Aus wissenschaftlicher Sicht Hate Speech: Was dahinter steckt
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15. Juni 2020, 16:00 Uhr
Jüngere Internetnutzer melden Hasskommentare besonders häufig – das geht aus einer neuen repräsentativen Forsa-Studie hervor, die Anfang Juni veröffentlicht wurde. Gut so, denn Hasskommentare gibt es im Netz leider viel zu viele. In unserer Gesellschaft hat der Hass in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Woran liegt das, woher kommt der Hass?
Auch ich habe schon mal einen Hasskommentar geschrieben. Auf Facebook unter einem Post der Zeitschrift BRAVO. Damals war ich zwölf Jahre alt und hatte offensichtlich ein Problem mit dem neuen Coverboy.
Oh mein Gott! Nicht schon wieder Andrea! Boah, ich hasse diesen Jungen so sehr. Der ist so hässlich, so ein Fake. @BRAVO: Könnt ihr endlich mal damit aufhören, über dieses hässliche Arschloch zu schreiben? Denkt mal ein bisschen mit: Wieso wird er im Internet gedisst? Weil ihn alle hassen und er einfach nur nervt! Wieso kauft niemand mehr Bravo? Weil ihr nur scheiße bringt (u.a. Andrea) Wieso werdet ihr kritisiert? Weil Andrea scheiße ist! Und nochmal: Andrea ist so ein hässliches, kleines aufmerksamkeitssuchendes, schwules usw. Arschloch!
Auweia. Das ist nicht nur beleidigend, sondern auch noch homophob. Heute schäme ich mich dafür und würde so etwas nicht mehr schreiben. Trotzdem frage ich mich: Woher kam dieser Hass? Und was hat mich davor bewahrt, damit weiterzumachen? Weil ich selber keine Antwort darauf habe, spreche ich mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen über meinen Hasskommentar.
Erst mal klingt das für mich sehr jugendlich und sehr naiv auch irgendwie. Und trotzdem ist da eigentlich schon ein wichtiges Element mit drin. Was bei Hass immer mitschwingt, also die andere Person wird quasi zu einem Objekt degradiert.
So sieht es Wissenschaftsjournalistin und Psychologin Anne Otto, sagt aber auch: Sie würde den Kommentar nicht überbewerten. Die Jugend sei eine Zeit der Extreme und der Polarisierung, in der man so etwas ausprobiere. Deshalb ist sie auch nicht überrascht, als ich ihr erzähle, dass der Post von mir stammt. Auch andere Wissenschaftler, die ich frage, nicht. Wir alle können hassen, sagt Sozialpsychologe und Konfliktforscher Andreas Zick.
Wir alle sind fähig, andere zu hassen. Also ich kenne keinen Menschen, die oder der nicht irgendwo in der Entwicklung Hass gegen andere gespürt oder vermutet hat.
Kettenreaktion: Schmerz erfahren, Schmerz weitergeben
Und trotzdem gibt es da einen großen Unterschied - zwischen Menschen wie mir, die irgendwann mal in ihrer Jugend einen Hasskommentar geschrieben haben und denen, die heute wesentlich älter sind, als ich das damals war, und ihren Hass offen auf der Straße oder im Netz teilen.
Ein Beispiel: Aktuelle Facebook-Kommentare über Bundeskanzlerin Angela Merkel wie – Zitat – "Die Merkel endlich aufhängen, bevor sie noch mehr anrichtet." Woher kommt dieser Hass? Um zu verstehen, wie so ein extremes Gefühl entstehen kann, spreche ich mit Neurowissenschaftler Joachim Bauer. Er sagt: Der Auslöser ist fast immer psychischer Schmerz. Der entsteht, wenn wir ausgegrenzt, enttäuscht oder verletzt werden. Bauer zufolge gibt es zwei Möglichkeiten, wie wir damit umgehen: Die eine Möglichkeit ist, dass man den Schmerz in sich reinfrisst.
