Schwerpunkt: Hass im Netz Warum MDR SACHSEN-ANHALT nicht jeden Kommentar freigibt – auch, wenn er kein Hasskommentar ist
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29. April 2020, 13:49 Uhr
MDR SACHSEN-ANHALT berichtet in einer Themenwoche über Hass im Netz. Eine Kommunalpolitikerin kommt zu Wort, außerdem ein Rechtsanwalt, die Justizministerin und ein Profisportler. Damit war der Themenschwerpunkt abgeschlossen, dachte die Redaktion. Doch zahlreiche Kommentare trafen ein, davon viele kritische der Redaktion gegenüber. Grund genug, das Thema nochmal aufzugreifen. Dabei geht es auch um die Frage, warum einzelne Kommentare nicht freigeschaltet werden konnten.
Ein Hasskommentar ist nicht gleich ein Hasskommentar. Die vergangene Woche hat das noch einmal gezeigt. MDR SACHSEN-ANHALT hatte sich da dem Thema Hass im Netz gewidmet. Es ging um Hass gegen Menschen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren – und um Hass gegen Profisportler. Die Justizministerin räumte ein, dass die Politik zu lang weggesehen hat. Alle Texte, insgesamt waren es fünf, zogen viele Kommentare nach sich. Einige davon hat die Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT nicht freigeschaltet. Dabei war kaum einer dieser Kommentare auch wirklich rechtswidrig.
Warum also wurden Kommentare trotzdem nicht freigeschaltet? Weil MDR SACHSEN-ANHALT darin zum Beispiel vorgeworfen wurde, "einen an der Klatsche zu haben"? Nein. Darum nicht. Denn diese Aussage ist erst einmal von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Dienstagmorgen, 8 Uhr. Besprechung per Telefon. MDR SACHSEN-ANHALT hat die Juristin im Haus gebeten, auf einige der nicht freigegebenen Kommentare zu schauen. Es soll um die Unterschiede von rechtswidrigen Kommentaren gehen und solchen Zuschriften, die MDR SACHSEN-ANHALT mit Verweis auf die Netiquette nicht freigibt.
Der Verweis auf die Netiquette hat nichts mit Zensur zu tun
"Die Netiquette ist eine Art virtuelles Hausrecht", erklärt die Juristin, deren Name an dieser Stelle nichts zur Sache tut. Dieses "Hausrecht" kann jeder einsehen, die Netiquette ist für alle öffentlich. Was dort steht, ist für die Social Media-Teams im MDR eine Richtschnur ihrer tagtäglichen Arbeit. "Wer zu einer Feier einlädt, hat dieses Hausrecht genauso. Wer den Ablauf stört oder nur rumpöbelt, den muss ich als Gastgeber auch nicht dulden", sagt die Kollegin. "Weil er sonst im Zweifel alle anderen stört. Das ist auf unseren Kommentar-Plattformen nicht anders." Im Kern geht es schließlich darum, anderen Nutzerinnen und Nutzern eine sachliche Diskussion zu einem Thema zu ermöglichen.
Das hat dann auch nichts mit Zensur zu tun, wie dem MDR regelmäßig vorgeworfen wird – oder damit, dass die Redaktion sich über die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit stellen würde. "Beim Anbieten einer Kommentarfunktion ist die Moderation im Hinblick auf einen sachlichen Austausch wichtig. Insbesondere ist darauf zu achten, dass keine rechtswidrigen Kommentare, die gegen Strafnormen, Gesetze oder Rechte Dritter verstoßen, veröffentlicht werden", sagt die Expertin und ergänzt: "Wir müssen unseren Redakteuren nicht alles zumuten." Wichtig sei außerdem, dass der Tonfall im Kern sachlich bleibe. "Ein Kommentar am Rande der Ehrverletzung kann schließlich oft viele weitere Kommentare zur Folge haben, die dann wiederum beleidigend oder verunglimpfend sind." All diese Kommentare müssen gelesen und moderiert werden.
Richtlinien für Kommentare beim MDR – ein Auszug
MDR.DE bietet allen Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit, ihre Meinung zu aktuellen Beiträgen zu äußern. Bitte beachten Sie bei Ihren Kommentaren unsere Netiquette. Achten Sie auf einen freundlichen Umgangston, behandeln Sie andere Nutzer so, wie Sie selbst behandelt werden möchten und respektieren Sie die Meinung jedes Einzelnen. [...]
Veröffentlicht werden nur Nutzerbeiträge, die auf den jeweiligen Artikel und sein Thema seriös und sachbezogen eingehen.
Nicht erwünscht sind:
- rechtswidrige, ehrverletzende und beleidigende Aussagen,
- Entwürdigungen, Verunglimpfungen, Bedrohungen und Aufforderungen zu Gewalt in jeglicher Form,
- Rassismus und Hasspropaganda,
- Pornografie und Obszönitäten,
- nicht nachprüfbare und unwahre Tatsachenbehauptungen,
- Zitate ohne die Angabe einer Quelle bzw. des Urhebers,
Urheberrechtsverletzungen,
- Links zu Webseiten, die nicht Teil des ARD/ZDF-Angebotes sind,
- kommerzielle Inhalte wie Kaufangebote, Dienstleistungen oder Werbung,
- Wahl- und Parteienwerbung sowie Aufruf zu Demonstrationen und Kundgebungen jeglicher politischer Richtungen,
- fremdsprachige Beiträge,
- Beiträge ohne Bezug zum Thema des Posts,
- Spamming, Trolling, Bashing,
- Teilnahme an der Diskussion mit mehreren Profilen
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Entsprechend großzügig ist sie auch in der Rechtssprechung ausgelegt. "Wenn sich jemand sachlich und kritisch mit etwas auseinandersetzen möchte, kann er auch drastische Worte wählen. Man darf da durchaus auch vom Leder ziehen", sagt die Juristin. Das gilt aber nur, wenn zum Beispiel keine Falschbehauptung aufgestellt wird. Dann ist Schluss, auch mit der Meinungsfreiheit.
