Themenwoche Justizministerin Keding über Hass im Netz: "Zu lange heruntergespielt"

21. April 2020, 18:53 Uhr

Wer Menschen beleidigt oder anfeindet, muss mit Konsequenzen rechnen – im echten Leben und auch auf Facebook und Co. Die Politik spielte lange Zeit Hasskommentare in sozialen Netzwerken herunter. Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding ist froh, dass sich das geändert hat. Und doch weiß auch sie, dass "wir längst nicht dort sind, wo wir hinmüssen." Der zweite Teil des MDR SACHSEN-ANHALT-Wochenthemas über Hass im Netz.

Luca Deutschländer
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Justizministerin: Trollen keine Aufmerksamkeit schenken

Die Botschaft der Justizministerin ist klar. "Meine Empfehlung ist, im Netz nicht darauf zu reagieren", sagt Anne-Marie Keding. Stattdessen: Anzeige erstatten und einen Screenshot machen – das sei der richtige Weg, sagt die CDU-Politikerin. Wer im Netz Hass verbreite, der wolle Aufmerksamkeit – und dass User mundtot gemacht werden. Jede Antwort verstärkt die Aufmerksamkeit nur unnötig, meint die Justizministerin.

Die Ministerin hat in ihrem Büro empfangen, auf dem Tisch steht eine Kanne Kaffee. Es soll um das Thema Hass im Netz gehen – und um das, was Sachsen-Anhalt dagegen unternimmt. Zum Zeitpunkt des Interviews ist die Corona-Krise noch ganz am Anfang. Auch jetzt gelten aber schon: Hände-Schütteln ist unerwünscht, Abstand halten geboten. Aus dem Büro blickt Anne-Marie Keding direkt auf den Domplatz, bis zum Landtag sind es nur ein paar Schritte zu Fuß.

Betreiber von sozialen Netzwerken in der Pflicht

Wer Hasskommentare auf Facebook und Co. verbreitet, begeht kein Kavaliersdelikt. Das ist seit Jahren immer wieder zu hören. Auch Anne-Marie Keding weist darauf hin. "Wir müssen dafür sorgen, dass das, was im realen Leben gilt, auch im Netz gilt", sagt sie. Dafür müssten Hasskommentare einerseits strafrechtlich verfolgt werden – andererseits sind laut Keding auch Facebook und Co. in der Pflicht. Zu oft nämlich lasse sich nicht zurückverfolgen, wer da eigentlich seinen Hass ablässt. "Weil es anonymisiert abläuft und es keine Datenspeicherung auf Dauer gibt", wie Keding sagt. "Wir sind mit unseren technischen und personellen Kapazitäten nicht dort, wo wir hinmüssen."

Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) sitzt im Plenarsaal während der Regierungserklärung im Landtag von Sachsen-Anhalt
Wer von Hass im Netz betroffen ist, sollte nach Ansicht von Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding Anzeige erstatten. (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Peter Gercke

Anne-Marie Keding trinkt abwechselnd Kaffee und Tee. Ihr Hals kratzt ein wenig. In anderen Bundesländern, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, kümmern sich inzwischen spezialisierte Staatsanwälte darum, Hass im Netz zu verfolgen. Auch Sachsen hat angekündigt, im Laufe dieses Jahres den Weg für spezialisierte Staatsanwälte freizumachen. Sie sollen sich darum kümmern, dass Hassrede im Netz konsequenter verfolgt und bestraft wird. Ist das auch eine Option für Sachsen-Anhalt?

"Wir gucken uns alles an", sagt Anne-Marie Keding. "Wir übernehmen das, was in Sachsen-Anhalt sinnvoll ist." Spezialisierte Staatsanwälte in einem separaten Dezernat sind das nach Einschätzung der Ministerin nicht. Warum eigentlich nicht? "Wir sind von der Bevölkerungszahl ein relativ kleines Bundesland", referiert Keding. "Wir haben in den Staatsanwaltschaften in Dessau, Stendal, Magdeburg und Halle Sonderdezernate eingerichtet, die sich auch um Hass im Netz kümmern." Außerdem gebe es bei der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg einen Ansprechpartner für Hasskriminalität, online wie offline. In Sachsen-Anhalt habe man das Glück, relativ wenige bekannte Fälle zu haben, sagt Keding. 180 bekannt gewordene Delikte waren es im vergangenen Jahr.

