Klimawandel Wie schnürt man ein Klimanotstand-Paket? Fünf Fragen an German Zero
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19. September 2023, 16:13 Uhr
Die Klimaschutzorganisation Germanzero hat ein Klima-Notstand-Paket vorgelegt – und greift damit der Politik vor. Was steht da drin? Und was erhofft sich der Verein damit? Fragen wir die Geschäftsführung.
Germanzero will es konkret machen: Die erst 2019 gegründete Klimaschutzorganisation setzt sich dafür ein, dass Deutschland bis 2035 klimaneutral wird und die Pariser Klimaziele erreicht. Dazu hat der Verein bereits 2022 ein Vorschlag für ein 1,5-Grad-Gesetzespaket veröffentlicht, das nach Auffassung von Germanzero alle notwendigen Maßnahmen enthält, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Jetzt legt die Organisation mit einem Klimanotstandpaket nach. Zahnloser Tiger oder gelungene Klimalobby? Fünf Fragen an Geschäftsführer Julian Zuber.
Herr Zuber, wieso schnüren denn Sie ein Klimanotstandspaket, wo das doch eigentlich die Aufgabe der Politik ist?
Zuber: Einfach gesagt: Weil die Zeit drängt. Deutschland befindet sich nach Einschätzung vieler Expert:innen nicht auf dem notwendigen Reduktionspfad, um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Auch die Bundesregierung selbst hat kürzlich erklärt, dass ihre bisher geplanten Maßnahmen nicht ausreichen, um das Reduktionsziel bis 2030 zu erreichen. Was fehlt ist ein Gesamtplan, wie wir in allen Sektoren den Ausstoß von Treibhausgasen so weit senken, dass Deutschland rechtzeitig klimaneutral wird.
Diesen Gesamtplan haben wir bereits 2022 mit einem umfassenden 1,5-Grad-Gesetzespaket veröffentlicht und gezeigt, dass Klimaneutralität bis 2035 möglich ist. Das Klimanotstandspaket umfasst nun die stärksten und damit wichtigsten Maßnahmen aus dem Gesetzespaket und zeigt das konkrete Reduktionspotenzial. Wir brauchen wirksame Maßnahmen wie diese dringend – drei Mal schneller müssen die Emissionen laut Umweltbundesamt ab jetzt sinken, damit die Bundesregierung ihre Reduktionsziele für 2030 schafft. Also liefern wir konkrete Lösungen, die zeigen, dass es möglich ist – und greifen der Politik als Zivilgesellschaft unter die Arme. Klar erfordert eine solche Politik Mut, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen. Zugleich ist die Botschaft, die wir senden wollen: Es ist noch möglich, der Klimakrise durch politisches Handeln zu begegnen.
Okay, Sie sprechen von den "wichtigsten Maßnahmen". Wie kann es denn unwichtige Maßnahmen beim Klimaschutz geben?
Besser trifft es effektivste Maßnahmen – Kernmaßnahmen, die durch ihre starke Wirksamkeit einen erheblichen Anteil daran tragen, die Treibhausgasemissionen zu senken. Es ersetzt unseren Gesamt-Fahrplan zur Klimaneutralität bis 2035 keinesfalls, aber ist die Antwort auf eine Klimapolitik, die schneller und wirksamer agieren muss. Nehmen wir als Beispiel dafür die ÖPNV-Offensive, eine klimapolitische Maßnahme, die das Bundesverkehrsministerium auf den Weg gebracht hat. Das 49-Euro-Ticket war ein Teil davon. Sie spart nach eigenen Angaben 1,55 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bis 2030. Das ist zwar gut, aber aus Klimaschutzsicht ein vergleichsweise geringer Anteil. Allein im Verkehrssektor liegt das Einsparpotenzial einzelner Maßnahmen bei bis zu 347 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Das Klimanotstandspaket bietet auf diese Weise auch eine Vergleichbarkeit, die zeigt, in welchem Maße Klimapolitik jetzt eigentlich wirksam werden muss und auch kann. Das ist insofern wichtig, weil wir in den letzten Monaten immer wieder beobachten, dass sich die Ampelregierung durch Kompromisse im Maßnahmen-Klein-Klein zu verlieren droht – zu Lasten der Klimaziele.
In höchstem Maße effektiv wäre ein beschleunigtes Ende für Verbrenner-Motoren bei neuzugelassen Fahrzeugen
Gut, also effektive Maßnahmen. Welche sind das zum Beispiel?
