Musikforschung Doping durch Musik: Was Songs und Sounds in uns bewirken

21. Juni 2023, 11:53 Uhr

Musik macht Stimmung und schafft Atmosphäre, klar. Aber was macht und was kann Musik noch alles bewirken? Im Podcast "Meine Challenge" will MDR WISSEN-Reporterin Daniela Schmidt herausfinden, wie genau Musik sich auf unser Gehirn, unsere Emotionen und unseren Körper auswirkt, welche Effekte sich tatsächlich nachweisen lassen und ob sie sich mit den richtigen Songs und Sounds besser motivieren und ihre Leistungsfähigkeit steigern kann.

Meine Challenge

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"Also Musikhören wird manchmal so ein bisschen unterschätzt als ein passiver Vorgang, aber es ist auch ein aktiver Vorgang. Musik steckt überall drin", sagt Gunter Kreutz, Professor für Systemische Musikwissenschaften an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. "Wenn ich Musik höre, Musik mache oder in ein Konzert gehe, werde ich da auf vielfältige Weise angeregt und auch aktiviert. Und das hat natürlich auch eine große Bedeutung für mein Gefühlsleben."

Wer Sex, gutes Essen und Drogen für überbewertet hält, der kann es ja mal mit Musikhören probieren, um wirklich gute, starke Gefühle zu erleben.

Gunter Kreutz,Professor für Systematische Musikwissenschaften an der Universität Oldenburg

Musik wirkt. Und sie hat Macht. Um diese zu begreifen, müsse man nur einmal die dunkle Seite ihres Wirkungsspektrums betrachten: "Nicht umsonst wird Musik auch als Folterinstrument eingesetzt. Es gibt zum Beispiel Berichte aus der griechischen Diktatur, dass die politisch Gefangenen gefragt wurden: 'Was ist eigentlich dein Lieblingslied?', und dann bekamen die ihr Lieblingsstück 24 Stunden am Tag zu hören. Das ist natürlich perfide, weil es wirklich die Lust an der Musik vollkommen zerstört."

Musik als Management-Instrument unserer Laune

Dass wir das Potenzial von Musik nutzen, um unsere Stimmung gezielt zu beeinflussen, ist belegt. "Mood Management" lautet der Begriff, den die Mediennutzungsforschung für diesen Mechanismus geprägt hat: Wir wählen Medieninhalte – also nicht nur Musik, sondern etwa auch Bücher oder Filme – gezielt aus, um bestimmte Stimmungen ausleben zu können oder Stimmungswechsel hervorzurufen.

Ja, wir können uns durch Musik ganz gezielt zu – übertrieben gesagt – glücklicheren und besseren Menschen machen.

Ann-Kristin Herget, Musikwissenschaftlerin an der TU Dortmund
Gunter Kreutz, Professor für Systemische Musikwissenschaften, im Portrait.
Gunter Kreutz untersucht die psychologischen, körperlichen und sozialen Bedeutungen von Musikhören, Singen, Tanzen und Musizieren unter Laien. Bildrechte: MDR/Gunter Kreutz/Foto- und Bildwerk Oldenburg

Wie das im Alltag aussehen kann, verdeutlichen beispielsweise die Datenanalysen der Musik-Streaming-Dienste: "Studien zeigen, dass der Mensch mit seiner Musikauswahl praktisch dem Tagesrhythmus folgt. Wenn man es global betrachtet, ist es so, dass wir morgens aktivierende Musik wählen. Wenn wir abends zu Bett gehen, dann nehmen wir eher ruhigere Musik. Und dann gibt es natürlich die Nachtschwärmer, die nachts unterwegs sind und dann tanzbare Musik hören", erklärt Kreutz.

Die Bässe pumpen – der Körper auch

Wir nutzen Musik also als treue Begleiterin durch den Tag, als unsere Stimmungs-Managerin. Aber können wir sie auch nutzen, um unseren Körper zu pushen? "Ja, auf jeden Fall", macht Neurowissenschaftler Stefan Kölsch deutlich. Er ist Professor für Biologische und Medizinische Psychologie an der Universität Bergen in Norwegen und forscht dort unter anderem zur Frage, was Musik mit uns macht. "Wir haben gute Befunde dafür, dass Musik, die etwas schneller ist, eher belebend wirkt und andere kardiovaskuläre Reaktionen – also etwa Herzschlag, Blutdruck und Atmung – hervorruft als Musik, die langsamer ist und eher beruhigend wirkt."

