Kindererziehung Warum Erziehungstipps den Schlaf von Kindern verschlechtern können
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27. Mai 2024, 15:49 Uhr
Schlaf ist wichtig. Daher ist es für viele Eltern zermürbend, wenn ihre Kinder nachts immer wieder wach werden. Und umso größer die Hoffnung, dass man etwas dagegen tun kann. Die Ratschläge dazu sind zahlreich, aber sind sie auch wissenschaftlich korrekt? MDR Wissen hat dazu mit der Schlafforscherin Salome Kurth gesprochen.
Gerade erst hat man selbst in den Schlaf gefunden, schon wird man wieder herausgerissen: Wenn das eigene Kind ständig aufwacht, ist das für die Eltern ein Kraftakt. Auf der Hoffnung, das ändern zu können, baut ein ganzes Geschäft auf: Angepriesen werden Schlaftropfen, spezielle Schlafkissen und Soundmaschinen oder Brei, der besonders sättigend für die Nacht sein soll. Daneben gibt es zahlreiche Ratschläge für frischgebackene Eltern – von Eltern, Bekannten, Freunden, Schlafcoaches und auf Social Media.
Doch sind die auch wissenschaftlich korrekt? Salome Kurth erforscht den Schlaf von Babys und Kleinkindern im Kinderschlaflabor der Schweizer Universitäten Fribourg und Zürich. MDR Wissen hat mit ihr über drei gängige Tipps für besseren Nachtschlaf gesprochen.
Tipp 1: Den Mittagsschlaf weglassen
In der Theorie klingt es einfach: Wenn das Kind mittags nicht schläft, ist es abends müder und schläft besser durch. Nur kommt es dabei stark auf das Alter und die individuelle Entwicklung an, so Salome Kurth. Denn ob ein Kind überhaupt so lange wach bleiben kann, hängt vor allen Dingen von der Gehirnentwicklung ab.
Um diese Entwicklung genauer zu verstehen, hat sie mit ihrem Team anhand von Gehirnwellen den Tagesschlaf von Zwei- bis Fünfjährigen gemessen. "Also wir konnten dann im EEG, also mit den Hirnstromkurven messen, dass so um ein Alter von fünf Jahren herum weniger Tiefschlaf im Mittagsschlaf vorhanden war. Das heißt, da konnte das Gehirn schon besser tolerieren, so lange vorher wach zu sein, während eben im jüngeren Alter bei den Kindern – ein Jahr vorher oder zwei Jahre vorher – vielmehr Tiefschlaf enthalten war. Das ist eigentlich ein Spiegel dafür, wie hoch der Schlafdruck ist und wie viel Schlaf sie brauchen."
Ob das Kind nun wirklich erst mit fünf Jahren keinen Mittagsschlaf mehr braucht, das richtet sich nach dem individuellen Schlafbedürfnis. Und basiert unter anderem darauf, wie schnell das Gehirn die vielen Informationen verarbeiten und das Gelernte festigen kann. "In den ersten Lebensjahren gibt es so viele Veränderungen im Hirn: Man lernt Neues, die Verbindungen werden geknüpft. Später werden sie wieder abgebaut. Es ist eine Phase von extrem vielen Eindrücken und sequenziell reifen das Visuelle System, die Motorik, die Sprache und dann später die höheren kognitiven Funktionen. Das spiegelt sich alles im Schlaf wider."
In den ersten Lebensjahren gibt es viele Veränderungen im Gehirn. Das spiegelt sich alles im Schlaf wider.
Den Mittagsschlaf zu entziehen, kann es Kindern erschweren, Gefühle zu regulieren
Gerade in jungen Jahren hat der Schlaf also eine enorm wichtige Funktion. Ihn absichtlich wegzulassen hat dabei eher den gegenteiligen Effekt: Die vielen Eindrücke können schlechter verarbeitet werden und das kann dazu führen, dass das Kind seine Gefühle schlechter regulieren kann.
Etwas, das bei anhaltendem Schlafmangel vermutlich nicht nur akut, sondern neueren Erkenntnissen zufolge auch Monate und Jahre später der Fall sein kann.
Tipp 2: Das Kind im Elternbett
Es ist eine der emotional aufgeladenen Debatten: Befürworter schwören darauf, so dem Kind Sicherheit für den Schlaf zu geben und eine starke Bindung zu schaffen. Die Gegner behaupten, das Kind wäre eher gefährdet und würde nicht lernen, selbstständig zu schlafen.
