Illustration in entsättigten roten und grünen Farben. Person schüttet in Sumpflandschaft Wasser aus einem Eimer. Text Das MDR Klima-Update
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MDR KLIMA-UPDATE | 14. Juli 2023 Renaturierungsgesetz: Ist jetzt etwa Ruhe in der grünen Kiste?

Ausgabe #97 vom Freitag, 14. Juli 2023

14. Juli 2023, 11:00 Uhr

Das EU-Renaturierungsgesetz ist erstmal durch, es zählt zu den wichtigsten Naturschutzgesetzen überhaupt. Was heißt das jetzt? Müssen Landwirtinnen und Landwirte um Nutzfläche bangen? Und sind Forschende zufrieden?

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Guten Tag zusammen,

muss Ihnen gestehen, dass ich jetzt den Gartenverein an der Backe habe. Unsere Renaturierungsbestrebungen auf fünfzig Prozent der Fläche des Schrebergartens sind offenbar nicht im Interesse der Vereinssatzung. Oder anders formuliert: Man möge doch bitte bis Anfang August den Rasen mähen. Ein Schlag ins Gesicht der kleinen Lobby-Initiative, die meine Mitgärtnerin und ich da im Sinne derer betreiben, die kreuchen und fleuchen.

Auf einer etwas höher gelegenen politischen Ebene gibt’s für Tierchen und Pflänzchen dafür mehr Erfolgsmeldungen zu verkünden. Welche genau? Nun: Da ich durch eine neue Studie (siehe Meldungsteil) diese Woche gelernt habe, dass sich Klimawissen am besten durch Kunstwerke vermitteln lässt, möchte ich Ihnen das heutige Thema mit meinen Gehversuchen im Bereich der naiven bildenden Kunst nahebringen:

Recht einfache Zeichnung von einer Person auf einem Bagger. die freudig winkt und Bäume vom grünen Land zum grauen Land mit Betonhochhaus befördert.
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Als Entschädigung wartet auf Sie im Schlussteil des Newsletters ein kleines Gimmick. Bis dahin kümmern wir uns um das Renaturierungsgesetz der EU, das es diese Woche durchs EU-Parlament geschafft hat. Es ist nämlich eines der wichtigsten politischen Naturschutzvorhaben überhaupt.


#️⃣ Zahl der Woche:

61.672

… Menschen sind infolge der Hitze des Sommers 2022 in Europa gestorben. Es war der heißeste jemals gemessene. Betroffen seien vor allem Frauen und ältere Menschen gewesen, das geht aus einer aktuellen Studie von Forschenden aus Barcelona hervor. In Deutschland waren es 98 Hitzetote pro Millionen Einwohnende, 8.173 insgesamt.

Die Hintergründe hat Clemens Haug für Sie hier notiert. Und warum Hitze ganze Landstriche unbewohnbar machen könnte, erfahren Sie hier.

Debattieren kommt vor renaturieren

Ich habe diese Woche vielleicht etwas zu viel über den Unterschied zwischen konservativ und konservierend nachgedacht und war bisher eigentlich der Überzeugung, dass das so im grundsätzlichen Sinne ja das Gleiche sein dürfte. Im EU-Parlament haben sich am Mittwoch allerdings 336 Abgeordnete als konservierend erwiesen, 330 als eventuell konservativ. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht konservierend und konservativ zu gleich sein kann. Die europäischen Christdemokraten von der EVP – also der mächtigen konservativen Stimme im EU-Parlament – hatten in den vergangenen Wochen ordentlich gegen das Renaturierungsgesetz Stimmung gemacht. Mehrfach ist es durchgefallen, zuletzt vergangenen Monat im Umweltausschuss – durch eine Blockade der EVP und rechter Parteien und Medienberichten zufolge sogar durch Drohungen, uiuiui. Begleiterscheinung war eine Debatte über Ernährungssicherheit und Existenznöte, aber auch eine über gezielte Fehlinformationen und den großen Einfluss der Agrarverbände.

Das Medienecho der vergangenen Tage und Wochen hat zumindest gezeigt, dass das Vorhaben nicht ganz unwichtig ist und schlussendlich auch jene aus einer misslichen Lage befreit, die so ganz und gar nicht von dem Vorhaben überzeugt sind. 🤨

Also, worum geht es?

Der European Green Deal ist ein Maßnahmenpaket, das den Kontinent bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral machen soll. Das Paket wurde zuerst 2019 von der EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen (EVP/CDU) ins Spiel gebracht. Das Renaturierungsgesetz ist eine der Maßnahmen, gilt aber auch gleichzeitig als eine der wichtigsten.

