Sprachforschung Sächsisch: Karriere-k.o.-Kriterium für Männer?

10. September 2021, 13:39 Uhr

Es gibt Dialekte, die machen einem das Leben in bestimmten Situationen offenbar schwer, wenn man sie spricht. Das weist eine Dissertation aus Berlin für Mittelbairisch- und Obersächsisch-Sprecher nach.

"Kimmst a moi wida obi?" sagt der Onkel aus Bayern und schlägt der Nichte aus Sachsen wohlwollend auf die Schulter. Die Sechsjährige macht große Augen. "Ob du mal wieder herkommst", flüstert die Mutter der Tochter ins Ohr. "Nur wenn du nich so buzsch reedn duust", antwortet die trocken. Während in der Verwandtschaft dialektale Missverständnisse für Gelächter sorgen, können sie im Berufsleben ganz andere Nebenwirkungen haben, wie Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Kerstin Trillhaas in ihrer Dissertation zeigt. Sie hat für ihre Arbeit das Obersächsische (Städtedreieck Leipzig, Dresden, Chemnitz) und das Mittelbairische (Großteil von Ober- und Niederbayern inkl. München) untersucht, bzw. wie die Menschen von anderen wahrgenommen werden, die diesen Dialekt nicht sprechen.

Für ihre Untersuchung hatte die Forscherin dialektale Sprachaufnahmen mit einem Modell aus der Psychologie kombiniert. Das Fünf-Faktoren-Modell, auch "Big Five" genannt, ist ein Standardmodell zur Beschreibung von Persönlichkeiten, von denen sie drei Faktoren benutzte.

Die Big Five: Was ist das denn?

Neurotizismus: Das beschreibt eine Neigung zu emotionaler Labilität, Ängstlichkeit und Traurigkeit. Extraversion: Diese Eigenschaft beschreibt die Neigung zur Geselligkeit und zum Optimismus. Introversion ist das Gegenstück dazu und beschreibt die Neigung zur Zurückhaltung. Offenheit für Erfahrungen meint Offenheit für Fantasie, Ästhetik, Gefühle, Handlungen, Ideen sowie Offenheit des eigenen Normen- und Wertesystems, Wissbegierde, Neugier auf neue Erfahrungen. Verträglichkeit bezieht sich auf Vertrauen, Freimütigkeit, Altruismus, Entgegenkommen, Bescheidenheit sowie Gutherzigkeit, eine Neigung zur Kooperation und Nachgiebigkeit. Das Stichwort Gewissenhaftigkeit bündelt die Neigungen zu Ordnungsliebe, Plichtbewusstsein, Disziplin, hoher Leistungsbereitschaft und Zuverlässigkeit.  

Dialekt und Persönlichkeitswahrnehmung: Wie wurde das untersucht?

Von den Big Five der Persönlichkeitsfaktoren wurden in Dr. Trillhaases Untersuchung drei benutzt: Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Die Probanden mussten einen Satz mit einer Standardsituation jeweils in ihrem Dialekt und in Standarddeutsch vorlesen. Die Tonaufnahmen wurden dann von Hörerinnen und Hörern aus anderen Bundesländern angehört und bezüglich der drei Persönlichkeitsfaktoren bewertet.

Konservativ und wenig gewissenhaft: Werden sächselnde Männer nicht ernst genommen?

Schild auf dem steht auf Bairisch: "Hoit! Da gehts eini! I gfrei mi!"
"Halt, da geht' s rein. Ich freu mich!" Kennen Sie ähnliche Bilder aus Sachsen? Bildrechte: IMAGO / Rudolf Gigler

Die Auswertung zeigte: Sächsisch sprechende Frauen und Männer wurden hinsichtlich Offenheit für Erfahrungen signifikant schlechter beurteilt, als wenn sie einen Text in Standarddeutsch vorlasen. Beim Faktor Gewissenhaftigkeit schnitten die obersächsisch sprechenden Männer in der Wahrnehmung ebenfalls schlechter ab als beim Standartdeutsch; obersächsisch sprechende Frauen dagegen nicht so sehr. Forscherin Dr. Trillhaase ist einerseits überrascht über den Unterschied zwischen den Geschlechtern. Bezogen auf die Wahrnehmung sächselnder Männer sagt sie: "Führt man sich vor Augen, dass gewissenhafte Menschen als ordentlich, pflichtbewusst oder diszipliniert beschrieben werden und dem sächselnden Mann das alles kaum zugesprochen wird, könnte man fast zu dem Schluss kommen, er werde in seiner Kompetenz nicht ernst genommen." Und beim Faktor Verträglichkeit? Hier wurden keine bemerkenswerten Unterschiede in der Wahrnehmung registriert, weder beim Vergleich Frauen und Männer noch zwischen der Sprechweise.

Das Forschungsergebnis erinnert indirekt an die Ergebnisse von Befragungen zur Beliebtheit/Unbeliebtheit deutscher Dialekte: Schon 2008 war Sächsisch laut Allensbach-Institut der unbeliebteste Dialekt Deutschlands.

Mann oder Frau: Der kleine Unterschied, wer Dialekt spricht

Dialekt beeinflusst also wie Persönlichkeiten wahrgenommen werden und Dialekt sprechende Männer sind von der Verzerrung in der Wahrnehmung stärker betroffen als Frauen, sagt Dr. Trillhaase. Das zeigte sich auch bei den Ergebnissen für das Mittelbairische. Bei mittelbairisch sprechenden Frauen hat der Dialekt laut der Untersuchung auf die Wahrnehmung als offen und gewissenhaft im Vergleich zum Standarddeutsch nur kleine Effekte. Und die mittelbairisch sprechenden Männer wurden auch als weniger offen und gewissenhaft wahrgenommen, als wenn sie Standarddeutsch sprechen, aber nicht so negativ wie die obersächsisch sprechenden.

Aber warum beeinflusst das Dialektale überhaupt die Persönlichkeitswahrnehmung? Die Wurzeln dieser Vorurteile sind lang, sie reichen weit in die Geschichte zurück, in der Dialekte als "Bauernsprache" stigmatisiert und mit Bildungsferne und Einfältigkeit konnotiert wurden. Obwohl längst wissenschaftlich bewiesen ist, dass Dialekt nicht die Sprache einer sozialen Unterschicht ist. Dr. Trillhaase verweist auf eine Studie des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim von 2008: "Dialekt sprechende Personen haben per se kein niedrigeres Bildungsniveau als Sprecher des Hoch- beziehungsweise Standarddeutschs." Trillhaase verweist auf einen Sprachwandel seit 1945, weg von Basisdialekten hin zu einem Standarddeutsch.

Dialekt im Alltag: Was wir aus dieser Forschungsarbeit lernen können

Sprache ist ein mächtiges Instrument. Das zeigt die erbittert geführte Debatte um geschlechtsneutrale Sprache oder nicht-Minderheiten-verletzende Wortwahl. Egal, ob jemand zum Beispiel in einem Bewerbungsgespräch Dialekt spricht oder hört: Beide könnten sich dank der Berliner Forschungsarbeit nun der ungewollten Dialekt-Nebenwirkung bewusst sein.

Bayerischer Spruch "Der Mensch ist gut. Die Leute sind schlecht"
Dialekt kann zu falschen Schlüssen führen. Muss er aber nicht. Bildrechte: IMAGO / ecomedia/robert fishman

(lfw)

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