Die andere Möglichkeit ist, dass ich Wut kriege. Das ist sogar die gesündere Reaktion. Das heißt, wenn ich spüre, ich werde ausgegrenzt, man schließt mich aus, man verachtet mich, dann kann man auch eine Wut kriegen. Und aus dieser Wut heraus kann sich Hass entwickeln.
Hinter Hass steckt also oft eine Enttäuschung. Aber natürlich ist nicht jeder, der im Leben schon mal enttäuscht wurde, automatisch ein hasserfüllter Mensch. Ob wir hassen oder nicht, hängt auch sehr stark von unserem Umfeld ab, erklärt Sozialpsychologe Andreas Zick.
Der Hass basiert auf Feindbildern und Vorurteilen. Die bekomme ich aus meinem sozialen Kontext. Das heißt, wenn sie in einen hassenden sozialen Kontext kommen, ist die Wahrscheinlichkeit sofort höher, dass sie sich dem anschließen, weil: Hass erzeugt Zugehörigkeit zu Gruppen.
Und das ist etwas, wonach wir uns alle sehnen, ergänzt Neurowissenschaftler Joachim Bauer, denn der Mensch sei ein Gruppenwesen. Und dort, wo es eine Gruppe, ein "Wir", gibt, ist auch immer ein "Ihr", gegen das man sich abgrenzt. Deshalb richtet sich Hass so oft gegen andere Gruppen: Migranten, Politiker, neuerdings auch Virologen. Und auf die will man mit seinem Hass Einfluss nehmen, erklärt Andreas Zick.
Man möchte die anderen entwürdigen. Das heißt, Hass erzeugt und stärkt das Motiv, Einfluss zu nehmen und Kontrolle auszuüben. Eine Hass-Äußerung ist auch immer ein Ausdruck von: 'Ich bin machtvoll, ich habe Kontrolle'.
Was Hatespeech so verlockend macht
Eine ähnliche Theorie hat auch Psychologin Anne Otto. In ihrem Buch "Woher kommt der Hass?" untersucht sie die psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus. Eine davon bezeichnet sie als autoritäre Aggression. Was ist damit gemeint?
Dass jemand, der bereit ist zu hassen, diese autoritäre Prägung im Elternhaus durch die Gesellschaft und so weiter bekommen hat. Das heißt, im Prinzip selbst sehr viel Aggression erfahren hat, selbst sehr gehorsam, sehr angepasst sein musste, und sagt dann irgendwann, 'okay, ich warte jetzt bis zu dem Punkt, wo ich selbst so stark bin, wo ich es den anderen Leuten heimzahlen kann'.
Hass hat also auch ganz viel mit Selbstbestätigung zu tun. Man fühlt sich besser, indem man andere runtermacht. Im Netz bekommt dafür auch noch Bestätigung von anderen, durch Reaktionen wie Likes oder Kommentare. Das macht das Ganze so verlockend und hat den Hass in unserer Gesellschaft überhaupt erst so groß werden lassen, sagt Anne Otto. Normalerweise seien Ärger, Wut, Hass oder irgendetwas, was sich entladen will, in jedem drin.
Aber normalerweise sind die ganz gut durch andere Emotionen oder auch andere Kontrollmechanismen gedeckelt oder geschützt. Im Moment ist es eben anders: Man darf wieder diese Aggression auch zeigen.
Wenn ich jetzt an meine Jugend zurückdenke, dann fällt mir auf: Diese Kontrollmechanismen, die gab es bei mir. Ich meine mich sogar daran zu erinnern, wie eine Freundin mich auf meinen Hasskommentar angesprochen hat. Sie fand das nicht okay. Mir war das einfach nur unfassbar peinlich. Mittlerweile kann ich mir denken, warum ich das damals gemacht habe: Ich wollte provozieren, mich besser fühlen und Langeweile hat bestimmt auch ihren Teil dazu beigetragen. Trotzdem bin ich froh, dass das mein letzter Hasskommentar geblieben ist.
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