Durchbruch in der Sexualforschung 3D-Analyse: Menschliche Spermien schwimmen wie Otter
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03. August 2020, 09:14 Uhr
Wie sich Sperma fortbewegt, weiß man seit über 350 Jahren. Doch Forscher haben herausgefunden, dass das Bild des schlängelnden Aals falsch ist. Mit einem 3D-Mikroskop und Mathematik haben sie bewiesen, dass sich der Samen ganz anders bewegt. Das könnte bei der Behandlung von männlicher Unfruchbarkeit behilflich sein.
Erinnern Sie sich noch an den Sexualkunde-Unterricht? Der wortwörtliche Höhepunkt mancher pubertierender Jugendlicher. Der Körper von Frau und Mann wurde vorgestellt, Kondome über Bananen gestülpt und das männliche Sperma wird erklärt. Besonders die weißen Köpfchen mit ihren dünnen Kaulquappen-Schwänzchen in Groß zu sehen, war für viele bestimmt unterhaltsam. Illustrationen und Videos mit gleichmäßig schlängelnden Bewegungen zeigten die Fortbewegung der einzelnen Spermien. Ein Bild, dass sich einbrennt. Doch es ist falsch!
Wie ein Aal im Wasser?
Ein Forscherteam der Universität in Bristol, im südwestlichem England, und der autonomen nationalen Universität von Mexiko hat herausgefunden, wie sich Sperma wirklich bewegt. Denn statt mit dem Schwanz hin- und herzuschlängeln, drehen sich die Spermien um die eigene Achse. Die Forscher wählen als Vergleich die Bewegung eines Otters oder eines Korkenziehers.
Doch wie hat sich das ursprüngliche Bild der schwimmenden Spermien überhaupt entwickelt? Im 17. Jahrhundert legte der niederländische Naturforscher Antonie van Leeuwenhoek Sperma unter ein Mikroskop – absolute Hightech der damaligen Zeit, gerade erst entwickelt. Van Leeuwenhoek beschrieb was er sah wie einen Aal, der sich schlangenartig durchs Wasser bewegt. Beim Schwimmen peitscht er das Wasser mit seinem Schwanz. Diese Vorstellung sollte mehr als 350 Jahre Bestand haben.
Von der Illusion zur Realität
Forscher van Leeuwenhoek trifft dabei keine Schuld, dass wir so lange ein falsches Bild hatten. Er hat seine Beobachtung passend beschrieben. Mit einem zweidimensionalen Mikroskop wird einem die Illusion dieser Bewegung vorgegaukelt. Das Fatale daran ist nicht nur, dass sie falsch ist:
Bei mehr als der Hälfte der durch männliche Faktoren verursachten Unfruchtbarkeit ist das Verständnis des menschlichen Spermienschwanzes von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung zukünftiger Diagnosewerkzeuge zur Identifizierung ungesunder Spermien.
Das heißt: Männliche Unfruchtbarkeit könnte besser behandelt werden, wenn man die Fortbewegung des Spermas richtig verstehen würde. In den meisten Kliniken und Forschungseinrichtungen werden zweidimensionale Computeranalysen zur Samen-Analyse verwendet. Diese sind anfällig für Fehlinterpretationen. Mit einer 3D-Analyse würde dies anders aussehen. Und genau das haben Dr. Hermes Gadelha, (Universität Bristol), Dr. Alberto Darszon sowie Dr. Gabriel Corkidi (Universidad Nacional Autonoma de Mexico) gemacht.
Ihr Ergebnis: Der Samen dreht sich wie ein Otter
Bei ihrer Untersuchung stellte sich heraus, dass sich der Samen nicht wie ein Aal im Wasser bewegt. Der Schwanz wackelt zwar, doch statt einer symmetrischen Schwimmbewegung, schlägt der Schwanz einseitig aus. Das Problem: Der Samen würde sich einfach nur im Kreis drehen. Eine Eizelle könnte er nie erreichen und befruchten:
Die Spermien haben eine Schwimmtechnik entwickelt, um ihre Einseitigkeit auszugleichen, und somit ein mathematisches Rätsel im mikroskopischen Maßstab genial gelöst, indem sie Symmetrie aus Asymmetrie erzeugen.
Laut Gadelha bewegen sich die Spermien wie verspielte Otter, die sich beim Schwimmen rollend fortbewegen. Dadurch gleichen sie ihren einseitigen Schwanzschlag aus und bewegen sich vorwärts. Jedoch ist die otterartige Drehen von menschlichem Sperma komplexer: "Der Spermienkopf dreht sich zur gleichen Zeit, in der sich der Spermienschwanz um die Schwimmrichtung dreht.“
Übrigens: Von der Vorstellung des Wettrennens muss man sich ebenfalls verabschieden. Wie der Leiter für Anatomie am Universitätsklinikum Essen, Gunther Wennemuth, bereits seit 2014 weiß, kooperieren die Spermien miteinander. Mit verschiedenen Schwimmtechniken und im Zusammenschluss sind sie dann doppelt so schnell wie die Einzelkämpfer.
Die Methodik der 3D-Sperma-Forschung
Die Forschenden haben mit der Mathematik und modernster 3D-Mikroskopie eine umfangreiche dreidimensionale Untersuchung gestartet. Eine Highspeed-Kamera hat 55.000 Bilder pro Sekunde aufgenommen, während sie die Spermaproben unter elektrischer Spannung blitzschnell auf und ab bewegen ließen. Das freischwimmende Sperma konnten sie dann mit 3D-Aufnahmen scannen. Somit kann ihre Arbeit bei der Erforschung der männlichen Unfruchtbarkeit behilflich sein.
Zur Studie
Die Studie "How human sperm really swim: New research challenges centuries-old assumption" – zu deutsch "Wie menschliches Sperma wirklich schwimmt: Neue Forschungen stellen die jahrhundertealte Annahme in Frage" – wurde am 31. Juli 2020 in der Zeitschrift Science Advances veröffentlicht.
Falls Sie noch wissen wollen, wie die menschliche Befruchtung funktioniert, können wir Ihnen dieses 360-Grad-Video empfehlen. Doch Obacht: die Bewegung der Spermienschwänze ist hier noch nicht richtig dargestellt – das Video ist von 2017.
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