Neugeborenes im Krankenhaus, nach dem Finger seiner Mutter greifend
Kinder erhalten von ihren Müttern bei der Geburt wichtige Bakterien, die sie zum Überleben benötigen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO/ingimage

Geburt Kaiserschnitt und Mikrobiom: Spätere Antibiotika-Gabe könnte Kindern helfen

10. August 2023, 10:58 Uhr

Mütter erhalten vor einem Kaiserschnitt Antibiotika, um die Operationswunde zu schützen. Das aber schädigt das Mikrobiom der Kinder und hat Langzeitfolgen. Eine Studie zeigt, wie das Problem vermieden werden könnte.

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Der Kaiserschnitt galt lange Zeit als Wundermittel der modernen Geburtsmedizin. Er hat die Sterblichkeit von Müttern und Säuglingen erheblich gesenkt und bot einen sicheren Ausweg bei schweren Komplikationen am Ende der Schwangerschaft. Doch inzwischen gibt es auch Kritik: Einzelne Studien finden einen möglichen Zusammenhang zwischen einer Geburt per Kaiserschnitt und einem erhöhten Risiko, später in ihrem Leben an Asthma zu erkranken oder eine atopische Dermatitis zu entwickeln, die Hautkrankheit, die umgangssprachlich als Neurodermitis bekannt ist. Auch das Risiko, später stark übergewichtig zu werden, könnte erhöht sein. Hier gibt es allerdings auch Studien, die das Gegenteil zeigen.

Dass die Ergebnisse so verschieden sind, könnte daran liegen, dass es wahrscheinlich nicht der Kaiserschnitt an und für sich ist, der ein Problem darstellt, sondern seine Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Bakterien im Darm und auf der Haut der Neugeborenen, dem sogenannten Mikrobiom. Und hier hat die medizinische Forschung erst vor wenigen Jahren begonnen zu verstehen, wie wichtig das Mikrobiom ist und wie leicht es gestört werden kann.

Eine solche mögliche Störung bei einem Kaiserschnitt besteht in Antibiotika, die Mütter nach aktueller Empfehlung eine halbe Stunde vor der Operation einnehmen sollen, um das Risiko der Infektion der Operationswunde zu minimieren. Eine Studie von Forschenden der Unikliniken in Lübeck und Würzburg zeigt jetzt, dass eine kleine Veränderung im Zeitpunkt der Gabe der Antibiotika ausreicht, um die Risiken für die Mütter nicht größer werden zu lassen, das kindliche Mikrobiom aber deutlich weniger zu schädigen.

Natürliche Geburt: Der mütterliche Körper bereitet das richtige Mikrobiom vor

Bei einer natürlichen, also vaginalen Geburt wird das Mikrobiom von der Mutter auf das Kind übertragen, wenn es durch den Geburtskanal gepresst wird. Die Zusammensetzung dieser Bakterien ist dabei nicht zufällig. "Zum Ende der Schwangerschaft verändert sich das Mikrobiom im Leib der Mutter so, dass das Kind optimal vorbereitet wird auf seinen ersten Kontakt mit fremden Mikroorganismen außerhalb des Mutterleibs nach der Geburt", sagt Christoph Härtel, Kinderarzt und Direktor der Kinderklinik am Uniklinikum Würzburg.

Beim Kaiserschnitt allerdings fehlt dieser Kontakt mit dem vorbereiteten Mikrobiom im Geburtskanal. Deswegen raten viele Mediziner inzwischen zur natürlichen Geburt, wenn keine großen Risiken dagegen sprechen. Oftmals allerdings ist ein Kaiserschnitt aber keine freiwillige Wahl, sondern medizinisch notwendig. Die gute Nachricht: Auch in diesem Fall können Ärzte und Mütter viel dafür tun, dass die Kinder ein gesundes Mikrobiom bekommen.

Gute Bakterien: Warum ein gesundes Mikrobiom wichtig ist für Babys

Illustration - Darmbakterien an der Darmwand
Bakterien im Darm sind unter anderem für die Produktion wichtiger Botenstoffe zuständig, die Entzündungen regulieren. Bildrechte: imago images/Science Photo Libra

Denn die Mütter übertragen einen Teil ihrer Bakteriengemeinschaften auch beim Kuscheln mit ihrem Baby und indem sie ihm ihre Muttermilch geben. Dabei werden vor allem Bifidobakterien und Laktobazillen übertragen, die sich im Darm der Kinder ansiedeln. Dort – so vermutet die Forschung – wirken sie einerseits, indem sie Gewebe besiedeln, das sonst von gefährlichen Keimen besetzt würde.