Okay, worum geht’s aber genau?

Das Gesetzesvorhaben hat zum Ziel, europäische Naturräume wieder weitestgehend so herzurichten, wie sie vor der Einmischung unserer Spezies gewesen sind. Das hat einen Grund: Achtzig Prozent der Naturräume befinden sich laut EU-Umweltagentur in schlechtem Zustand. Das gilt vor allem für Moore, Dünenlandschaften und generell für Böden, von denen sich sechzig Prozent in keinem guten Zustand befinden.

Was soll dagegen helfen?

Mindestens zwanzig Prozent der europäischen Naturräume sollen bis 2030 wiederhergestellt werden. Das kann dann heißen: Mehr Platz für Flüsse und ihre natürlichen Auenlandschaften zu schaffen oder wieder Seegras auf dem Meeresboden anzupflanzen – auch Meeresgebiete sind Naturräume, es geht freilich nicht nur ums Land. Außerdem: "Viele der Wälder sind keine Wälder mehr, sondern Forst oder Plantage. Und das ist keine Natur mehr", betonte Guy Pe’er, Ökologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sowie am iDiv, dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig, diese Woche in einem Pressegespräch. Es geht also um den Erhalt alter oder die Wiederherstellung natürlicher Wälder. Ein weiterer Fokus liegt auf der Wiedervernässung von Moorböden, obwohl sie nur fünf Prozent der Fläche bedecken. Moorböden haben das vor dem Hintergrund der Erderwärmung praktische Talent, beträchtliche Mengen von Kohlenstoff zu speichern.

So, wer kann da was dagegen haben?

Insbesondere diejenigen, für die künftige Naturräume derzeit Nutzfläche sind, also zum Beispiel Landwirtinnen und Landwirte. Deutliche Worte senden also die Bäuerinnen- und Bauernverbände. An deren Seite stehen die Europäische Volkspartei EVP sowie rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien. Einer der Hauptkritikpunkte ist, dass Landwirtinnen und Landwirten unter Umständen nicht nur die Existenzgrundlage entzogen werde, sondern allen Menschen in Europa, Stichwort Lebensmittelsicherheit. Der Deutsche Bauernverband sieht insgesamt mehr als eine Million Hektar landwirtschaftlicher Fläche in ihrer Nutzung bedroht.

Berechtigte Sorgen?

Ungefähr 6.000 Forschende sagen nein und haben ein offenes Faktenpapier unterzeichnet, das wir Ihnen bereits Mitte Juni hier im Klima-Update gezeigt haben – und das ich Ihnen auch gern noch mal als Lektüre zum Thema empfehle. Die Forschenden appellieren darin, wegweisende politische Entscheidungen nicht auf Grundlage von Fehlinformationen zu treffen und entkräften die grundsätzlichen Sorgen von EVP und Landwirtschaftsverbänden. Sie kommen angesichts der Studienlage zu dem Schluss, dass nicht ein Europa mit Renaturierungsgesetz sondern ein Europa ohne Renaturierungsgesetz gleichermaßen die Ernährungssicherheit und die Existenzgrundlage von Bäuerinnen und Bauern gefährde.

Auf einem toten Boden kann man nicht produzieren und die Landwirt*innen wissen das.

Dr. Guy Pe'er Ökologe

Freut sich die Wissenschaft jetzt?

Die Entscheidung des EU-Parlaments für das Gesetz am vergangenen Mittwoch sei eine historische, sagt Guy Pe’er gegenüber dem MDR Klima-Update. "Das Gesetz ist auch international richtungsweisend." Sebastian Lakner, Agrarökonom an der Uni Rostock, bezeichnet die Entscheidung als wichtiges politisches Signal, weil die EU "in der Tendenz grundsätzlich willens ist, den Status der Naturschutzgebiete zu verbessern."

Oha?

