Antarktis-Tourismus Eine Reise ins ewige Eis: Tourismus für den Klimaschutz?
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03. Januar 2025, 11:08 Uhr
Der Tourismus in die Antarktis boomt, während das Gebiet zunehmend unter dem Klimawandel leidet. HX Expeditions startet deshalb nun in Zusammenarbeit mit der Universität Tasmanien ein Bildungsprogramm für seine Kreuzfahrt-Passagiere. Das Ziel: Verantwortungsvoller Tourismus, der auch nach der Reise dem Klima zugute kommt. Ist das Greenwashing oder kann ein solcher Tourismus tatsächlich helfen? Ein Selbstversuch und das Gespräch mit einem Polarforscher.
Der Tourismus in die Antarktis ist so alt wie die Expeditionen selbst. Die Grenzen zwischen Entdeckern und extremen Touristen verschwimmen, so heißt es in dem vierstündigen Onlinekurs, den Forschende der Universität Tasmanien aufgesetzt haben und den Reisende vor ihrer Kreuzfahrt kostenlos durchlaufen können. Schon 1930 hielt der Expeditionsfotograf Frank Hurley demnach in einem Zeitungsartikel fest, dass es bald luxuriöse Kreuzfahrtschiffe in der Antarktis geben wird.
Ganz Unrecht hatte er damit nicht: Mittlerweile kommen laut Stefan Hain, Leiter der Stabsstelle Umweltpolitik am Alfred-Wegener-Institut (Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung), sowie zuständig für das Antarktis-Büro des Instituts, über 100.000 Touristen jährlich, zuletzt sogar 117.000, in die Antarktis. Auch die Aktivitäten haben sich vervielfacht. Zu den kurioseren gehörte wohl ein Metallica-Konzert, bei dem das Publikum Kopfhörer trug, um die Tierwelt nicht zu stören.
Einen Einfluss auf die Umwelt haben Sie natürlich trotzdem, auch wenn Schiffe mit Gästen, die auch an Land gehen wollen, maximal 500 Passagiere auf die Reise mitnehmen dürfen: Allein die Landungsstellen – laut Umweltbundesamt etwa 200 – seien laut Stefan Hain vor allem im Bereich der Antarktischen Halbinsel "überbeansprucht" und das an einem Ort, der bereits stark unter der Klimaerwärmung leide. Einer Studie zufolge, die in der Fachzeitschrift "Nature Communications" erschienen ist, zufolge, legt sich durch die menschliche Präsenz außerdem schwarzer Kohlenstoff auf den Schnee und bringt ihn zum Schmelzen.
Genau hier möchte HX Expeditions aber ansetzen, erklärt die wissenschaftliche Leiterin Verena Meraldi: Die Reisenden sollen lernen, welchen Einfluss sie haben, wie stark alle Lebewesen des Ökosystems voneinander abhängen und warum die Antarktis für unser aller Klima relevant ist – im Bestfall mit wortwörtlich nachhaltigem Effekt für das weitere Leben der Passagiere. Essenziell sei dabei die Verknüpfung von Forschung und Tourismus. Die ist aber nicht immer unproblematisch.
Tourismus trifft Forschung: Eine Synergie für den Klimaschutz?
Der Kurs, den auch ich durchlaufen habe, ist dabei noch das Einfachste. Wie in einer Universitätsvorlesung können hier die Reisenden vorab 4 Module mit Texten, Interviews und Grafiken durchlaufen. Ein Test am Ende jedes Moduls ist inklusive. Auch wenn mir der Kurs zunächst wie ein Museumsbesuch ohne Ausstellungsstücke vorkommt, lerne ich doch am Ende erstaunlich viel: Dass der Eisenmangel in der Antarktis teilweise durch Walkot kompensiert wird, dass Seefahrer Arten wie Kaninchen und Rentiere auf die subantarktischen Inseln mitbrachten, um im Falle eines Überwinterns an Land eine Nahrungsquelle zu haben, dass die dickste Eisschicht 4,8 km dick ist. Der Tipp einer Forscherin, etwas, was riecht, für einen Aufenthalt in die Antarktis mitzubringen, ist bei ebenso mir hängengeblieben. Vor allem bleibt, ohne die Details zu behalten, ein grundsätzliches Gefühl dafür, wie sensibel das Ökosystem Antarktis ist.
Ob das bei allen der Fall sein wird, ist schwer zu bewerten. Verena Meraldi erklärt aber, dass das zumindest das Ziel ist: Der Kurs soll ein Grundverständnis und ein erstes Bewusstsein schaffen. An Bord treffen die Touristen dann auf Wissenschaftler, die für ihre Forschung mitfahren dürfen, teils auch Forschungsequipment gestellt bekommen. Etwas, was übrigens Stefan Hain bestätigt. Gerade jetzt sei beispielsweise ein Team des Alfred-Wegner-Instituts an Bord der MS Fridtjof Nansen.
Dass sich die Touristen mit den Forschenden direkt austauschen und ihnen bei der Arbeit zusehen können, findet er gut: "Wir versuchen ja unsere Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm zu behalten, sondern diese auch in die Gesellschaft zu vermitteln." Auch, dass die Touristen selbst Hand anlegen, sei prinzipiell unterstützenswert: "Es gibt nichts Besseres, als eigene Erfahrungen zu sammeln. Wenn man selbst durch ein Mikroskop guckt, dann ist das eine ganz andere Erfahrung." Problematisch in der Antarktis könne es dann werden, wenn Touristen anfangen würden, selbst auch Proben zu entnehmen.
