Ansicht von schräg oben: Männer und Frauen in traditioneller bayerischer Kleidung stoßen mit Maßkrügen voll Bier an.
Harmlose Biergartenkultur oder schon Rauschverhalten? Bildrechte: imago/Pond5

Suchtprävention Alkohol: Gewohnheitstrinkende vertragen mehr – hilft aber nichts

19. Juni 2023, 14:18 Uhr

Es stimmt schon: Menschen, die regelmäßig Alkohol konsumieren, vertragen auch mehr. Problem: Sie trinken auch mehr und überschätzen sich, wie aktuelle Forschung zeigt. Das führt dazu, dass Menschen mit Alkoholmissbrauch unterm Strich vom Trinken stärker beeinträchtigt sind.

Ob nun zwei "Hoibe" (oder auch gleich die ganze Maß) zur Mittagszeit im Biergarten oder das regelmäßig verdiente Abendbrotbier zur Käseschnitte schon ein bedenkliches Trinkverhalten darstellen, ist eine gute Frage und gesellschaftlich betrachtet, je nach Kulturkreis, Ansichtssache. Wahrscheinlich lässt sich die Frage, was einem Alkoholproblem zuzuschreiben ist und was nicht, ohnehin nur höchst individuell beantworten. Und ist immer auch eine Frage danach, welche Begleiterscheinungen damit einhergehen – worüber sich wiederum trefflich fabulieren lässt: Wenn eine Person regelmäßig trinkt, könnte ja der Körper auch an das entsprechende Trinkverhalten gewöhnt sein und den erhöhten Alkoholkonsum ausgleichen. Oder anders gesagt: Menschen, die viel trinken, sind sich ihres Alkoholproblems möglicherweise nicht bewusst – in der Annahme, zu einer Sorte Mensch zu gehören, die eben einfach viel verträgt.

Leicht, schwer, Missbrauch

Falsch ist das nicht. Richtig auch nicht. Wenn es nach Andrea King und ihrem Team geht, lassen sich Alkoholtrinkende in drei grundsätzliche Kategorien einteilen: Leichte soziale Trinkende, starke soziale Trinkende und Menschen mit Alkoholmissbrauchsstörung (AUD). Die Professorin für Psychiatrie und Verhaltensneurowissenschaften an der Universität von Chicago ist Hauptautorin einer aktuellen Studie, die sich mit den Folgeerscheinungen des Trinkverhaltens auseinandersetzt. Die Gruppen unterscheiden sich so: Leichte Trinkende praktizieren kein Rauschverhalten, schwere soziale Trinkende tun das hingegen mehrmals im Monat. Von Menschen mit Alkoholmissbrauchsstörung (AUD) spricht die Studie, wenn an mindestens einem Drittel der Tage im Monat ein Rauschtrinken stattfindet.

In Kings Untersuchung mussten sich Teilnehmende aus allen drei Gruppen – zwischen 21 und 35 Jahren – zu verschiedenen Zeitpunkten nach dem Testtrinken einigen Leistungsaufgaben unterziehen. Zu diesen Tests zählte zum Beispiel eine Aufgabe, die für eine Analyse der Feinmotorik ausschlaggebend ist, aber sonst keinerlei praktischen Nutzen nach sich zieht: Das Einführen eines gerillten Metallstifts in 25 zufällig angeordnete Löcher auf einem Metallbrett. Neben den Tests wurde zu zwei Zeitpunkten gleichzeitig eine Selbsteinschätzung der Teilnehmenden hinsichtlich ihrer Beeinträchtigung gebeten, einmal nach dreißig Minuten und einmal nach drei Stunden.

Das kam dabei raus:

  • Starke soziale Trinkende und Menschen mit AUD gaben an, sich weniger beeinträchtigt zu fühlen als leicht Trinkende
  • insgesamt waren bei den motorischen und kognitiven Tests weniger Beeinträchtigungen festzustellen als bei leicht Trinkenden
  • bei der feinmotorischen Aufgabe zeigte sich nach dreißig Minuten allerdings eine ähnliche Verlangsamung bei allen Gruppen
  • starke soziale Trinkende und Menschen mit AUD erholten sich schneller wieder – die Vermutung liegt demnach nahe, dass sie mehr vertragen, so die Forschenden

Also: Regelmäßiges Trinken erhöht offenbar die Alkoholtoleranz, aber führt kurz nach dem Trinken zu den gleichen motorischen Einschränkungen. Soweit so gut.