Es geht also auch ums Verbessern, denn viele geschützte Flächen haben bereits diesen Status, ohne dass es so richtig jemanden kümmern würde. Und Lakners Lob gilt eben nur der Tendenz, die Europa jetzt einschlägt. Er kritisiert im Gegenzug gerade die Tatsache, dass im EU-Parlament einem Änderungsantrag stattgegeben wurde, der Artikel 9 streicht – sein Kollege Pe'er pflichtet ihm da bei. In Artikel 9 geht es etwa um die Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme, inklusive der Wiedervernässung von Moorböden. Pe’er: "Wenn wir die Moorgebiete nicht berücksichtigen, verpassen wir die Möglichkeit, auf nur drei Prozent der landwirtschaftlichen Fläche 25 Prozent der Treibhausgasemissionen zu reduzieren." Tatsächlich ist Landwirtschaft auf nassen Moorböden aber möglich, Paludikultur nennt sich das. Die Bauern müssten diese Flächen also trotz Vernässung nicht aufgeben. Auch Maßnahmen zum Schutz von Feldvögeln sind nun außen vor. Deren Bestände gehen immer weiter zurück, auch, weil es auf großen Feldern kaum noch Hecken und damit Nistplätze gibt.

Was sagen Landwirtschaftsverbände jetzt?

In einer kurzen Stellungnahme vom Mittwoch sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied: "Die Streichung der Stilllegungsverpflichtung über Landschaftselemente und die Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme ist als kleiner Lichtblick zwar zu begrüßen." Dennoch bleibe der Gesetzesvorschlag eine Belastung für die Europäische Landwirtschaft. Pe’er entgegnet: "Auf einem toten Boden kann man nicht produzieren und die Landwirt*innen wissen das. Im Übrigen schreibt das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur die von Rukwied erwähnte Flächenstilllegung nicht vor. Auch sonst wird die potenziell betroffene Fläche stark übertrieben." Das Problem sei, dass schon jetzt mehr als neun Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland unter offiziellem Schutz stünden und dass die meisten dieser Flächen aufgrund mangelhafter Umsetzung und unzureichender Finanzierung in einem schlechten Zustand seien. "Die Ziele des Gesetzes sind im Bereich Landwirtschaft möglicherweise am einfachsten zu erreichen und bringen sowohl der Landwirtschaft als auch der Gesellschaft den größten Nutzen. Es erscheint mir jetzt wichtig, einen konstruktiven Weg zu finden und alle Akteure ins Boot zu holen."

Also erstmal mehr Baustellen als Grünflächen?

Aber ja. Der Teufel stecke im Detail, das betont Guy Pe’er gleich mehrmals. Jetzt beginne die Arbeit, das Gesetz zu verbessern. Er und sein Kollege Sebastian Lakner hoffen, dass die vom Parlament aus wissenschaftlicher Sicht verwässernden Änderungen jetzt im Trilog zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und Rat der EU rückgängig gemacht werden. "Der Prozess hat bereits begonnen – verbindliche Ziele wurden gestrichen, Indikatoren wurden gestrichen." Es sei die Frage, wie man Ziele messen könne, ohne ein angemessenes System von Indikatoren festzulegen und die Fortschritte im Laufe der Zeit zu überwachen. "Der Rat wird seinen Standpunkt darlegen, und wir hoffen, dass er wichtige Elemente wie Artikel 9 und die Indikatoren wieder einbringen wird." Außerdem ginge es jetzt darum, "gute Praktiken einzuführen und die Landwirte für ihre Investitionen angemessen zu entlohnen – zum Teil in ihrem eigenen Interesse, um die Produktion langfristig zu erhalten."

Hier haben wir für Sie noch ein paar Hintergründe notiert, wie Fachleute die Debatte um das Gesetz bewerten:


🗓 Klima-Termine

Sonnabend, 15. Juli – Kloschwitz bei Plauen

Der Nabu lädt zur Exkursion auf die Streuobstwiese der Bürgerinitiative Kloschwitz, die als Schutzobjekt gegen Gesteinsabbau angelegt wurde. 9 Uhr geht's los, Infos hier

Sonntag, 16. Juli – Dresden

Freund/-innen des gepflegten Wortspiels sowie Umweltinteressierte sind wieder zur TU-Veranstaltungsreihe "Triff die Koryphäe unter der Konifere" eingeladen, diesmal mit diesen Fragen: Wie ist es um die Trinkwasserqualität der Dresdnerinnen und Dresdner bestellt? Und welche Auswirkungen könnte die Klimakrise auf unser Grundwasser haben? Rede und Antwort steht Grundwasserexperte Andreas Hartmann. Ab 15 Uhr im Botanischen Garten

Freitag, 21. Juli – Bitterfeld-Wolfen

Der BUND lädt zur Achtsamkeits-Wildnis-Wanderung in der Abendstunde in der Goitzsche-Wildnis. Perfekt um Stress und Termindruck zu entkommen. Anmeldung hier


