niveau. "Es ist so, als ob die Mäuse geimpft worden wären", sagt Fischbach. Ihre Antikörperreaktion war genauso stark und spezifisch, als ob sie auf einen Krankheitserreger reagiert hätten.

Und das Gleiche scheint, wie Blutuntersuchungen im Zuge der Studie ergaben, auch beim Menschen aufzutreten, was zunächst etwas rätselhaft erscheint: "Unsere heftige Immunreaktion auf diese Bakterien, die sich auf der anderen Seite der wichtigen antimikrobiellen Barriere aufhalten, die wir unsere Haut nennen, scheint keinen Zweck zu haben", so Michael Fischbach. Aber natürlich hat sie doch einen Zweck. Die Antikörper stehen beim Menschen gewissermaßen schon Gewehr bei Fuß, um sofort da zu sein, wenn die Barriere namens Haut irgendwann Schaden erleidet. "Sie sind die Art und Weise, wie das Immunsystem uns vor den unvermeidlichen Schnitten, Kratzern, Schürfwunden und Schrammen schützt, die wir uns in unserem täglichen Leben zuziehen", sagt der Professor.

Entwicklung eines "lebenden" Impfstoffs

Schritt für Schritt verwandelte Fischbachs Team dann Staphylococcus epidermidis in einen lebenden, sofort einsatzbereiten Impfstoff, der örtlich angewendet werden kann. Die Forschungsgruppe fand heraus, dass der Teil des Bakteriums, der am meisten für die Auslösung einer starken Immunantwort verantwortlich ist, ein Protein namens Aap ist. Aap führte nicht nur zu einem sprunghaften Anstieg der Antikörper im Blut, die Immunologen als IgG bezeichnen, sondern auch zu einem sprunghaften Anstieg anderer Antikörper, die als IgA bezeichnet werden und sich in den Schleimhäuten unserer Nasenlöcher und Lungen ansiedeln. "Atemwegserreger, die für Erkältung, Grippe und Covid-19 verantwortlich sind, neigen dazu, durch die Nasenlöcher in unseren Körper zu gelangen", erklärt Professor Fischbach. "Normale Impfstoffe können dies nicht verhindern. Sie wirken erst, wenn der Erreger ins Blut gelangt ist." Da wäre es doch viel besser zu verhindern, dass der Erreger überhaupt erst ins Blut gelangt.

Nachdem Aap also als Hauptziel der Antikörper identifiziert wurde, gingen die Wissenschaftler noch einen Schritt weiter und machten Staphylococcus epidermidis zum scheinbaren Krankheitsträger. Das Bakterium wurde in einem Gen so verändert, dass es ein Fragment des Tetanustoxins präsentiert, also jenes Giftstoffs (auch als Tetanospasmin bekannt), der Wundstarrkrampf auslöst. Eine Hälfte der Mäuse bekam diese veränderten Bakterien mit Tetanustoxin-Fragment aufs Fell gestrichen, die andere Hälfte bekam normale, unveränderte Bakterien – all das in mehreren Anwendungen über sechs Wochen hinweg.

Die Ergebnisse waren an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. Die Mäuse, die mit biotechnisch veränderten S. epidermidis behandelt wurden, entwickelten extrem hohe Mengen an Antikörpern gegen Tetanustoxin, die anderen nicht. Als die Forscher den Mäusen dann tödliche Dosen von Tetanustoxin injizierten (bei Mäusen genügen umgerechnet 0,1 Nanogramm je Kilogramm Körpergewicht, bei Menschen sind es etwa 2,5), starben alle Mäuse, denen unveränderte S. epidermidis verabreicht wurden. Aber die Mäuse, die die modifizierte Version erhalten hatten, blieben nicht nur am Leben, sondern auch völlig symptomfrei.

Labormäuse spielen mit Reagenzgläsern 14 min
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In einem ähnlichen Experiment, bei dem die Forscher das Gen für Diphtherietoxin anstelle des Gens für Tetanustoxin einfügten, führte ebenfalls zu massiven Antikörperkonzentrationen gegen das Diphtherietoxin. Außerdem fanden die Forscher heraus, dass sie bei Mäusen auch nach nur zwei oder drei Anwendungen noch lebensrettende Antikörperreaktionen erzielen konnten.

Die Forscher prüften daraufhin noch eine weitere Variante, erzeugten das Tetanus-Toxin-Fragment in einem Bioreaktor und hefteten es dann chemisch an Aap an, so dass es an der Oberfläche von S. epidermidis sichtbar wurde. Zu Fischbachs Überraschung stellte sich heraus, dass dies eine überraschend starke Antikörperreaktion auslöste. Ursprünglich hatte Fischbach angenommen, dass die Menge des an der Oberfläche gestapelten Toxins mit jeder Teilung der Bakterien immer mehr verdünnt würde, was die Immunreaktion allmählich abschwächen würde. Doch genau das Gegenteil trat ein. Die lokale Anwendung dieses modifizierten Bakteriums erzeugte genügend Antikörper, um Mäuse vor einer sechsfachen tödlichen Dosis von Tetanustoxin zu schützen.

Ergebnisse übertragbar auf den Menschen?

Nun ist das Bakterium Staphylococcus epidermidis normalerweise bei Mäusen nicht vorhanden, bei Menschen hingegen schon, sogar reichlich. Um sich der Frage anzunähern, ob die Methode auch bei Menschen funktionieren würde, besiedelten die Forscher schon sehr junge Mäuse mit Staphylococcus epidermidis. Es zeigte sich, dass die vorherige Anwesenheit der Bakterien die spätere Fähigkeit, eine starke Antikörperreaktion hervorzurufen, nicht beeinträchtigte. Dies bedeutet laut Michael Fischbach, dass die nahezu 100-prozentige Hautbesiedlung beim Menschen kein Problem für die Verwendung des Konstrukts darstellen sollte.

"Wir wissen, dass es bei Mäusen funktioniert", sagt Fischbach. "Als Nächstes müssen wir zeigen, dass es bei Affen funktioniert. Genau das werden wir tun." Wenn alles gut läuft, rechne er damit, dass dieser Impfansatz in zwei oder drei Jahren in die klinische Erprobung geht. "Wir glauben, dass dies für Viren, Bakterien, Pilze und einzellige Parasiten funktionieren wird", so Fischbach und verweist nochmal auf die wahrscheinlich ausbleibenden Impfreaktionen bei dieser Art von Impfung. "Die meisten Impfstoffe enthalten Inhaltsstoffe, die eine Entzündungsreaktion auslösen und dafür sorgen, dass man sich ein wenig krank fühlt. Bei diesen Bazillen ist das nicht der Fall. Wir gehen davon aus, dass bei ihnen überhaupt keine Entzündungen auftreten werden."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 17. November 2024 | 18:04 Uhr

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