Der Doping-Effekt der Musik

Also funktioniert Musik tatsächlich wie eine Art legales Doping für die Ohren? Wirkt der richtige Song zur richtigen Zeit auf die gleiche Weise wie etwa chemische Aufputschmittel? Solche Effekte lassen sich durchaus beobachten, sagt Stefan Kölsch, der Wirkmechanismus ist jedoch ein anderer – die Leistungssteigerung erfolgt dabei über Bande: "Musik selber steigert natürlich nicht die Muskelkraft. Es ist nicht die Musik, die mich sportlicher macht, sondern die Musik kann mich motivieren." Sei es für den Endspurt beim Joggen, wenn eigentlich schon keine Puste mehr da ist, oder für drei weitere Liegestütze, obwohl die Arme schon zittern.

Diese Wirkung über Bande hat auch ein Stück weit mit Ablenkung zu tun. Das zeigt sich anhand eines anderen Effekts, den Musik haben kann: Sie kann unser Schmerzempfinden beeinflussen. "Schmerz und Spaß hängen im Gehirn zusammen", erklärt Psychologe Kölsch. "Wenn ich Schmerzen empfinde und dann aber sozusagen ein paar Spaß-Moleküle in die Waagschale werfen kann, dann wird der Schmerz dadurch schon etwas geringer."

Wir können die schmerzreduzierenden Effekte von Musik steigern, indem wir uns an der Musik beteiligen: den Takt mitklopfen, laut oder innerlich mitsingen, zur Musik atmen.

Stefan Kölsch, Neurowissenschaftler an der Universität Bergen, Norwegen

Denn wenn unser Gehirn mit Spaßhaben, etwa durch das Hören unseres Lieblingsliedes, beschäftigt ist, hat es weniger Ressourcen für die Schmerzwahrnehmung. Und so, wie Musik uns von Schmerzen ablenkt, kann sie uns auch ablenken von der Anstrengung beim Sport – bei dem wir so dann länger durchhalten.

Vom Bewegungsmuffel zur Sportskanone?

Gute Laune, mehr Motivation zum Sport, da dann bessere Leistungen und zudem noch eine höhere Schmerztoleranz? Das lässt sich MDR WISSEN-Reporterin Daniela Schmidt vom Selbstversuchs-Podcast "Meine Challenge" nicht zweimal sagen. Daniela gehört zwar eher zur Sportmuffel-Fraktion, ist aber gleichzeitig extrem empfänglich für die Wirkung von Musik: Tränen, Euphorie, Gänsehaut oder das monumentale Gefühl, eine unbesiegbare Bäume-Ausreißerin zu sein – alles Effekte, die sie von sich kennt, wenn ihre Lieblings-Songs aus den Kopfhörern schallen. Schon morgens entscheidet manchmal allein der Shuffle-Modus ihrer Musikstreaming-App, ob sie mit hängenden Mundwinkeln und in Zeitlupe ins Bad schlurft oder motiviert und mit blendender Frühstückslaune unter der Dusche tanzt. Und nun will sie testen, ob sie mit Musik auch noch zur Sportskanone werden kann.

Die Freude an der Musik ist uns in die Wiege gelegt

Aber warum ist das überhaupt so? Warum versetzt uns eine Kombination verschiedener Schallfrequenzen, die auf unsere Ohren treffen, in derartige Zustände?

Neurowissenschaftler und Musikpsychologe Stefan Kölsch im Portrait.
In seinem Buch "Good Vibrations" beschreibt Neurowissenschaftler und Musikpsychologe Stefan Kölsch die heilende Kraft der Musik: "Klänge und Töne helfen unserem Körper besser als Medikamente". Bildrechte: MDR/Stefan Kölsch/Eivind Senneset

Generell hätten wir Menschen den Drang in uns, auf Musik zu reagieren, uns dazu zu bewegen, dazu zu tanzen. Und das geht im Kleinen schon los, lange bevor wir das Wort "Musik" überhaupt kennen, sagt Stefan Kölsch: "Es gibt Studien bei wenige Monate alten Kleinkindern, die gezeigt haben, dass diese dazu tendieren, sich im Takt zu bewegen, wenn sie Musik hören. Und wenn ihnen das gelingt, lächeln sie mehr, haben also mehr Spaß daran. Das ist also etwas, was uns als Menschen in die Wiege gelegt ist." Und das hat wiederum mit der Evolution zu tun.

"Wenn es zum Beispiel auf einmal laut neben uns knallt, dann zucken wir zusammen, Schweiß bricht aus, unser Herz schlägt schneller, unsere Pupillenweite ändert sich. Das sind alles ganz alte physiologische Reaktionen des Vitalisierungssystems in unserem Gehirn – und auf diese evolutionär alten Mechanismen sattelt Musik sozusagen auf", erklärt Kölsch. Musik drückt also gewissermaßen ganz sachte auf die Alarmknöpfchen in unserem Organismus – und auch das ist ein Faktor, der bei der sportlichen Leistungssteigerung dienlich sein kann.

