Mobilitätswende E-Fuels: Unwirtschaftlich, rar und Technologieoffenheit ein Mythos
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13. April 2023, 10:04 Uhr
Zur Freiheit gehört auch die Freiheit der Technologie, meint das Bundesverkehrsministerium. Trotzdem sind synthetische Kraftstoffe wie E-Fuels im Straßenverkehr keine gute Idee, sagt ein Fraunhofer-Institut, dessen Aufgabe es ist, Innovationen unter die Lupe zu nehmen. Die Technologieoffenheit sei sowieso gegeben, die Kraftstoffe selbst aber sind nicht wirtschaftlich und könnten andere Technologien behindern.
Der Streit um E-Fuels hat sich in den vergangenen Wochen – von Mobilitätsthemen kennt man das bereits – zu einer Glaubensfrage hochgeschaukelt. Das liegt nicht zuletzt an Bundesregierung und Verkehrsministerium als eine Art religiöser Institutionen bei dieser Thematik, samt Volker Wissing (FDP), der nicht nur vor Deutschland, sondern auch der Europäischen Union die Rolle des E-Fuel-Priesters eingenommen hatte. Die Argumentation verlief aber nicht dahingehend, nur zu glauben, dass E-Fuels eine gute oder schlechte Idee sind. Sondern vor möglichen Innovationen nicht die Augen zu verschließen und technologieoffen zu handeln.
Der Einsatz von durch elektrischen Strom erzeugten Verbrennungskraftstoffen – durch die nun auch ab 2035 Neuwagen zugelassen werden dürfen – ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand schlichtweg nicht zu empfehlen. Vor allem im Straßenverkehr. Derzeitiger wissenschaftlicher Stand heißt: Das könnte sich ja eigentlich ändern, wenn sich die mobilitätshungrige Gesellschaft technologieoffen und innovationsfreudig zeigt. Eine These, die vom Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) jetzt hinterfragt wurde. Das meldet sich naturgemäß bei technologischen Innovationsfragen zu Wort – und versucht dabei, auch in seiner Rolle als Forschungs-Kitt zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, den Einfluss künftiger Entwicklungen nicht zu untergraben.
Vor allem: Eine Bremse für die Mobilitätswende
In einem aktuellen Diskussionspapier attestieren die beteiligten Autorinnen und Autoren E-Fuels allerdings keine Zukunftsfähigkeit – zumindest auf der Straße nicht, also bei Pkw und Lkw. Der Grund, der als entscheidend angesehen werden darf, wird in diesem Papier sogar erst an letzter Stelle genannt. Vielleicht weil er wie eine Randnotiz wirkt, vielleicht aber auch, weil er besonders wichtig ist und über allem steht: E-Fuels haben das Potenzial, die Mobilitätswende zu verzögern oder zu behindern.
"Aus Innovationssicht gesehen könnten notwendige Initiativen in Richtung Elektromobilität oder andere alternative Mobilitätsformen verlangsamt werden – denn zum Gelingen der Verkehrswende braucht es auch klare Signale sowie Planungs- und Erwartungssicherheit", sagt Martin Wietschel, Leiter des Kompetenzzentrums für Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer-ISI. Soll heißen: Skeptikerinnen und Skeptiker sind weniger bereit, (jetzt schon) auf alternative Antriebsformen umzusteigen (keine lokalen Emissionen), Sharing-Systeme zu nutzen (weniger Autos in Produktion, Stadtraum und Straßen) oder ganz auf Individualverkehr zu verzichten. Gilt natürlich auch für den Warentransport und dessen potenzielle Verlagerung auf die Schiene.
Aber da ein Fraunhofer-Institut seine Forschung klar in Richtung Wirtschaft adressiert, werden auch die folgenden Punkte nicht vergessen – und sprechen eine klare Sprache:
1. Ökonomisch nicht zielführend
So sind die Umwandlungsverluste (aus grün erzeugtem Wasserstoff und aus der Atmosphäre gefiltertem Kohlenstoff) aus Sicht der Forschenden enorm und eine direkte Elektrifizierung viel effizienter. Insbesondere durch ihren schlechten Wirkungsgrad seien E-Fuels sehr teuer, das werde auch zur Mitte des Jahrhunderts noch der Fall sein. Einkommensschwache Personen könnten sich E-Fuels also nicht leisten. Nach Kostensenkungsmaßnahmen solle in den kommenden Jahrzehnten ein Preis von 1,20 bis 3,60 Euro pro Liter erreicht werden. Das Dresdner Start-up Sunfire geht im Interview mit dem ADAC von einem Literpreis bis 1,70 Euro aus. Alles vor Steuern – und da E-Fuels lokale Emissionen verursachen, ist trotz Klimaneutralität nicht automatisch davon auszugehen, dass sie steuerfrei verkauft werden. Die Autorinnen und Autoren des Fraunhofer-Papiers werfen neben Steuern noch mehr Kostenpunkte in den Raum, für weitere Abgaben, Gewinnmargen, Vertrieb sowie für Forschung und Entwicklung.
