Corona-Aerosole im Klassenzimmer Fenster auf – besser als jeder Luftfilter

24. November 2020, 14:54 Uhr

Fenster auf, Virus raus! Das ist die Empfehlung des Umweltbundesamtes in Dessau-Roßlau. Mobile Luftfilter sind in der Regel nur die zweite Wahl. Auch Forschende aus Hessen können das jetzt bestätigen. Praktisch: Bei kalten Temperaturen reicht auch kurzes Lüften. Luftfiltergeräte hingegen haben mehrere Nachteile.

Ein Lehrer unterrichtet bei geöffnetetn Fenstern und geöffneter Türe vor einer Klasse Corona Schutzmaßnahmen im Unterricht einer Berufsschule
Unterricht bei offenem Fenster: Das ist auch in der kalten Jahreszeit Alltag. Bildrechte: imago images/Mattias Christ

Jetzt ist es soweit: Ganz pünktlich in der Woche vorm ersten Advent werden es die Temperaturen in Mitteldeutschland kaum noch in den zweistelligen Bereich schaffen. Mitleidig richtet sich der Blick auf alle Schulkinder, die in kühldurchlüfteten Klassenzimmern hocken müssen, mit unbefriedigender thermischer Behaglichkeit, wie Leute vom Fach sagen.

Die Alternative sind Luftfiltergeräte. Der Vorteil: Drinnen bleibt's warm und Aerosole haben trotzdem keine Chance. Seit diese Möglichkeit die Runde gemacht hat, wird sie umfassend debattiert: Teure Anschaffung oder doch lieber Stoßlüften? Das wollten auch Forschende an der Technischen Hochschule Mittelhessen wissen.

Stoßlüften: 10- bis 80-fach wirksamer als Luftfilter

Dazu haben sie in einem leeren Klassenzimmer in Wiesbaden Test-Aerosole freigesetzt und durch Ventilatoren verteilt. Der Zerfall der Aerosole wurde dabei durch einen Laserpartikelmonitor registriert. Anschließend wurden verschiedene Lüftungsintervalle durchgeführt, woraufhin eine weitere Messung der Aerosolkonzentration erfolgte. Die zeigte: Durch das Stoßlüften kann ein schnellerer und effektiverer Luftaustausch bewerkstelligt werden als durch Luftfiltergeräte. Die Forschenden haben ermittelt, dass das Öffnen eines Fensters um das zehn- bis achtzigfache wirksamer ist als eine Maschine.

Ein Klassenzimmer mit Tafel und Bänken und einer Art Nebenmaschine, die Nebel versprüht. Dahinter ein Ventilator, im Vordergrund Messegeräte.
Beim Experiment wurden die Versuchs-Aerosole mithilfe von Ventilatoren im Klassenzimmer verteilt. Bildrechte: THM/Hans-Martin Seipp

So konnte durch die Stoßöffnung aller Fenster im Klassenzimmer über einen Zeitraum von drei Minuten und bei Außentemperaturen von sieben bis elf Grad nahezu die gesamte Aerosolkonzentration gesenkt werden – nämlich 99,8 Prozent. Die Maschinen waren weitaus weniger effektiv: Vier Stück haben nach dreißig Minuten Dauerbetrieb die Aerosolkonzetration um "nur" neunzig Prozent reduzieren können.

Stoßlüften bei verschiedenen Temperaturen
17 Grad Außentemperatur Rückgang Aerosolkonzentration
3 Minuten 31 Prozent
5 Minuten 83 Prozent
7-11 Grad Außentemperatur Rückgang Aerosolkonzentration
1 Minute 92 Prozent
2 Minuten über 98 Prozent
3 Minuten 99,4 bis 99,8 Prozent

Die Tabelle zeigt: Das Stoßlüften funktioniert bei kalten Temperaturen sogar besser als bei milden. Nur sind sieben bis elf Grad Außentemperatur eben auch keine wonnige Wohlfühlluft – das Team von der Hochschule Mittelhessen hat sich deshalb auch dem Problem mit der thermischen Behaglichkeit gewidmet und mithilfe von zehn Messstellen im Klassenraum den Temperaturverlauf während des Lüftungsvorgangs protokolliert. Das Ergebnis: Es wird eisig, aber nur ganz kurz. Die Temperatur verliert erst bist zu sechs Grad, stabilisiert sich nach vier bis sieben Minuten dann aber auf einem Niveau, das nur ein Grad kühler als die Ausgangstemperatur ist.

Schüler an der Globus Gesamtschule am Dellplatz sitzen in ihren dicken Winerjacken bei offenem Fenster in ihrem Klassenraum
Unterricht in Duisburg. Aber: Wer richtig lüftet, braucht eigentlich keine Jacken – so die Ergebnisse der Forschenden aus Hessen Bildrechte: imago images/Reichwein
Lärm Schule 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Dass Klassenräume in diesen Zeiten die Kids reihenweise tiefkühlen, ist also nicht der Fall. Dafür bringen die maschinellen Luftreiniger neue Probleme in den Unterricht: Lärmbelästigung – und zwar 54-57 dB(A) bei vier Stück. Das A hinter Dezibel steht für die durch Menschen wahrgenommene Lautstärke. Bei diesem Wert bewegt sich die Lärmlast in einem Bereich der normalen Gesprächslautstärke. In stillen Momenten kann sie die Konzentration stören, bei normalem Klassenzimmergrundrauschen kommt sie noch oben drauf. Den Forschenden zufolge wird dadurch die Sprachverständlichkeit im Unterricht gestört. Ohnehin sei der Lärmgrenzwert für Lüftungsanlagen in Schulen überschritten.

Lärm und hohe Anschaffungskosten

Und noch etwas, dass den Luftreinigern an den Kragen gehen könnte: Wie bei Gerätschaften so üblich, gibt es verschiedene Ausführungen in verschiedenen Preisklassen. Aber erst jene oberhalb der 4.500 Euro seien mit notwendigen Vorfiltern und einem Meldesystem für den Filterwechsel ausgestattet. Unter Umständen könnte bei günstigeren Geräten die Filterleistung mit der Zeit abnehmen.

Die Forschenden unterstreichen damit die Empfehlung des Umweltbundesamtes, lieber das Fenster aufzumachen, statt Maschinen aufzustellen. Nach den Untersuchungen in Wiesbaden sollen nun weitere in einer Schule in Nordrhein-Westfalen folgen.

(flo)

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