Eine Doping-Musik für alle?

Wenn die Forschung all diese Effekte nachweisen kann, müsste es dann nicht auch möglich sein, mit Hilfe der Wissenschaft die ideale Song-Auswahl für emotionale Höhenflüge und sportliche Höchstleistungen zu kreieren?

Musikwissenschaftlerin Ann-Kristin Herget im Portrait.
Ann-Kristin Herget forscht am Institut für Musik und Musikwissenschaft der TU Dortmund und beschäftigt sich vor allem mit den Überschneidungen von Kommunikationswissenschaft und Musikpsychologie. Bildrechte: MDR/Ann-Kristin Herget

"Einerseits Ja, andererseits Nein", wiegt Ann-Kristin Herget den Kopf. "Es ist kompliziert." Herget ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musik und Musikwissenschaft der TU Dortmund und eigentlich ganz froh darüber, dass Musik eben nicht so funktioniert, dass der gleiche Reiz bei allen Menschen auch die gleiche Reaktion hervorruft: "Das wäre schlimm, denn dann wären wir extrem manipulierbar durch Musik – und das wollen wir ja auch wieder nicht."

Vielmehr gebe es drei Faktoren, die beeinflussen, ob und wie ein Song wirkt: Erstens, die Eigenschaften, die die Musik selbst mitbringt. Zweitens, die Eigenschaften, die die Rezipierenden mitbringen – was natürlich unfassbar individuell ist, weil wir alle sehr, sehr unterschiedlich sind. Und drittens, der Kontext, in dem wir dieser Musik begegnen.

Irritierte Erwartungen können uns pushen

Aber wenn "Eigenschaften der Musik" eine der Variablen in der Wirkungsgleichung ist, muss die Forschung doch irgendwelche Indizien haben, welche Eigenschaften welche Reaktion zumindest wahrscheinlich machen.

Und tatsächlich: "Wir wissen von einigen musikalischen Parametern, die zum Beispiel Gänsehaut auslösen. Etwa, wenn die Erwartungshaltung beim Hören plötzlich so ein kleines bisschen aufgerüttelt wird, wenn da etwas passiert, was wir eigentlich nicht erwartet haben." Und wie kann das aussehen, pardon: klingen? "Zum Beispiel, wenn über einen Korpus von vielen Instrumenten sich plötzlich die Melodie-Stimme erhebt, die Geige, oder eben die Sängerin mit einem sehr schönen Gesang", beschreibt Ann-Kristin Herget.

Tempo, Groove und Flow

Stefan Kölsch empfiehlt außerdem ein Tempo, das entweder den eigenen Bewegungen angemessen oder ein klein wenig schneller ist. Ebenfalls hilfreich: Ein gewisser Groove, also etwa durch einen Offbeat oder einen leicht versetzten Schlagzeug-Beat. Der führe dazu, dass unser Körper unwillkürlich das Bedürfnis hat, den vermeintlich fehlenden oder verspäteten Schlag durch eine Bewegung "auszugleichen". So fühlen wir uns aktiviert und motiviert, zum Beispiel beim Joggen schneller zu laufen. Und apropos Joggen: Bei repetitiven Aufgaben und Bewegungen kann repetitive Musik unterstützend wirken, ergänzt Ann-Kristin Herget, also Songs, bei denen sich bestimmte Strukturen wiederholen.

Entscheidend ist vor allem aber, dass man die Songs selbst auch wirklich mag, macht Stefan Kölsch noch einmal deutlich: "Also der Heavy-Metal-Enthusiast, der sagt 'Für mich ist dieses Stück motivierend und aktivierend und hilft mir dabei, mich aufzuraffen und Sport zu machen'. Und der nächste sagt: 'Also bei mir macht es Bach viel besser und dieses Heavy-Metal-Stück, das klingt für mich aggressiv und unheimlich'."

Mit all diesen Infos versucht MDR WISSEN Podcast-Host Daniela nun, sich ihre perfekte Musik-Doping-Playlist zusammenzustellen: eine gewisse Geschwindigkeit, Groove, Glücksgefühle und Spaß, repetitiv.

Arcade Fire – Ready to start
Arcade Fire – No cars go
Sigur Ros – Hoppipolla
Yves Tumor – Echolalia
Battles – Atlas
Hot Chip – Flutes
Idles – 26/27
I salute – How you like me now

Was Daniela in ihrem Selbstversuch, durch Musik ihre Leistung zu steigern, alles erlebt hat und ob sie ihre Herausforderung letztlich erfolgreich meistern konnte, gibt's im Podcast "Meine Challenge" zu hören.

Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 24. März 2023 | 12:00 Uhr

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