2. Stromproduktion muss verdoppelt werden
Die weltweite erneuerbare Stromproduktion müsste dem Papier zufolge im Vergleich zum heutigen Stand fast verdoppelt werden, um im Jahr 2050 einen weltweiten Anteil von zehn Prozent an grünem Wasserstoff und synthetischen Brenn- und Kraftstoffen einschließlich E-Fuels zu erreichen. Das würde dazu führen, dass die noch lange knapp und teuer sein werden.
3. Dort, wo's keine Alternativen gibt
Sowohl der Einsatz von grünem Wasserstoff als auch synthetischer Brenn- und Kraftstoffe solle dort zur Anwendung kommen, wo es (noch) keine brauchbaren Alternativen gibt. Als Beispiel nennen die Forschenden die Stahlindustrie, aber auch den Flug- und Schiffsverkehr. Auf die aus Sicht des Fraunhofer-ISI bisher alternativlosen Bereiche würden schon 15 Prozent des Energiebedarfs im Deutschland des Jahres 2045 fallen. Das, was da an Mengen für den Straßenverkehr übrig bleibt, sei kaum nutzbar.
4. CO2-Vermeidungskosten hoch
Wirtschaftlichkeit lässt sich laut Fraunhofer-ISI auch so ausdrücken: Bei E-Fuels liegen die Kosten für den Klimaschutz – also die Kosten, eine Tonne CO2 zu vermeiden – bei etwa 1.000 Euro im Jahr 2030. Elektromobilität und andere Klimaschutzmaßnahmen seien da deutlicher preiswerter.
5. Schlechte Umweltbilanz
Wir haben weiter oben bereits auf lokale Emissionen hingewiesen: Denn Klimaneutralität so im Großen und Ganzen heißt nicht Umweltverträglichkeit im Kleinen und Ganzen. Bei der Verbrennung von E-Fuels im Motor fallen Stickoxide, Kohlenmonoxid und Feinstaub an. Zudem sei durch den geringen Wirkungsgrad und den hohen Energiebedarf für die Herstellung ein starker Ausbau an Stromerzeugungskapazitäten notwendig, so die Forschenden. Das wiederum sei mit einem enormen Flächen- und Ressourcenbedarf an kritischen Rohstoffen verbunden, der sich in der Ökobilanz von E-Fuels negativ auswirke.
6. Technologieoffenheit
Für Fahrzeuge brauche es keine Technologieoffenheit, die seien schon jetzt E-Fuel-kompatibel. Was die Produktion der Kraftstoffe betrifft, müsse ebenfalls keine Technologieoffenheit eingefordert werden. Denn die Entwicklung schreite unabhängig vom Straßenverkehr voran, weil E-Fuels in der Luftfahrt und im Schiffsverkehr ohnehin benötigt würden. Sofern sich die Wissenschaft irrt und E-Fuels doch eine gute Idee für den Straßenverkehr sind, könne ihr Einsatz also problemlos zu einem späteren Zeitpunkt in Erwägung gezogen werden.
All diese Punkte sprechen dagegen, E-Fuels im Bereich des Straßenverkehrs zu fördern. Trotzdem werden durch den von der Bundesregierung forcierten EU-Kompromiss auch nach 2035 Verbrenner neu zugelassen, sofern sie mit E-Fuels gefüttert werden. Dafür soll es eine neue Fahrzeugkategorie geben. Möglicherweise steht die dann für ein neues Luxussegment, von dem ohnehin nur Privilegierte profitieren. Das aber, Religion hin, Religion her, anderen Innovationen gehörig im Weg stehen könnte.
Links/Studien
Das Diskussionspapier Eine kritische Diskussion der beschlossenen Maßnahmen zur E-Fuel-Förderung im Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung der Bundesregierung vom 28.3.2023 des Fraunhofer-ISI kann hier aufgerufen werden.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 28. März 2023 | 21:45 Uhr