Klima-Grafik, Zug
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MDR KLIMA-UPDATE | 18. August 2023 Das Reisen in vollen Zügen genießen: Mit dem Nachtzug durch Europa

Ausgabe #102 vom Freitag, 18. August 2023

18. August 2023, 11:31 Uhr

Für alle, die klimaschonend reisen wollen, ist das Flugzeug keine Option. Umso beliebter sind die grenzüberschreitenden Nachtzüge in Europa geworden. Doch es ist kompliziert mit den rollenden Hotels.

Porträtaufnahme einer weißen Frau mit zurückgebundenen Haaren, einer großen Brille und grüner Bluse
Bildrechte: Tobias Thiergen

Hallo zusammen,

nach den kühleren Tagen hat der Sommer in dieser Woche ein Comeback hingelegt. Also, die Temperaturen sind jedenfalls deutlich gestiegen - von teils unter 20 Grad direkt wieder in Richtung 30 Grad-Marke. Der Regen ist irgendwie geblieben, aber jetzt eher in Form heftiger Gewitter. Daran müssen wir uns wohl oder übel gewöhnen, denn die können ja aufgrund der Klimaerwärmung perspektivisch ohnehin extremer ausfallen als wir das bisher so gewohnt waren.

Ich für meinen Teil habe jedenfalls Fernweh bei dem Wetter. Wie schön wäre es doch am Meer! Mein Sommerurlaub ist längst passé, zur Ferienzeit halte ich hier die Stellung und durch den Social Media-Feed rauschen die Urlaubsbilder anderer Leute. Aber wie in ferne Orte kommen, wenn nicht mit dem Flugzeug? Mit dem (E-)Auto ans Mittelmeer vielleicht? Ganz schön weit. Die Antwort liegt auf der Hand: Der gute alte Nachtzug ist die Lösung! Und ich mag Bahnfahren wirklich gern - perfekt eigentlich. Also ab auf die Website der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und Tickets buchen für einen Nachtzug nach Italien - dachte ich. Aber es ist kompliziert. 

Einfach abends in Deutschland einsteigen, sich in einem gemütlichen Bett vom Rattern des Zuges in den Schlaf wiegen lassen und am Zielort ausgeruht ankommen. So schön die Vorstellung sein mag, mit der Realität hat sie momentan leider wenig zu tun. Also zumindest dann, wenn man nicht ganz tief in die Tasche greift und einen Luxuszug wie den Venice Simplon-Orient-Express bucht. Und trotzdem sind die Nachtzug-Verbindungen so stark nachgefragt, dass kaum ein Schlafwagen-Ticket zu bekommen ist. Deshalb widmet sich dieses Urlaubszeit-Klima Update dem grenzüberschreitenden Reisen durch Europa mit dem Nachtzug. 


#️⃣ Zahl der Woche:

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… Prozent der Passagiere an deutschen Flughäfen waren dem Branchenverband ADV zufolge im vergangenen Jahr jünger als 30 Jahre. Das sei im Vergleich zur ersten Fluggastbefragung aus dem Jahr 2008 ein Anstieg um acht Prozentpunkte. Die meisten Menschen nutzten das Flugzeug für private Reisen, heißt es außerdem. Der Anteil der Geschäftsreisen sei dagegen weiter zurückgegangen. Er habe im vergangenen Jahr bei 20 Prozent gelegen. Das sei im Vergleich zu 2008 ein Rückgang um 21 Prozent.

Zu voll, zu teuer, zu alt: Der Nachtzug als Hoffnungsträger und Problemkind

Die Europäische Union will ihn eigentlich: den grenzüberschreitenden Zugverkehr in Europa. Er ist sogar zentraler Bestandteil des "Green Deal". Will die EU bis 2050 komplett klimaneutral werden, müssen auch die Fernreisestrecken ausgebaut werden, heißt es aus Brüssel. Insgesamt will die Kommission den grenzüberschreitenden Bahnverkehr bis 2030 verdoppeln und bis 2050 verdreifachen. Aktuell fördert die EU deshalb zehn Pilotprojekte, die neue grenzüberschreitenden Bahnverbindungen schaffen oder bestehende verbessern sollen. Davon profitiert auch Mitteldeutschland, denn unter den Strecken findet sich auch eine Direktverbindung des privatwirtschaftlichen Anbieters Flixtrain von Leipzig über Berlin und Kopenhagen nach Stockholm. Und natürlich sind auch mehrere Nachtzug-Verbindungen dabei: Auf der Strecke Paris - Mailand - Venedig wird demnach künftig ein Nachtzug fahren und der private Anbieter European Sleeper soll zwischen Amsterdam und Barcelona unterwegs sein. 

