Meeresbiologie trifft Mythologie Dieses Seeungeheuer ist nur ein Wal beim Mittag
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11. April 2024, 13:05 Uhr
Mittelalterliche Aufzeichnungen berichten von mysteriösen und gefährlichen Meereswesen. Zumindest für das Seeungeheuer "Hafgufa", das in der nordischen Literatur neben Riesenkraken und Meerjungfrauen beschrieben wird, gibt es nun offenbar eine realistische Erklärung.
Bereits 2014 hatten Wissenschaftler erstmals beobachtet, dass sich Buckelwale bei der Jagd nicht nur auf ihre Beute stürzen, sondern sich ihre Mahlzeit auch einfach nur ins Maul schwimmen lassen. Dazu strecken sie den Kopf aus dem Wasser, öffnen ihre Kiefer rechtwinklig und warten ganz einfach darauf, dass ihnen die Fische ins Maul schwimmen. Diese Strategie scheint zu funktionieren, weil die Fische glauben, in eine Höhle, in einen geschützten Ort zu schwimmen, wo sie vor Raubtieren in Sicherheit sind.
Warum dieses Jagdverhalten in der Neuzeit erst vor kurzem entdeckt wurde, ist nicht ganz klar. Entweder sorgen neue Umweltbedingungen dafür, dass es jetzt besser zu beobachten ist oder neue Technologien machen es möglich, wie der Einsatz von Drohnen für das oben gezeigte Video.
Jagd mit List schon im Mittelalter dokumentiert
In Australien kam Wissenschaftlern dann der Gedanke, dass dieses Verhalten der Meeressäuger bereits in hunderte Jahre alten Schriften beschrieben worden sein könnte. Dr. John McCarthy, Meeresarchäologe am College of Humanities, Arts and Social Sciences der Flinders University (Adelaide/Australien) stieß auf Parallelen, als er Literatur über nordische Seeungeheuer las. Ihm fiel auf, dass die Schilderung des "Hafgufa", eines riesigen Fisches, so groß wie eine Insel, dem sehr ähnlich sind, was man auf den Videos von Buckelwalen bei der Fallenjagd sieht. Zunächst hielt er es für einen Zufall, doch dann recherchierte er weiter und beriet sich mit Kollegen, die auf mittelalterliche Literatur spezialisiert sind.
Wir stellten fest, dass die ältesten Versionen dieser Mythen überhaupt keine Seeungeheuer, sondern ausdrücklich eine Walart beschreiben.
Altnordische Manuskripte, die die Kreatur als "Hafgufa" beschreiben, stammen aus dem 13. Jahrhundert. Die Forschenden gehen davon aus, dass die spätere Interpretation als "Seeungeheuer" auf einem Missverständnis beruht. Als solches blieb es bis ins 18. Jahrhundert hinein Teil der isländischen Mythen und wurde oft neben den berüchtigteren Kraken und Meerjungfrauen in Berichten erwähnt.
Was ebenfalls dafür spricht, dass Hafgufa ursprünglich richtig als Wal beschrieben wurde, ist folgende Tatsache: Es wird erwähnt, dass das große Tier ein spezielles Parfüm oder einen besonderen Geruch abgibt, um Fische in sein Maul zu locken. Einige Walarten produzieren tatsächlich den Duftstoff Ambergris, allerdings nicht der Buckelwal. Möglicherweise ist im Falle dieser Art die Flüssigkeit gemeint, die der Wal nach dem Fressen wieder herausfiltert, vermuten Forscher.
Dr. Erin Sebo, außerordentliche Professorin für mittelalterliche Literatur und Sprache am College of Humanities, Arts and Social Sciences der Flinders University und Co-Autorin der Studie sieht darin einen weiteren Beleg für ein genaues Wissen über die natürliche Umwelt unserer Vorfahren. Die Erkenntnis, wie lange Wale diese Technik offenbar bereits verwenden, helfe, das Verhalten und die Evolution besser zu erklären und zu verstehen, so Sebo. "Meeresbiologen hatten angenommen, dass es keine Möglichkeit gibt, diese Daten wiederherzustellen, aber mithilfe mittelalterlicher Manuskripte konnten wir nun einige ihrer Fragen beantworten."
Links/Studien
Die gesamte Auswertung mittelalterlicher Manuskripte über Wale der Flinders University finden Sie in der Veröffentlichung in Marine Mammal Science: Parallels for cetacean trap feeding and tread-water feeding in the historical record across two millennia
Die ursprüngliche Beschreibung des Fressverhaltens von Walen im Golf von Thailand wurde 2017 in Current Biology veröffentlicht: Tread-water feeding of Bryde’s whales
krm
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. Oktober 2022 | 14:10 Uhr