Hasskommentare viel zu lange heruntergespielt

Der Hass im Netz sei viel zu lange heruntergespielt worden, sagt Anne-Marie Keding. Viele hätten gedacht – auch in der Politik –, dass das mit dem realen Leben nicht viel zu tun habe. Inzwischen sei das anders, sagt Keding und zählt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder die Pflicht sozialer Netzwerke auf, bestimmte Kommentare zu löschen. Auch bei den Strafverfolgungsbehörden spielt Hass im Netz inzwischen eine größere Rolle, betont die Ministerin.

"Polizei und Staatsanwaltschaften gucken hin", sagt Keding. Und: "Strafverfahren werden nicht wegen fehlenden öffentlichen Interesses eingestellt." Bei Beleidigungen außerhalb von Facebook und Co. passiere das häufiger mal. In den sozialen Netzwerken ist die Öffentlichkeit aber durchaus gegeben, betont die Justizministerin. "Diese Kommentare werden ins Netz eingestellt, tausendfach gesammelt und verbreitet."

Das sagen die Fraktionen im Landtag

Der Hass im Netz beschäftigt viele Menschen, inzwischen gibt es viele Initiativen, die sich dagegen einsetzen. Häufig betroffen sind neben Medienschaffenden Politikerinnen und Politiker. Zugleich sind sie es, die am eheste etwas gegen Hasskommentare unternehmen können. Und das sei auch dringend nötig, argumentierten die Fraktionen im Landtag auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Viele von ihnen sehen das Land aber auf einem guten Weg.

CDU: "Begrüßen geplante Änderung beim NetzDG"

Es sei nicht vertretbar, dass eine kleine Zahl von Menschen im Netz einen "Raum der Angst und des Hasses" schaffe, findet die CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Eine Sprecherin teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, dass die CDU-Fraktion für eine Änderung von Paragraph 140 des Strafrechtes ist. Der regelt die sogenannte Belohnung oder Billigung von Straftaten. Bestraft werden müssten auch diejenigen, die rechtswidrige Taten befürworteten und somit mögliche Täter motivierten, argumentiert die CDU. Auch müssten antisemitisch motivierte Straftaten härter geahndet werden.

Von der geplanten Änderung des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes (NetzDG) erhoffen die Christdemokraten sich nach eigenen Worten viel. Man begrüße den Plan, dass besonders schwere Fälle einer neuen Zentralstelle beim BKA gemeldet werden sollen, hieß es.

Die CDU verfährt bei Hasskommentaren oder Beleidigungen gegen sich nach eigenen Angaben unterschiedlich. Einerseits blockiere oder lösche man Kommentare oder Einträge, in einigen Fällen versuche man aber auch, zu argumentieren.

SPD: "Gesetzentwurf ist schritt in die richtige Richtung"

"Ein Schritt in die richtige Richtung" – so kommentiert die SPD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt den Gesetzentwurf der Koalition im Bund zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität. Sachsen-Anhalt sei im Kampf gegen Hasskommentare "bisher noch gut aufgestellt". Staatsanwaltschaften und Polizei arbeiteten eng zusammen. Wenn das Bundesgesetz jedoch neue Aufgaben mit sich bringe, müssten die auch in Sachsen-Anhalt berücksichtigt werden, auch finanziell. Zu Debatten, Redaktionen das Melden von Hasskommentaren zu vereinfachen (wie in Bayern oder Nordrhein-Westfalen), meint die SPD: Das sei dort nötig gewesen, weil mehrere Generalstaatsanwaltschaften mit großen Bezirken bestehen. In Sachsen-Anhalt gebe es nur die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg, sie sei zentraler Ansprechpartner. Ein vereinfachter Meldeweg sei durchaus eine Option. Dafür fehlten aber technische und personelle Ressourcen.

SPD-Abgeordnete verfahren laut Pressestelle unterschiedlich, wenn sie angefeindet werden. Der netzpolitische Sprecher Holger Hövelmann etwa hat mehrfach erlebt, dass Verfahren eingestellt worden sind. Das habe ihn von weiteren Anzeigen abgehalten. "Heute lösche ich beleidigende Mails, entsprechende Briefe kommen in den Reißwolf."   