Noch vor einiger Zeit waren Nachtzüge eher ein exotisches Relikt aus alten Zeiten. Die Deutsche Bahn hatte sich 2016 komplett von dem defizitären Geschäftsteil getrennt. Doch die Klimakrise hat den Hotels auf Rädern zur Renaissance verholfen: Die Nachfrage ist hoch, die Züge sind voll. Ein Grund dafür ist natürlich, dass Zugfahren eine der klimafreundlichsten Arten des Reisens ist. Bei einer durchschnittlichen Auslastung schlägt dem Umweltbundesamt zufolge nur noch der Reisebus den Fernzug in der Emissions-Bilanz.

Ein Beispiel: Bei einem Flug auf der Strecke Berlin - London fallen für eine Person rund 300 Kilogramm CO2 an. Das ist schon ein Fünftel des Budgets, das jeder Menschen pro Jahr hat, um noch klimafreundlich zu leben. Mit dem Zug dagegen sind es etwas mehr als 40 Kilogramm CO2 für dieselbe Strecke. Wer also bei längeren Reisen auf seinen ökologischen Fußabdruck achten will, trifft mit dem Nachtzug eine vernünftige Entscheidung. 

Infografik
Die Emissionen der Verkehrsmittel im Vergleich Bildrechte: MDR/Umweltbundesamt

Doch so verlockend der Gedanke ist, für Fernreisen einfach auf die Bahnfahrt über Nacht umzusteigen, so kompliziert ist das Ganze leider auch. Es gibt nämlich ein paar Probleme, die hier quasi Steine auf die Schiene legen.

Der hohe Preis

Der größte Nachteil am Reisen mit dem Nachtzug ist wohl der vergleichsweise hohe Preis. Das passt auch zu einer Studie von Greenpeace, die vor Kurzem publiziert wurde. Demnach entscheidet bei der Wahl zwischen Flug- und Zugreisen meist der Preis. Und der sei beim Fliegen eben meist günstiger. 

Doch tatsächlich müsste der Preis für Nachtzüge gar nicht so hoch sein. Das zeigt eine Analyse der Interessengemeinschaft "Back on Track": Demnach könnte die Fahrt um bis zu 48 Prozent günstiger werden, wenn alle Staaten konsequent auf die Mehrwertsteuer verzichten und die Trassenpreise, die Bahnunternehmen für die Nutzung der Infrastruktur zahlen müssen, massiv sinken würden. Vor allem letztere seien gerade auf langen Strecken ein großer Kostenfaktor. Der hohe Preis für Nachtzüge, so die Studie, sei eine politische Entscheidung. Außerdem spricht sich die Organisation für ein einheitliches Europa-Ticket aus, um den Tarife-Dschungel zu entwirren. Bisher ist es nämlich bei Umsteige-Verbindungen nicht möglich, ein durchgehendes Ticket zu kaufen, sondern Reisende brauchen mehrere - je nachdem wie viele Länder sie kreuzen. Eine gemeinsame europäische Buchungsplattform könnte das Problem lösen.

Mehr Nachfrage als Angebot

Es kann vor allem zu den Hauptreisezeiten mitunter schwer sein, überhaupt an ein Ticket für den Nachtzug zu kommen. Denn die Nachfrage übersteigt derzeit das Angebot in beinahe ganz Europa. Deshalb empfehlen die Bahngesellschaften, möglichst früh zu buchen. Und das macht man am besten direkt über die Portale der Anbieter. Da man immer damit rechnen muss, dass die Züge sehr voll sind, sollten Reisende auch genau darauf achten, welche Kategorie sie buchen und ob ein Privatabteil benötigt wird - sonst kann es auch mal kuschelig werden. 

Technische Grenzen

Wer sich bei einer Nachtzug-Fahrt auf gemütliche Liegesitze oder kuschelige Betten freut, kann womöglich schwer enttäuscht werden. Denn die Waggons, die vielerorts im Einsatz sind, haben ihre besten Zeiten längst hinter sich - und das nicht nur im Osten Europas. Viele der Schlaf- und Liegewagen stammen noch aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts und wurden nur etwas aufpoliert. Da kann man hart landen im Liegewagen.

