Corona-Pandemie Mehr Alkohol im Lockdown?

14. Juni 2021, 20:00 Uhr

Weil Menschen in Notlagen erwiesenermaßen mehr trinken, haben Dresdner Forscher europaweit mit Kollegen den Alkoholkonsum zu Beginn der Corona-Pandemie untersucht - mit einem erstaunlichen Ergebnis.

"Alkohol ist der Sanitäter in der Not" - dieses Lied von Herbert Grönemeyer beschreibt ein Phänomen, das nicht nur im Privaten, sondern auch in Kunst und Kultur immer wieder thematisiert wird. Dieser Mechanismus ist auch medizinisch evident. Forscher sprechen von maladaptiven Bewältigungsstrategien. Um mit psychischen Belastungen klarzukommen, wählen Menschen Strategien, die eigentlich nicht gut für sie sind oder - zugespitzt formuliert - zerstörerisch wirken. Dazu gehören neben Alkohol als Volksdroge Nummer eins auch viele andere Süchte: von Crystal über Spielsucht bis hin zu Ess- und Brechsucht (Bulimie).

Menschen in Notlagen steigern Alkoholkonsum

"Erhöhter Alkoholkonsum wird als maladaptive Strategie zur Bewältigung der psychischen Belastung angesehen und ergibt sich aus einem Zusammenspiel von sozialer Isolation, Unsicherheit und finanziellen Schwierigkeiten.", schreiben die Forscherinnen und Forscher der TU Dresden zusammen mit Kollegen in einer großangelegten europaweiten Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift "Addiction" veröffentlicht worden ist. "Insbesondere und unabhängig vom Einkommensniveau werden Menschen, die eine Notlage erleben, ihren Alkoholkonsum eher erhöhen als solche, die dies nicht tun."

Knapp 32.000 Menschen aus 21 Ländern Europas befragt

Weil die Corona-Pandemie den Alltag der Menschen stark veränderte und sich dies erfahrungsgemäß im Konsum von Alkohol widerspiegelt, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sofort nach Ausbruch der Pandemie im April 2020 begonnen, erste Daten zu erheben. Zusammen mit dem Hospital Clínic Barcelona in Spanien vernetzten sie sich europaweit und befragten schließlich knapp 32.000 Menschen in 21 Ländern Europas.

Fast überall wurde weniger getrunken

Das Ergebnis ist erstaunlich: In den ersten vier Monaten der Pandemie (Ende April bis Ende Juli 2020) tranken die Menschen nicht etwa mehr, sondern weniger Alkohol. In allen Ländern Europas ging der Alkoholkonsum zurück, ausgenommen Großbritannien. In Irland hielten sich Zu- und Abnahme des Alkoholkonsums die Wage.

Also doch kein Frust-Trinken im Lockdown?

Gab es also doch kein Frusttrinken im Lockdown? Erst vor wenigen Wochen hatte ein Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OECD) dargelegt, dass etwa ein Drittel der Deutschen mehr Alkohol als vorher trinkt, ein Fünftel dagegen weniger. Diese Zahlen stützen sich allerdings auf Daten des Bundesfinanzministeriums über die Einnahmen aus Alkoholsteuern.

Weniger Alkoholräusche

Doch wie ist der gesunkene Alkoholkonsum auf einmal zu erklären?  "Der größte Teil des Rückgangs wurde durch die Abnahme der Anzahl von Rauschtrinkepisoden verursacht", erklärte Carolin Kilian, Projektleiterin an der TU Dresden. "Dass in den ersten Monaten der Pandemie viele Trinkgelegenheiten weggefallen sind, hat wohl mit dazu beigetragen, dass viele Menschen in dieser Zeit weniger Alkohol konsumiert haben."

Fußball-Fans schauen in einer Kneipe ein Spiel.
Weniger Gelegenheiten, weniger Rausch: Trotz Stress in der Pandemie wurde nach einer aktuellen Studie weniger getrunken - vermutlich, weil schlichtweg die Anlässe fehlten. Bildrechte: picture alliance/dpa | Caroline Seidel

Weil sich also in Kneipen, Bars oder auch Clubs nicht mehr besinnungslos betrunken werden konnte und somit die Zahl der Alkoholräusche abnahm, verringerte sich der durchschnittliche Alkoholkonsum in der ersten Phase der Pandemie. Die geringere Verfügbarkeit von Alkohol in Kneipen und Co. scheint demnach schwerer zu wiegen als der Konsum durch eine erhöhte Notlage.

