Dialekte & Regionalssprachen Projekt der Uni Magdeburg: Sprechen Sie Plattdeutsch?
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18. Oktober 2021, 15:12 Uhr
Machen wir ein kleines Gedankenexperiment: Versetzen Sie sich zurück in Ihre Kindheit, zu einer Familienfeier. Wie wurde da gesprochen? War die Sprachvielfalt früher größer? Beim Stichwort Dialekt denkt man vielleicht an kleine Dörfer oder Komiker wie Elsterglanz oder Olaf Schubert. Und bei den Regionalsprachen sieht es kaum anders aus: Wer kann in Sachsen-Anhalt schon noch Plattdütsch spreken? Sterben Dialekte und Regionalsprache langsam aus?
In Sachsen-Anhalt spricht man Plattdeutsch? Kommt das nicht von der Küste? Nicht nur, erläutert Ursula Föllner von der Arbeitsstelle Niederdeutsch an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg:
Bis hier in den Harz hinein zieht sich tatsächlich diese Region oder wenn wir in Niedersachsen sind bis hinter Göttingen. Also im Binnenland ist es auch durchaus zuhause.
In der Altmark spreche man noch das lebendigste Niederdeutsch, ergänzt sie. Doch auch in der Börde und im Harz werde es durchaus noch gesprochen. Mitten in Sachsen-Anhalt teilt nämlich eine Sprachgrenze das Land: Nördlich davon heißt es "ik" und südlich "ich".
Die Trennlinie ist diese berühmte ik-ich-Linie (…) und eine zweite Linie, fast parallel dazu, ist die maken-machen-Linie. Orte wie Stiege, Stollberg, Sachsa liegen in dem Gebiet, in dem man 'ich' sagt und Orte wie Benneckenstein, Quedlinburg, Hasselfelde liegen in der Region, in der man 'ik' sagt.
Doch diese Grenze ist der Wissenschaftlerin zufolge heute eigentlich schon fast eine fiktive. Denn in Sachsen-Anhalt gibt es immer weniger Menschen, die noch Plattdeutsch sprechen. Konnten in der Börde etwa im Jahr 1995 noch 43 Prozent der Einwohner Börder Platt, sind es einer aktuelleren Befragung zufolge nur noch 26 Prozent:
Wir beobachten in den letzten 100 Jahren eine starke Reduzierung der Anzahl der Menschen, die Plattdeutsch sprechen können. Es ist einfach nicht von einer zur anderen Generation weitergegeben worden.
Glaubt man Prognosen aus den 1960er-Jahren müsste es in der Börde längst ausgestorben sein, sagt Föllner. Doch das ist eben nicht passiert. Föllner erklärt, warum:
In der Börde hat sich dieses Plattdeutsche trotz der engen Kontakte zu Magdeburg gehalten, weil die Börde und die Börde-Bauern auch ein entsprechendes Selbstbewusstsein hatten und haben. Sie haben ihre Sprache durchaus parallel zur Standardsprache gepflegt und benutzt.
20 Jahre nach ihrer letzten großen Studie zum Thema will die Magdeburgerin sich nun in einer neuen Untersuchung der Frage widmen, wie verbreitet Niederdeutsch in Sachsen-Anhalt noch ist. In einer Hotspot-Studie will das Team drei Orte genauer unter die Lupe nehmen: Gibt es dort noch Plattsprecher? Und welche Bedeutung hat die Sprache für die Orte, die Menschen und das Leben in der Region?
Dazu kommt noch, dass wir uns nicht nur auf das Plattdeutsche, als das Niederdeutsche beschränken wollen, sondern die anderen Register mit in den Blick nehmen.
Sie will auch herausfinden, wer wann wo und mit wem Platt spricht und warum jemand zum Beispiel vom Magdeburgischen ins Plattdütsch wechselt und spricht. Mit ihrer Forschung will Föllner auch zum Erhalt des Niederdeutschen in der Region beitragen. Damit das klappt, müsste es eigentlich gesteuert vermittelt werden, sagt sie. Bestenfalls in der Schule wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Doch der Weg dahin ist lang. Dennoch hat das Plattdeutsche eine vergleichsweise große Chance, erhalten zu bleiben. Es ist nämlich Teil der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und genießt damit besonderen Schutz, erläutert Alfred Lameli, Direktor des Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas an der Philipps-Universität Marburg. Er erklärt, eine Regionalsprache wie das Niederdeutsche hat Anspruch auf besondere Pflege.