Dass MDR SACHSEN-ANHALT einen "an der Klatsche hat", wie einer der Kommentatoren vorige Woche schrieb, ist grundsätzlich erst einmal in Ordnung. Trotzdem wurde der Kommentar nicht freigeschaltet. Das hat im Wesentlichen mit der Kommentarkultur zu tun. Wer bei MDR SACHSEN-ANHALT sachlich, kritisch und intensiv diskutiert, ist dazu herzlich eingeladen. Wichtig: Er oder sie soll sich dabei wohlfühlen – und nicht von einigen wenigen Usern abgeschreckt werden.
Die Meinungsfreiheit und das virtuelle Hausrecht
Der MDR bietet im Internet zu Beiträgen mit der Kommentarfunktion eine Plattform für Jedermann, der an einem sachlichen Austausch interessiert ist. Die Meinungsfreiheit ist dabei zu beachten. Sie muss grundsätzlich gewährleistet sein. Aber: Der MDR kann die Art und Weise, wie die Meinungsfreiheit zum Ausdruck gebracht werden darf, als Anbieter der Kommentarplattform einschränken – indem er Regeln aufstellt, die vorab zu beachten sind. Das ist dann das virtuelle Hausrecht, eher bekannt als Netiquette.
Anhand von sachlichen Gründen kann der MDR die Art und Weise der Nutzung der Plattform regeln. Der MDR hat dies mit seinen Kommentarrichtlinien/der Netiquette getan. Dort ist ein Hinweis auf die ohnehin zu beachtenden Grenzen durch Gesetze und die Rechte Dritter, aber z.B. auch auf Inhalte, die keinen sachlichen Zusammenhang zum jeweiligen Diskussionsthema aufweisen oder werbenden Charakter haben.
- Die Meinungsfreiheit gilt auch nicht schrankenlos. Sie findet Grenzen dort, wo sie mit Rechten von Dritten kollidiert und auf Grund von Gesetzen eingeschränkt wird.
- Es sind die gesetzlichen Schranken zu beachten wie etwa Verstöße gegen Ehrdelikte im Strafrecht, wenn die Schmähung und Herabwürdigung eines anderen im Vordergrund steht, wenn unwahre oder nicht erweislich wahre Tatsachen behauptet werden – aber auch, wenn gegen Urheber, Marken, Wettbewerbs- oder Persönlichkeitsrechte und weitere Rechte Dritter oder gar Gesetze verstoßen wird.
Nach der sogenannten Störerhaftung trifft den MDR die Pflicht, Gesetzesverstöße nicht zuzulassen bzw. nach Kenntnisnahme zu unterbinden, z.B. durch Löschung. Oder indem ein solcher Kommentar gar nicht erst veröffentlicht wird.
Hasskommentare – also solche, bei denen die Verunglimpfung oder Herabwürdigung anderer im Vordergrund stehen – werden auf MDR.de grundsätzlich gar nicht erst freigegeben – wenn darin zum Beispiel pauschal über eine bestimmte Gruppe von Menschen gehetzt wird. Es gibt allerdings keine einheitliche Definition, was genau ein Hasskommentar ist. Klar ist: Im Vordergrund steht darin der Ausdruck von Hass gegen Personen oder Bevölkerungsgruppen, vor allem durch Ausdruck oder Sprache, die der Herabwürdigung und Verunglimpfung dieser Personen oder Bevölkerungsgruppen dienen.
Dann kann ein Verstoß gegen Straftatbestände vorliegen – wie etwa gegen die Strafnormen zum Schutz der persönlichen Ehre wie Beleidigung (§ 185), üble Nachrede (§ 186), Verleumdung (§ 187) oder auch gegen Strafnormen wie die Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder die öffentliche Aufforderung zu Gewalttaten. Oft ist bei Hasskommentaren der Straftatbestand der Volksverhetzung relevant – "ein diffiziler Straftatbestand", erklärt die MDR-Juristin.
Grundsätzlich gilt: Ein Kommentar ist per juristischer Definition nur dann volksverhetzend, wenn in ihm gegen eine bestimmte Gruppe von Personen gehetzt wird – und der Kommentar auch dazu führen kann, den öffentlichen Frieden zu stören.
Innovation aus Halle: Software soll Hass im Netz erkennen
Hasskommentare im Netz – längst keine Seltenheit mehr. Und es gibt immer mehr Initiativen, die sich – fernab von politischen Diskussionen – selbst darum kümmern, den Hass einzudämmen. Dr. Uwe Bretschneider hat für seine Doktor-Arbeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eine Software entwickelt, die Hate Speech automatisch erkennen soll. Bretschneider sagte im MDR SACHSEN-ANHALT-Podcast "Digital leben", es gehe darum, Beleidigungen gegen Einzelpersonen oder Gruppen von Einzelpersonen und Religionen zu erkennen. Dafür hatte Bretschneider eine Liste mit Schimpfwörtern angelegt. "Mein Verfahren berücksichtigt explizit die Beziehungen zwischen hasserfülltem Wort und Wörtern, die sich auf Menschen beziehen. Dazu gibt es viele Regeln, wie wir mit Sprachen umgehen und (…) es zeigt immer an, aufgrund welcher sprachlichen Beziehung das System angeschlagen hat."
Anders als beispielsweise bei Facebook zeigt die Software von Bretschneider auch an, warum ein Kommentar als Hate Speech eingestuft worden ist.
Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.
Quelle: MDR/ld
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. März 2020 | 13:40 Uhr
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