Touristische Wissenschaftler und forschende Touristen: Wenn die Grenzen verschwimmen
Der Grund sind rechtliche Vorgaben: Jeder, der in die Antarktis kommt, braucht eine Genehmigung. Die Genehmigungen unterscheiden sich aber, je nachdem, ob sie ein Tourist oder ein Forscher beantragt, erklärt Stefan Hain. Forschende etwa dürften teils näher an die zu erforschenden Tiere heran, in Schutzgebiete gehen und dort Proben entnehmen. Touristen ist dies untersagt. Das habe bereits öfter zu Problemen geführt, meint der Forscher. Selbst in Fällen, wo Forschende aktiv um Unterstützung gebeten hatten. Der Versuch, Touristen als Hilfswissenschaftler zu deklarieren sei eine Grauzone – zumindest noch, denn momentan arbeiten die 57 Antarktisvertragsstaaten daran, ein Rahmenwerk für die bisher vereinzelten Maßnahmen zum Antarktis-Tourismus zu schaffen und entsprechende Grenzen auch klarer zu ziehen.
Anbieter, die damit werben, etwa den Pinguinen besonders nahe kommen zu können, sind aus Sicht von Stefan Hain entsprechend bedenklich. Die Grenzziehung müsse auch den Touristen klar verdeutlicht werden. Etwas, dem Verena Meraldi zustimmt: Die Gäste bei HX Expeditions dürften ihr zufolge nicht einfach mit den Forschenden Proben sammeln. Das sei nur im Rahmen spezieller Citizen Science Projekte wie FjordPhyto, möglich, für die es dann auch gesonderte Genehmigungen gäbe. Tatsächlich werde ich im Onlinekurs in einem eigenen Modul auf meine Verantwortung als Tourist hingewiesen, aber auch auf viele Citizen Science Projekte, deren Sinnhaftigkeit und rechtliche Komponenten ich kaum bewerten kann.
Stefan Hain erklärt aber, dass solche Projekte in der Antarktis generell nicht nur einzeln genehmigt werden müssten, sondern auch nur durchgeführt werden sollten, wenn sie nicht auch außerhalb des Gebiets möglich sind. Auch die Geräte und Methoden müssten bestimmte wissenschaftliche Standards erfüllen, um vernünftige Daten zu bekommen. Bei großen Anbietern wie HX hat der Forscher dort aber wenig Bedenken. Bei anderen Unternehmen, etwa dem Yachttourismus, sei das aber ein Aspekt, der beachtet werden müsse.
Egal, ob Nutzen für die Forschung oder nicht, in einem sind sich Stefan Hain und Verena Meraldi einig: Allein die Erfahrung ist einzigartig und prägt die Touristen. Im Bestfall können Sie mit dem Wissen über die Antarktis als eine Art Botschafter zu Hause agieren. Ob nun durch Citizen Science Projekte oder durch einen umweltbewussteren Blick im Alltag. Verena Meraldi will deshalb die Kooperation mit der Universität Tasmanien sogar noch ausbauen. Und zwar so, dass die Passagiere auch nach ihrer Rückkehr mit Kursen, Informationen und Möglichkeiten, sich wissenschaftlich zu beteiligen, begleitet werden. Ein nobler Ansatz, aber gleicht er die Schäden aus?
Widersprüche vereint: Der Antarktis-Tourismus ist Fluch und Segen zugleich
Wenn es darum geht zu entscheiden, ob der Tourismus nun der Antarktis helfen oder ihr schaden kann, findet Stefan Hain keine abschließende Antwort. Das komme nicht zuletzt auch auf die Tourismusunternehmen, deren Ausstattung und deren Versprechen an die Reisenden an. Der Tourismus in der Antarktis sei prinzipiell erlaubt, das wie also entscheidend. Dabei leiste, so der Forscher, der Dachverband der Antarktis-Tourismusindustrie IAATO bereits gute Arbeit. Ein Ergebnis, zu dem auch die Kohlenstoff-Studie kommt, auch wenn sie weitere Maßnahmen fordert.
Auch das Rahmenwerk über den Tourismus in der Antarktis, das nun geschlossen werden soll, sei eine gute Entwicklung, so der Forscher, genauso wie die Tatsache, dass auch ein kommerzieller Sektor wie die Tourismusindustrie die Wissenschaft unterstützt, solange es nicht als Greenwashing-Maßnahme missbraucht werde.
Ob das wirklich einen Effekt hat, wird sich zeigen. Ich persönlich jedenfalls denke schon jetzt, nach vier Stunden Kurs, viel intensiver über die Antarktis und ihr fragiles Ökosystem nach, als ich es sonst jemals getan hätte. Die Erfahrung mit Wissenschaftlern vor Ort würde mich wahrscheinlich nachhaltig prägen. Ob ich die Reise mit gutem Gewissen unternehmen könnte, ist eine andere Frage. Und so lande ich am Ende beim gleichen Fazit wie Stefan Hain und Verena Meraldi: Tourismus gibt es und er hinterlässt immer Spuren, also sollten wir zumindest dafür sorgen, dass sie klein bleiben.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 03. Januar 2025 | 16:20 Uhr
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