Beim Ausbau des grenzüberschreitenden Nachtzugnetzes klemmt es oft an technischen Fragen: In den verschiedenen Ländern gibt es zum Teil unterschiedliche Stromversorgungen, Sicherheitsstandards oder Signalsysteme. In einigen Staaten - wie etwa in Spanien - ändert sich die Spurbreite der Schienen. Das macht den Ausbau des Netzes aufwändig und teuer. Dementsprechend geht er auch eher langsam voran. Europas Bahnnetz gleicht nach wie vor dem sprichwörtlichen Flickenteppich. Und das ist auch noch überlastet und veraltet. 

Nur für Nerds? Auf der Suche nach der Strecke 

Wer mit dem Nachtzug durch Europa reisen will, den führt der erste Weg häufig zu den ÖBB - dem europäischen Marktführer. Anders als die Deutsche Bahn sind die dem Nischenmarkt mit dem Werbe-Motto "Lässig statt stressig" treu geblieben und der Erfolg gibt den Österreichern recht. Sie investieren kräftig in den Ausbau von Strecken und Zügen. 

Es gibt aber auch einige private Anbieter, die den Nachtzug-Markt erobern: European Sleeper fährt zum Beispiel von Berlin über Amsterdam nach Brüssel und der Snälltåget verbindet Berlin mit Stockholm. Auch der TUI-Konzern ist in das Geschäft eingestiegen. Der "Tui City-Express" soll "grüne" Städtereisen ermöglichen. Die erste Route verbindet Osnabrück und Prag.

Zugegeben: Der Nachtzug-Markt ist unübersichtlich. Wer fährt wann von wo nach wo? Welche Direktverbindungen gibt es aus Deutschland ins europäische Ausland? Eine einfache Übersicht gibt es da nicht. Wer Nachtzug fahren will, muss die Hürde nehmen und sich über Strecken, Angebot und Tarife informieren. Das macht es wohl noch zeitaufwändiger in der Vorbereitung als eine Flugreise. Doch es gibt ein paar Informationsportale wie bahndampf.de oder nachtzug-urlaub.de, die Hilfestellung leisten können. Aber auch beim ADAC oder der Stiftung Warentest gibt es wertvolle Starthilfe fürs Abtauchen in die Welt der Nachtzüge.


🗓 Klima-Termine

19. und 20. August – Altenburg

Die Klima-Messe Altenburg lockt dieses Wochenende Interessierte unter dem Motto "Gutes Klima ist machbar, Herr Nachbar! Vom Balkonkraftwerk zur Wärmepumpe" in den Goldenen Pflug. Infos hier

Dienstag, 22. August – Weimar

Am Vorabend des Weimarer Kunstfestes findet im Lichtsaal des Weimarer Hotels Elephant die Podiumsdiskussion "Der Mensch, das Katastrophentier - Klimakollaps, Apokalypsen und kein Ende" statt. Auf dem Podium sitzen hier unter anderem eine Autorin, ein Philosoph, ein Ethik-Professor und der Thüringer Umweltminister Bernhard Stengele. Die Veranstaltung ist eine Kooperation von Kunstfest Weimar und MDR Kultur, der Eintritt ist frei. Infos hier

19. August bis 20. Oktober – Riesa

Der BUND Sachsen lädt Interessierte in den Tierpark und das Kloster nach Riesa zur Ausstellung Insekten in Gefahr – ein Rückgang mit Folgen. Die beschäftigt sich mit den Ursachen des Insektensterbens und der Frage, was wir gegen das Sterben tun können. Der Eintritt ist kostenfrei. Mehr dazu hier


📰 Klimaforschung und Menschheit

Sonne verdunkeln, um Eisschmelze zu stoppen?

Könnte ein künstliches Abdunkeln der Sonne die Eisschmelze verhindern? Diese Frage haben Schweizer Forscher untersucht. Das Ergebnis: Ohne Dekarbonisierung kommt die Erde trotzdem nicht aus. Außerdem bergen die möglichen Techniken des Geo-Engineering Gefahren, so die Forscher. Es wäre ein potentiell gefährlicher Eingriff in das Klimasystem. Mehr dazu lesen Sie hier.