Zum anderen sind die guten Bakterien an der Produktion wichtiger Stoffe beteiligt, darunter dem Tryptophan, ein Botenstoff, der die Immunreaktionen des Körpers steuert und Entzündungen reguliert. Ein gestörter Tryptophanstoffwechsel durch ein beschädigtes Mikrobiom wäre eine mögliche Erklärung, warum es zu Autoimmunproblemen wie Neurodermitis kommt.

"Vaginal Seeding" – Künstliche Übertragung des Mikrobioms ist teilweise möglich

Außerhalb von Deutschland experimentieren Ärzte und Geburtshelfer mit dem sogenannten "Vaginal Seeding". Dabei wird Müttern kurz vor der Geburt ein steriler Tupfer in die Vagina eingeführt, um dort Bakterien aufnehmen. Nach dem Kaiserschnitt werden die Babys dann mit dem Sekret betupft. Erste Beobachtungsstudien zeigen, dass das Mikrobiom dieser Kinder sich dem von auf natürlichem Weg zur Welt gekommenen Kindern stark annähert.

Die medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland haben allerdings noch keine eindeutige Meinung zu diesem Ansatz. Noch gibt es kaum Daten dazu, wie sich das Seeding auf die mit Kaiserschnitten verbundenen Risiken wie Asthma und Co. auswirken. Außerdem bestehe die Gefahr, dass beim Abstrich unabsichtlich auch schädliche Keime oder Viren auf das Baby übertragen werden könnten.

Präventive Antibiotikagabe: Kinder durch die Plazenta auch betroffen

Doch das Problem beim Kaiserschnitt ist nicht nur der fehlende Kontakt mit dem Geburtskanal. Wie geschildert, kann Mikrobiom auch über den Hautkontakt und die Muttermilch übertragen werden. Doch das funktioniert nur, wenn die Bakterien nicht vollständig zerstört worden sind. Und hier spielt der bislang übliche, vorbeugende Einsatz von Antibiotika eine zentrale Rolle, wie jetzt auch das Team um Christoph Härtel mit einer Untersuchung zeigen kann.

Die Mediziner gewannen insgesamt 40 Schwangere für die Untersuchung, die ihre Kinder per Kaiserschnitt zur Welt brachten. Die Frauen wurden per Zufall in zwei Gruppen eingeteilt. 21 erhielten, wie bisher empfohlen, 30 Minuten vor der Geburt Antibiotika. Diese Zeit reichte laut den Forschenden aus, dass die Medikamente auch das Kind im Bauch der Schwangeren erreichten. Nach der Geburt stellten die Ärzte um Härtel fest: "Bei all diesen Kindern konnten wir Antibiotika im Blut nachweisen."

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Die Illustration zeigt eine junge Frau mit dunklen Haaren, einer Halskette und einem gelben Shirt. 34 min
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Spätere Antibiotikagabe: Kein Unterschied bei Müttern, aber große Unterschiede bei Kindern

Die zweite Gruppe von insgesamt 19 Frauen erhielt das Antibiotikum dagegen erst nach dem Abnabeln der Kinder. Dass der Schritt sinnvoll sein könnte, hatten zuvor bereits andere Untersuchungen gezeigt. "Es gibt Daten aus der Schweiz, dass sich die Zahl von möglichen Wundinfektionen beim Kaiserschnitt nicht unterscheidet, wenn man die Antibiotika erst nach dem Abnabeln des Kindes gibt", sagt Härtel. Dieses Ergebnis konnte er mit seinem Team nun bestätigen.

Die Wundinfektionsrate war in beiden Gruppen von Müttern ähnlich. Doch das Mikrobiom der Kinder unterschied sich deutlich. Diejenigen, die nicht mit den Antibiotika in Kontakt gekommen waren, besaßen unter anderem deutlich mehr Clostridien. Diese Bakterien, so vermuten einige Forscher, sind verbunden mit einem geringeren Risiko von Asthma. Auch ein Jahr nach der Geburt waren diese Unterschiede noch sichtbar.

Antibiotikagabe und Kaiserschnitt: Größere Studie muss Ergebnisse bestätigen

Für eine Änderung der Leitlinien war die Untersuchungsgruppe von insgesamt 40 Müttern noch zu klein. Deshalb soll die Studie nun mit mehr Teilnehmerinnen wiederholt werden. Ist das Experiment erfolgreich, würde eine vergleichsweise kleine Änderung genügen, um einen großen Vorteil für das Mikrobiom der Kinder zu erzielen.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 31. März 0021 | 15:59 Uhr