So wurde getestet An der Studie nahmen 86 leichte Trinkende, 208 schwere Trinkende und 108 Personen mit Alkoholmissbrauchsstörung (AUD) zwischen 21 und 35 Jahren teil. Vor und in verschiedenen Abständen nach der Einnahme von Alkohol oder Placebo in zwei zufällig angeordneten Laborsitzungen absolvierten die Teilnehmenden einen Test zur feinmotorischen Koordination, einen Test zur wahrnehmungsmotorischen Verarbeitung und eine Selbsteinschätzung der wahrgenommenen Beeinträchtigung. Sechzig Personen mit AUD absolvierten eine dritte Sitzung mit einer sehr hohen Alkoholdosis.

Da gibt es allerdings noch eine Sache: In dem Tests haben alle Gruppen die gleiche Menge an Testalkohol verabreicht bekommen, die in etwa vier bis fünf Getränken entsprach. Allerdings hören Menschen mit AUD oft nicht "schon" bei vier oder fünf Gläsern auf zu trinken, sondern trinken in der Regel sehr intensiv. Die Forschungsgruppe hat also eine separate Sitzung einberufen, in der Menschen mit AUD ein Testgetränk erhielten, das eher ihrem normalen Trinkverhalten entsprach – das sind so sieben bis acht Getränke. Und jetzt kommt's: Bei dieser höheren Alkoholdosis zeigten sie mehr als doppelt so starke geistige und motorische Beeinträchtigungen wie nach dem Konsum der normalen berauschenden Dosis. Außerdem erreichten sie auch nach drei Stunden nicht mehr ihr Ausgangsniveau der Leistungsfähigkeit. Ihr Grad der Beeinträchtigung übertraf dabei sogar den der leicht Trinkenden, die die Standarddosis konsumiert hatten. Das deutet darauf hin, dass sich die körperlichen Auswirkungen des Alkohols summieren, je mehr jemand trinkt, egal ob erfahren oder nicht.

Falsche Sicherheit

Mit diesem Ergebnis hätte auch Andrea Kind nicht gerechnet: "Ich war überrascht, wie stark die Beeinträchtigung in dieser Gruppe bei der höheren Dosis war, denn obwohl sie fünfzig Prozent über der ersten Dosis liegt, ist die Beeinträchtigung mehr als doppelt so hoch." Die These, dass starke soziale Trinkende und Menschen mit AUD empfindlicher auf die genussvolle Wirkung von Alkohol reagieren, der Wunsch nach mehr also stärker ausgeprägt ist, konnten King und Team in weiteren Untersuchungen zeigen. "Sie haben den Wunsch oder das Verlangen, mehr und mehr zu trinken, obwohl es ihnen schadet. Das ist wirklich ein zweischneidiges Schwert."

Kings Forschung ist Teil eines Präventionsprogramms in Chicago. Sie hofft, durch ein differenzierteres Verständnis der Auswirkungen von Rauschzuständen dazu beitragen zu können, mehr Schaden zu verhindern. Diese Hoffnung richtet sich vor allem an stark Trinkende: "Ich hoffe, dass wir Menschen aufklären können, die erfahrene starke Trinker sind und denken, dass sie sich im Griff haben oder dass sie tolerant sind und keine Unfälle oder Verletzungen durch das Trinken erleiden werden." Ihre Erfahrung mit Alkohol reiche nur bis zu einem gewissen Punkt. Exzessive Trinker sind für den größten Teil der alkoholbedingten Unfälle und Verletzungen in der Gesellschaft verantwortlich. Dies sei durch Aufklärung und Behandlung vermeidbar.

flo

Links/Studien

Die Studie Holding your liquor: Comparison of alcohol-induced psychomotor impairment in drinkers with and without alcohol use disorder erschien am 18. Juni 2023 im Fachjournal Alcoholism Clinical and Experimental Research.

DOI: 10.1111/acer.15080

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