Tiny Forests: Grüne Inseln gegen Hitze

Kleine Miniwälder auf einer Fläche ab 100 Quadratmetern mit Bäumen und Sträuchern: Solche Tiny Forests können einer Stadtökologin der TU Berlin zufolge für ein besseres Mikroklima in Großstädten sorgen. Die schnell wachsenden Mini-Wälder hätten nämlich einen kühlenden Effekt. Außerdem nehme der durch Wurzeln gelockerte Boden viel Wasser auf - etwa bei Starkregen. Und weniger pflegeintensiv als andere Grünflächen seien sie auch noch. Einzelheiten dazu gibt es hier.

Klimawandel: Erdmännchen sterben früher

Höhere Temperaturen verändern das Darm-Mikrobiom von wildlebenden Erdmännchen in der südafrikanischen Kalahari. Die Tiere erkranken dadurch häufiger an Tuberkulose und haben eine geringere Lebenserwartung, zeigt eine Studie der Universität Ulm. Die Temperatur in der Wüste sei in den vergangenen 20 Jahren stärker gestiegen als im globalen Durchschnitt. Lesen Sie hier mehr dazu.

In Leuna wird zu "grünem" Methanol geforscht

In Leuna soll in den kommenden drei Jahren an "grünem" Methanol geforscht werden. Der Bund fördert das Projekt mit 10,4 Millionen Euro. Das "grüne" Methanol werde künftig wichtig für die Schiff- und Luftfahrt, heißt es. Dabei handelt es sich um einen regenerativen Kraftstoff, der aus "grünem" Wasserstoff und CO2 hergestellt wird. Das neue Verfahren aus Leuna soll diesen Prozess effizienter und kostengünstiger machen. Mehr Infos in der Mitteilung des Konsortiums.

Gletscher: Rasanter Rückgang – und Platz für Neues?

Forschende haben den Rückgang des weltweiten Gletschereises bis zum Ende des Jahrhunderts modelliert. Bis dahin könnte die Hälfte der jetzigen Fläche verloren gehen – und zwar ohne Antarktis und Grönland. Auf den freigelegten Flächen würden dann neue Ökosysteme entstehen, so die Forschenden. Die könnten zum Zufluchtsort für Arten werden, die an Kälte angepasst sind und durch die Erwärmung an anderer Stelle verdrängt werden. Mehr dazu bei MDR WISSEN.


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Kommen wir zum Schluss nochmal aufs Bahnfahren zurück. Mir ist schon bewusst, dass Zugfahren nicht für alle etwas ist - zumal die Bahn in Deutschland ja ein eher unzuverlässiges Image hat. Auch da liegt einiges im Argen und gleichzeitig geht es voran. Es ist wie so oft nicht schwarz oder weiß, sondern grau. Diesen Schattierungen des innerdeutschen Bahnverkehrs widmen wir uns in unserem Klima Update in zwei Wochen noch einmal ausführlich. Soweit schon einmal ein kleiner Ausblick.

Auch bei den europäischen Nachtzügen lassen sich die Probleme nicht leugnen und Zeit- sowie Nervenaufwand können zugegebenermaßen abschreckend sein. Aber in unserer schnelllebigen Zeit könnte man "slow travel" - also dem langsamen Reisen - doch trotzdem mal eine Chance geben. Runterkommen mit dem Rattern sozusagen. Falls Sie sich unsicher sind, schauen Sie doch mal in die ARD-Mediathek: Im Nachtzug durch Europa und die Reportage Comeback des Nachtzugs - Von Hamburg in die Welt liefern einen guten ersten Eindruck. 

Und sollten Sie sich gefragt haben, was aus meinem Nachtzug-Ticket nach Italien geworden ist: Mit etwas Flexibilität bin ich fündig geworden: Von München fährt der Nightjet in 16 Stunden nach La Spezia in Ligurien. Von dort wäre es nur noch ein Katzensprung in die Cinque Terre. Und dann ginge es weiter nach Genua. Ein kleines Abenteuer! Ich muss nur noch auf "Buchen" klicken... aber Sie ahnen den Haken sicher schon: Den Preis muss man sich leisten wollen - und können natürlich. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen!

Haben Sie ein entspanntes Wochenende - ob in fernen Orten oder im heimischen Garten, Hauptsache endlich Urlaub!

Kristin Kielon


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