Häufigkeit der Anlässe und Mengen abgefragt

Um das Trinkverhalten möglichst umfassend zu bewerten, fragten die Forscherinnen und Forscher in der Online-Umfrage sowohl nach der Häufigkeit von Trinkanlässen, als auch nach der Menge des pro Anlass konsumierten Alkohols. Sie fragten außerdem, ob und wie sich das Rauschtrinken verändert hatt und wie viel vor der Pandemie getrunken wurde. In die Befragung flossen zudem Daten wie das Haushaltsnettoeinkommen und auch eine veränderte ökonomische Situation oder auch finanzielle Schwierigkeiten ein.

Die Rolle von Pandemie-Stress

Einer von fünf Befragten berichtete über ein erhebliches oder hohes Maß an finanzieller Notlage durch die Pandemie, mehr als die Hälfte vermeldeten Sorge und Nöte aufgrund von Veränderungen im Alltag. Hier bestätigte sich die Ausgangsvermutung: Diejenigen, die von einer Notlage berichteten, verringerten ihren Alkoholkonsum zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit als diejenigen ohne Notlage.

Ein Mann sitzt an der Bar.
Finanzielle Sorgen wirkten sich bei Menschen mit hohem Einkommen stärker auf den Alkoholkonsum aus, als bei Menschen mit niedrigem Einkommen. Bildrechte: picture alliance / dpa | Tobias Felber

Wie wirkt sich das Einkommen aus?

Interessant: Befragte mit hohem Einkommen ohne Not verringerten ihren Konsum am stärksten – vermutlich, weil sie schlichtweg weniger ausgehen konnten. Befragte mit hohem Einkommen und finanziellen Notlagen tranken scheinbar einfach zu Hause weiter und 'kompensierten' damit geschlossene Bars und Biergärten. Der Studie zufolge verringerte sich der Konsum bei ihnen weniger stark. Im Gegensatz dazu schien sich der Alkoholkonsum bei Befragten mit niedrigem Einkommen kaum verändert zu haben und unabhängig von finanzieller Notlage zu sein.

Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Personen mit hohem Einkommen Einkommensverluste oder Sorgen um einen unsicheren Arbeitsplatz als größere Bedrohung für ihre aktuelle sozioökonomische Position wahrnehmen.

Carolin Kilian Projektleiterin an der TU Dresden

Ergebnisse pro Land

Die Anzahl der Teilnehmenden pro Land schwankte zwischen 349 in Albanien und 15.686 in Norwegen.  Die größten durchschnittlichen Rückgänge wurden in Albanien, Finnland, Griechenland, Italien, der Slowakei und Spanien festgestellt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass für die Studie tatsächlich nur Daten zu Beginn der Pandemie erhoben worden sind. Wie sich der Konsum im langen Pandemiewinter und mit Fortschreiten der Corona-Schutzmaßnahmen entwickelt hat, muss in weiteren Arbeiten untersucht werden.

Alkohol führt Drogenstatistik an Alkoholkonsum gehört in Europa zu einer anerkannten Kulturtechnik. Vor allem auf Familienfeiern, Konzerten und Partys wird viel getrunken. Die gesellschaftliche Akzeptanz auch starken und stetigen Alkoholkonsums führt dazu, dass Alkoholismus die Drogenstatistik mit großem Abstand anführt, Alkohol gilt als Volksdroge Nummer 1.

Laut OECD-Statistik liegt die Bundesrepublik mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch (ab 15 Jahren) von umgerechnet 12,9 Litern reinen Alkohols in der Spitzengruppe der 37 erfassten Industriestaaten – demnach wird nur in Tschechien (14,4 Liter) und Litauen (13,2 Liter) noch mehr getrunken.

Im Durchschnitt genehmige sich jeder Bundesbürger ab 15 Jahren fünf Liter Bier oder 2,6 Flaschen Wein pro Woche, hieß es. Allerdings ist das vor allem ein Problem von Männern, sie gießen sich im Schnitt dreimal mehr ein als Frauen.

Originalveröffentlichung:

Kilian C, Rehm J, Allebeck P, Braddick F, Gual A, Barták M, Bloomfield K, Gil A, Neufeld M, O'Donnell A, Petruzelka B, Rogalewicz V, Schulte B, Manthey J, and the European Study Group on Alcohol Use and COVID-19 (2021) Alcohol consumption during the COVID-19 pandemic in Europe: a large-scale cross-sectional study in 21 countries. Addiction 116: doi:10.1111/add.15530

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