Grüne: "Brauchen Referat für Hasskriminalität"

Die Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt sind angesichts wachsender Zahlen von Beleidigungen im Netz dafür, ein Schwerpunkt-Referat für Hasskriminalität einzurichten. Die Einrichtung der sogenannten Internetpolizei beim Landeskriminalamt sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung gewesen – Polizei und Justiz seien aber nicht ausreichend für die Herausforderungen gerüstet.

Die "enorme Aggressivität im Internet und den sozialen Medien" begründen die Grünen unter anderem damit, dass Nutzer lange Zeit im Schutze der Anonymität beleidigen konnten, ohne strafrechtlich dafür belangt zu werden. Es sei wichtig, diesen Nutzern zu widersprechen, wenn andere Personen beleidigt würden.

Die Landtagsabgeordneten der Grünen gehen unterschiedlich mit Hass gegen sich um. Es gebe Abgeordnete, die davon betroffen seien. Wieder andere brächten die Fälle grundsätzlich zur Anzeige, hieß es.

AfD: "Beleidigungen zur Anzeige bringen"

Wer im Netz beleidigt wird, sollte das zur Anzeige bringen: Dieser Meinung ist der medienpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Tobias Rausch. Rausch teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, "Diskussionen im Netz" seien Abbild der zunehmend politisch gespaltenen Gesellschaft. Die im Dezember 2017 eingeführte "Internetstreife" des Landeskriminalamts hält die AfD demnach für ineffektiv. Aufwand und Nutzen stünden in keiner Relation. Stattdessen brauche es Aufklärungsarbeit beim Umgang mit demokratiefeindlichen Aussagen im Netz.

Initiativen aus Nordrhein-Westfalen, wo Redaktionen Hasskommentare mit wenigen Klicks an spezialisierte Staatsanwaltschaft übermitteln kann, hält Rausch für nicht realistisch. Die Personaldecke bei Polizei und Justiz sei in Sachsen-Anhalt zu dünn.

Abgeordnete der AfD stellen bei Anfeindungen oder Beleidigungen gegen sich Strafanzeige, teilte Rausch mit. Das gelte aber nur für Aussagen, die nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien.

Linke: "Volle Solidarität mit Betroffenen"

Von einem "enormen Problem" spricht die Innenexpertin der Linken im Landtag, Henriette Quade. MDR SACHSEN-ANHALT teilte sie mit, der Hass  im Netz sei zumeist rechtsextrem, antisemitisch und frauenfeindlich. Man dürfe die politische Dimension nicht aus den Augen verlieren, auch nicht im analogen Leben. Es brauche im Allgemeinen eine "Ächtung rechtsextremer Positionen". Die Internetstreife in Sachsen-Anhalt sei richtig, das reiche aber noch nicht aus. Es brauche mehr Personal. Dazu kommt, dass das Strafmaß bei rechten Straftaten "viel zu oft" nicht ausgeschöpft werde. Verfahren würden wegen Geringfügigkeit eingestellt, die rechtsextreme Tatmotivation werde nicht immer erkannt und juristisch gewürdigt. Laut Quade wird die Richtlinie zum Umgang mit Opfern rechtsextremer Straftaten nicht umgesetzt.

Abgeordnete der Fraktionen bringen justiziable Kommentare nach Angaben von Henriette Quade zur Anzeige. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen ließen sich aber nicht einschüchtern. Wichtiger sei ohnehin, auf diejenigen zu schauen, die nicht so geschützt seien wie Politikerinnen und Politiker. "Menschen, die nicht als deutsch wahrgenommen werden" in etwa. Ihnen müsse die volle Solidarität gelten.

Justizministerin Anne-Marie Keding weiß, dass in der Debatte über Hass im Netz auch die Politik gefragt ist. "Wir alle müssen bereit sein, andere Meinungen zu akzeptieren und auszuhalten", sagt sie. "Diskussionen können scharf geführt werden", das sei ja klar. "Wichtig ist jedoch, dabei nicht persönlich und verletzend zu agieren."

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. März 2020 | 13:40 Uhr

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