📰 Klimaforschung und Menschheit

44 Grad und Sahara-Feinstaub: Hitzewelle in Spanien belastet Menschen

Heiße Luft über Nordafrika hat in dieser Woche große Mengen von Saharastaub nordwärts über das Mittelmeer gedrückt. Vor allem Spanien, Südfrankreich und Italien sind damit Ziel von feinen Staubpartikeln aus der Wüste, so die Vorhersage des europäischen Umweltinformationsdienst Copernicus vom Dienstag. Solcher Staub der Kategorie PM10 könnte demnach in Spanien die Belastungsgrenze von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft binnen 24 Stunden überschreiten. Damit würde Spanien die europäischen Standards für saubere Luft nicht mehr einhalten können. Zugleich stellt die starke Hitzewelle mit Temperaturen von 44 Grad bereits eine große Gesundheitsgefahr für die Menschen auf der iberischen Halbinsel dar. MDR WISSEN hat die Hintergründe

Kunstwerke helfen bei Klimavermittlung

Diagramme wie der berühmte Hockeyschläger, der den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur darstellt, sind nur bedingt geeignet, um Klimawissen zu vermitteln sowie Laiinnen und Laien zu erreichen. Zu dieser Erkenntnis kommt eine aktuelle Studie. Politische Spaltungen in Bezug auf den Klimawandel könnten dadurch sogar noch verschärft werden. Werden die Klimadaten dagegen in Kunstwerken umgesetzt, würden Menschen besser darauf reagieren und mehr über die Aussage der Daten nachdenken. Hintergründe zum Thema hier

Pelletheizungen nicht nachhaltig

Obwohl Pelletheizungen für viele als nachhaltiger Energieträger gelten, sei das wissenschaftlich nicht haltbar. Das schreibt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (Bezahlschranke) und verweist auf die zu schlechte CO2- und Ökobilanz. Zudem würde durch Rauchgase bei der Verbrennung ein gesundheitliches Problem bestehen, vor allem durch den Feinstaub. Noch mehr Pelletheizungen würden die Luft im Winter in Wohngebieten zunehmend verschlechtern.

Katholische Kirchenleute fordern mehr Klimaschutz, warnen vor Populismus

In einem Appell haben Katholiken unter anderem die schnelle Einführung einer verbindlichen Energieeffizienz- und Wärmewende gefordert. Weiterhin fordert das von Kirchen-, Ordens- und Verbandsvertretern unterzeichnete Papier die Abkehr von faktenfreier Verunsicherung und gezieltem Populismus.  Zu den Forderungen zählen auch ein Tempolimit sowie die Beschleunigung der Mobilitäts- und Agrarwende. Verfasst haben den Appell Astrid Schaffert vom Deutschen Caritasverband, der Umweltbeauftragte des Erzbistums Köln, Christian Weingarten, und der Jesuit Jörg Alt. Anlass sei die Erdinger Demonstration gegen das Heizungsgesetz der Ampel-Koalition gewesen, auf der auch Markus Söder (CSU) sprach. Mehr dazu bei der FAZ


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Ich musste stutzen. Wenn Sie sich mal die oben empfohlene Geschichte anschauen, sehen Sie sehr viel rote Farbe. Die bedeutet: In vielen Regionen Mitteldeutschlands gibt es noch keine Konzepte, wie sich Kommunen künftig besser gegen Extremwetter (wie Hitze und Starkregen) wappnen können. Das ist erstaunlich und gleichsam lesenswert!

Falls aber Daten-Karten nicht so Ihr Ding sind (ich weiß, Sie hören es schon zum dritten Mal): Mit Kunst lässt sich der Klimawandel ja nun am besten vermitteln, Kollegin Inka Zimmermann hat mich noch einmal eindrücklich darauf hingewiesen. Okay. Also, unsere Illustratorin Sophie Mildner hat für dieses Klima-Update eine ansehnliche Titel-Illustration gestaltet. Ein Kunstwerk, das wir gern an Sie weitergeben. Laden Sie sich das Bild einfach hier in voller Auflösung herunter.

Illustration in entsättigten roten und grünen Farben. Person schüttet in Sumpflandschaft Wasser aus einem Eimer.
Bildrechte: MDR/Sophie Mildner

Keine Frage, Sie dürfen es sich ausdrucken und in die Schrebergartenlaube hängen, weil es garantiert satzungskonform ist. Aber eigentlich dachten wir eher so an einen neuen schicken Hintergrund auf Ihrem Desktop oder Smartphone. 

Also dann, passen Sie auf sich und die Welt auf.

Herzlich
Florian Zinner


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Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.

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