Einige sind einfacher auf den Weg zu bringen, weil es zum Beispiel keine Förderung braucht, sondern nur gesetzliche Anpassungen. Ein gutes Beispiel zeigt sich bei der Energieversorgung: Um klimaneutral leben und wirtschaften zu können, brauchen wir in Zukunft deutlich mehr Strom. Viele Menschen erzeugen diesen bereits jetzt über private Solaranlagen und in lokalen Energiegemeinschaften. Diese Vor-Ort-Versorgung durch Energiegemeinschaften gesetzlich zu stärken, würde deutliche Effekte auf die Klimabilanz haben und Bürger:innen direkt wirksam an der Energiewende beteiligen. Dafür braucht es in erster Linie eine rasche Entbürokratisierung. In Österreich funktioniert das bereits gut. Eine dezentrale Energieversorgung ist zudem ein wichtiger Baustein, um die Energiewende in der notwendigen Geschwindigkeit umsetzen zu können.
Weniger leicht umzusetzen, aber in höchstem Maße effektiv wäre ein beschleunigtes Ende für Verbrenner-Motoren bei neuzugelassen Fahrzeugen. Würden wir das auf den Weg bringen, könnten die Emissionen im Verkehrssektor allein dadurch um 77 Prozent reduziert werden! Natürlich ist das eine hoch-emotionale Debatte, politisch wie gesellschaftlich. Aber klar wird durch unsere Berechnung: Jedes Jahr, das wir früher auf fossile Mobilität verzichten und auf klimaneutrale Fortbewegung setzen, bedeutet riesige Schritte in Richtung der Klimaziele. Zudem sind die Betriebskosten eines E-Autos mehr als viermal so günstig wie bei einem Verbrenner.
Klingt nach einer einfachen Rechnung: Klimagerechte Mobilität ist günstig, der Klimawandel kostet bei Untätigkeit hingegen eine Stange Geld. Trotzdem: Die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen sind nicht kostenlos. Woher soll das Geld kommen?
Zum Beispiel, indem wir ein Ende fossiler Subventionen einleiten. Pro Jahr entgehen dem deutschen Staatshaushalt bis zu 65 Milliarden Euro durch direkte und indirekte klimaschädliche Subventionen. Verantwortlich dafür sind Fördermaßnahmen wie die Steuerbefreiung von Kerosin, Steuervorteile für Dienstwagen, die Entfernungspauschale oder die Energiesteuerbefreiung von Kohle, Öl und Gas für die Stromerzeugung. Gleichzeitig nimmt ein Abbau dieser Subventionen auch erheblichen Einfluss auf die Klimabilanz: Bis zu hundert Millionen Tonnen CO2-Äquivalente könnten pro Jahr gespart werden. Ohne dass der Staat neues Geld in die Hand nehmen müsste, könnten also kurz- bis mittelfristig neue Haushaltsgelder generiert, Emissionen gesenkt und positive Anreize für neue klimafreundliche Technologien gesetzt werden. Zudem ist ein Ende fossiler Subventionen auch eine sozial gerechte Lösung, denn es sind vor allem Unternehmen und höhere Einkommensklassen, die überproportional von diesen Förderprogrammen profitieren.
Ihre Vorschläge sind konkret, aber letztendlich sind es nur Vorschläge: Bleibt es bei einem hübsch gelayouteten PDF oder was genau passiert damit?
Wir bringen sie in die Politik ein. Das machen wir nicht allein, sondern zusammen mit vielen engagierten Bürger:innen, die bei uns aktiv sind und für ein gutes Klima lobbyieren. Insgesamt sind wir inzwischen über 1200 aktive Ehramtliche in über hundert Orten und in allen Bundesländern. Die Ehrenamtlichen gehen zum Beispiel in ihren Wahlkreisen in Gespräche mit ihren Bundestagsabgeordneten und diskutieren notwendige Maßnahmen. Über konkrete Lösungsangebote wie dem Klimanotstandspaket bringen wir Menschen dazu, möglichst einfach und gemeinsam mit anderen am direkt-demokratischen Diskurs teilzuhaben. Diese Form der Beteiligung halten wir für essenziell, um der gesamt-gesellschaftlichen Aufgabe gerecht zu werden. Zudem gehen wir über digitale Mitmach-Kampagnen aktiv auf zuständige Bundestags-Ausschüsse zu und legen ihnen unser Lösungspaket vor.
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