Das heißt, es muss möglich sein, im Alltag Niederdeutsch zu sprechen, an Universitäten Niederdeutsch zu lernen.
Mit dem Recht sind aber auch Pflichten verbunden, erläutert Lameli weiter. Sachsen-Anhalt hat zum Beispiel erst Anfang Dezember erlaubt, dass Gemeinden zu ihrem Ortsnamen auch ihren niederdeutschen Namen offiziell führen dürfen. Anderswo in Mitteldeutschland ging so etwas schon früher. So hatte der Bürgermeister von Silkerode bereits vor mehreren Jahren die Idee, sogar alle Straßenschilder mit einem zwieten Namen im Thüringer Platt zu versehen.
Ist Niederdeutsch also nur erhalten, weil es besonders geschützt ist? Und andere, wie die Dialekte, sterben dagegen langsam aus? Ganz so drastisch ist es nicht, sagt Ralf Knöbl vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS). Vom Aussterben sei auch schon vor 100 Jahren die Rede gewesen und trotzdem gibt es sie noch – insbesondere in Süddeutschland. Allerdings:
Sie verändern sich und haben sich immer verändert. Die Hauptveränderung ist die Angleichung, die Orientierung hin zu den Standardformen. Gleichzeitig wird man auch im gesprochenen Standard immer sprachräumliche Unterschiede wahrnehmen können, glaube ich.
Alfred Lameli erklärt das mit einer Umwertung: Was heute bei jüngeren Menschen als Dialekt gelte, sei eigentlich oft gar keiner mehr. Er bezeichnet das als regionalen Akzent, andere sprechen vom Regiolekt. Der kennzeichnet noch immer hörbar, woher man kommt. Was ist dann also der Unterschied zum Dialekt?
Das sind andere Systeme. Dialektsysteme sind historisch gewachsen über hunderte, man kann fast sagen, tausende Jahre. Sie haben in den Dialekten unterschiedliche grammatische Strukturen. Das betrifft auf einer sehr einfachen Ebene die Wörter. Im Dialekt sind also für den einen die Beine gleichzeitig die Füße und für den anderen eben nicht.
So heißt es laut der Forscher zum Beispiel in Dessau: "Die Beene tun mir da weh. Ich globe, ich habe sie durchjelaufen." In Weißenfels klänge das eher so: "De Füße dun mir weh, de sin durchgelafn." In Eisleben dagegen noch anders: "Ich glabe ich habe mich die Füße durchjelafn." Und in Halberstadt: "Die Fäute tun mir sehr weh, ich glaube, ich habe sie durchjelaufn."
Sprachwissenschaftler der Stiftung Leucorea (Lutherstadt Wittenberg) sehen darin allerdings noch eine zu große Nähe zum Standarddeutsch. "Bei mundartnäherer Ausprägung wären andere Formen zu erwarten", schrieb uns Dr. Ulrich Wenner. Für Dessau, wo Dativ und Akkusativ bei Personalpronomen zusammenfallen, würde es also heißen: "'tun mich weh' und statt 'globe' wäre 'jlobe' zu erwarten". Und beim Beispiel Halberstadt wäre laut dem Wittenberger Forscher "statt 'mir' ein 'mick' oder 'meck' zu erwarten sowie statt 'ich' 'ik' und auch eher 'durchjeloofen' statt 'durchjelaufen'".
So hört man je nach Ort also noch deutlich, wo jemand herkommt. Doch je jünger die Sprechenden sind, um so schwerer wird das, sagt der Marburger Sprachwissenschaftler: Viele können nämlich immer mehr von starker regionaler Färbung einfach so in beinahe akzentfreies Standard wechseln.