Eindeutig pauschal bewerten lässt sich das laut Salome Kurth nicht. Dafür gäbe es zu viele persönliche Faktoren, insbesondere auch, wie die Eltern sich dabei fühlten. Eine Studie mit sechs Monaten alten Babys, die sie und ihr Team gemacht haben, habe zweierlei gezeigt: Zum einen zeigte sich frontal eine Veränderung im Gehirn bei den Babys, wenn die Eltern mit im Raum waren. "Das würden wir so erklären, dass man ja – wenn man im selben Raum schläft – ab und zu etwas hört. Vielleicht merkt man sogar eine Bewegung. Also, da ist eine gewisse sensorische Stimulation da. Das Gehirn spiegelt wider, was es 'lernt'. Da kann man jetzt nicht sagen: Ist das gut oder schlecht?"
Co-Sleeping: Stressempfinden der Eltern beeinflusst das Kind
Zum anderen zeigte sich ein Zusammenhang mit der Ängstlichkeit der Mütter. Auch da "war eine Hirnregion anders ausgeprägt", so Salome Kurth. Und zwar sowohl bei der Mutter als auch dem Kind.
Passend dazu zeigten weitere Studien, dass die Entscheidung für das Co-Sleeping unter anderem zum Beispiel auch dann gefällt wird, wenn elterlicher Stress besteht. Entsprechend wichtig sei es, als Elternteil zwischen den Bedürfnissen abzuwägen und zu überlegen, ob die Entscheidung für oder gegen ein Co-Sleeping zu einem Stressempfinden führt, das dann möglicherweise das Kind beeinflusst.
Tipp 3: Essen vor dem Schlaf
In den Drogerien reihen sich Babybrei-Produkte für den Nachtschlaf, die oft mit dem Label "Besonders sättigend" versehen sind. Um den Zusammenhang zwischen Schlaf und Essen zu verstehen, braucht es zunächst einmal ein Verständnis dafür, wie unser biologischer Rhythmus funktioniert. Etwas, wofür es 2017 den Nobelpreis gab.
Salome Kurth erklärt das so: "Die meisten unserer Körperzellen funktionieren in einem Rhythmus. Sie sind quasi kleine Uhrwerke. Und je synchroner all diese Zell-Uhren eines Organs aufeinander abgestimmt sind, desto synchroner können unsere Organe arbeiten, der ganze Organismus, auch unser Verhalten schlussendlich." Was passiert, wenn sich dieser Rhythmus verschiebt, kennen wir vom Jetlag: Wir sind müde und erschöpft, haben Schlafprobleme, Übelkeit und Kopfschmerzen, sind schlecht gelaunt und können uns nicht gut konzentrieren.
Innere Uhr: Der Darm könnte Rythmusgeber sein
Für Babys gilt das noch nicht: Der Rhythmus ist in den ersten paar Monaten und Jahren noch nicht ganz so gut eingestimmt. In ihrer Forschung konnten Salome Kurth und ihr Team zeigen, dass sich diese Entwicklung auch bei den Darmbakterien zeigt: Kinder mit einem sehr ausgeprägten Mittagsschlaf hatten eine geringere Darmbakterienvielfalt als Kinder, die bereits eine Präferenz zum reinen Nachtschlaf entwickelt hatten.
In weiteren Studien wollen sie nun feststellen, ob man durch Veränderung der Darmbakterien und ihren Rhythmus auch den Schlaf beeinflussen kann. "Wir vermuten, es gibt eine Art Rhythmusgeber, eben auch im Darm, worauf man über die Regelmäßigkeit des Essens Einfluss nehmen kann." Für Eltern heißt das: Vor allem die Regelmäßigkeit des Essens könnte entscheidend sein. Wie sehr auch die Menge und die Art des Essens einen Einfluss hat, wird zukünftige Forschung erst noch zeigen.
Stress der Eltern beeinflusst Schlaf des Kindes
Eines kann die Forschung aber in jedem Fall klar sagen, erklärt Salome Kurth: "Wir sehen in vielen Studien immer wieder, dass elterlicher Stress einen großen Einfluss auf den Schlaf der Kinder hat." Was die vielen Ratschläge, Meinungen und Produkte für Auswirkungen auf die Eltern haben, merkt sie in ihrer Arbeit immer wieder: "Sehr oft kommen die Familien zum Beispiel ins Kinderspital, in die Schlafsprechstunde zu unseren Kollaborationspartnern, weil die Erwartungen der Eltern nicht mit dem Verhalten des Kindes übereinstimmen. Also das heißt: insgesamt gibt es da ein Ungleichgewicht zwischen dem Schlafmuster, das das Kind hat und dem, was die Familie gerne hätte."
Der Stress der Eltern steht mit dem Schlaf der Kinder im Zusammenhang
Letztendlich ist das ein Teufelskreis: Die Eltern suchen nach Möglichkeiten, wie das Kind besser schläft, bekommen dann gut gemeinte Ratschläge, die aber für noch mehr Stress sorgen, weil sie oft nicht funktionieren (können). Und das verschlechtert das Ein- und Durchschlafverhalten des Kindes. Und so ist ironischerweise der beste Tipp für den Schlaf von Kindern, nicht zu viel auf Tipps zu hören.
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