Eine Frau mit lockigen Haaren.
Haarforschung – wenn es um Locken geht, ist das nicht nur Kosmetik. Bildrechte: IMAGO/Zoonar

Studie zu welligen, krausen und lockigen Haaren Warum Locken-Forschung politisch ist

20. März 2024, 15:44 Uhr

Bislang wurde die meiste Haarforschung an den glatten Haaren weißer oder asiatischer Menschen durchgeführt. Eine aktuelle Studie will das ändern und analysiert Locken. Das ist wichtig für eine gute Haarpflege, hat aber auch eine politische Relevanz.

Der Mensch hat rund fünf Millionen Haare auf dem Körper – und lediglich 100.000 bis 150.000 von ihnen befinden sich auf dem Kopf. Kulturell bedingt wird diesem Teil der Körperbehaarung dennoch vielleicht die meiste Bedeutung zugemessen, immerhin gilt volles Haar als Symbol für Gesundheit und Jugend. In welcher Form das Haar dann allerdings aus der Kopfhaut herauswächst – also ob glatt, wellig oder lockig –, wird vererbt. Die genauen Umstände sind hier noch nicht abschließend geklärt, aber eine Studie von 2009 legt nahe, dass das Trichohyalin-Gen TCHH dabei eine Rolle spielt. Das Gen kodiert die Bildung des gleichnamigen Proteins Trichohyalin und dieses wiederrum kräftigt das Haar und lässt es glatt werden. Lockiges Haar ist also lockig, weil es weniger Trichohyalin angelagert hat.

Die meiste Forschung wurde an glatten Haaren durchgeführt

Abseits dieser Erkenntnis hat sich die Haar-Forschung allerdings meist glatten Haaren gewidmet, die zumindest in Europa und Asien der vorherrschende Haartyp sind – und quasi als Standard gelten. Harte Zeiten für alle mit gelockten Haaren, denn klar ist auf jeden Fall: Gelocktes Haar braucht eine andere Pflege als glattes. Das können vermutlich alle nachvollziehen, die schon einmal nach dem Friseurbesuch mit dem "In-die-Steckdose-gefasst"-Look nach Hause gelaufen sind. Eine aktuelle Studie könnte endlich dabei helfen, Lockenpflege auf eine ähnlich fundierte wissenschaftliche Basis zu stellen wie die Pflege glatter Haare. Das Team um Chemikerin Michelle Gaines untersuchte die Struktur welliger und lockiger Haare, um festzustellen, wie sie auf struktureller Ebene aufgebaut sind.

Haarpflege als politischer Akt Wichtig für die Einordnung dieser Studie ist, dass sie auch eine politische Komponente hat. Kulturhistorisch betrachtet wurde Menschen mit Afrohaaren mitunter vermittelt, ihr Haar sei im natürlichen Zustand nicht schön und zu unordentlich. Seit den 1960ern gibt es – vornehmlich in den USA – das "Natural hair movement", eine Bewegung, die schwarze Menschen dazu ermutigen will, ihre Haare im natürliche Zustand zu tragen.
Seit den 2000er-Jahren hat die Bewegung weiter an Fahrt aufgenommen und so ist auch die aktuelle Studie von Michelle Gaines am Spelman College in Atlanta, einem College, das historisch mit der Ausbildung schwarzer Frauen verbunden ist, sicherlich in diesem Kontext zu sehen.
Gerade vor dem Hintergrund, dass zu Zeiten der Sklaverei afrikanische Menschen mit einem vermeintlich "weißeren" Aussehen, also mit glatteren Haaren und hellerer Haut, bevorzugt behandelt wurden, ist Haarpflege in diesem Kontext ein politischer Akt.

Eine Frau mit lockigen Haaren
Iconic: Die Jazz- und Bluessängerin Nina Simone mit ihren Naturlocken war in den 1960ern für viele ein Vorbild, das eigene Haar ebenfalls ungeglättet zu tragen. Bildrechte: IMAGO/piemags

Gaines hat selbst gelockte Haare und betont, sie sehe eine große Wissenslücke auf diesem Gebiet, zu deren Schließung sie persönlich beitragen wolle. "Als Polymerchemikerin und Materialwissenschaftlerin dachte ich, es wäre großartig, ein Projekt zu starten, bei dem ich die Nuancen meiner Haare untersuchen könnte, weil ich das Gefühl hatte, dass sie nicht sehr gut verstanden wurden", betont sie. Die meiste bisherige Forschung über Haare sei bislang an welligen oder geraden Haaren von weißen oder asiatischen Menschen durchgeführt worden – während über das, was man traditionell vielleicht "afrikanisches" Haar nenne, weniger bekannt sei, sagt Gaines.

Dehnbarkeit als Index

Untersucht wurden die Haare in Gaines‘ Studie auf mechanische Eigenschaften wie beispielsweise das Stretch-Verhältnis. Dieser Parameter beschreibt, wie viel Kraft nötig ist, um einen Haarstrang zu entrollen, bis er gerade ist. Dieser Wert liegt bei 0.8 für welliges, bei 1.1 für "kinky" (dt. kräuselig) und bei 1.4 für lockiges Haar. Für die optimale Haarpflege ist es mitunter wichtig, zwischen diesen Haartypen zu unterscheiden, sodass Gaines und ihr Team sich erhoffen, hier eine Möglichkeit zu bieten, die Haarbeschaffenheit korrekt zuzuordnen. Diese Zuordnung ist wichtig, weil je nachdem passende Pflegeprodukte genutzt werden können.

Schuppenschicht eines Haares, stark vergrößert.
Nagelhautschichten, die die Haaroberfläche schützen, sind bei welligem Haar glatter, größer und weiter auseinander (links) als bei lockigem Haar (rechts). Bildrechte: Michelle Gaines

Pflege für alle Haar-Sorten

Aktuell untersuchen Michelle Gaines und ihr Team die Kutikula gelockter Haare, also die Haarschicht, die die Oberfläche jeder Haarfaser schützt. Diese Schicht öffnet oder schließt sich, wenn sie Wasser, Shampoo oder Haarspülung ausgesetzt ist. Ist diese Schicht beschädigt, beispielsweise aufgrund von übermäßigem Glätten oder Färben der Haare, wird das Haar poröser und nimmt dann mehr Feuchtigkeit auf – kann diese aber nicht mehr so gut halten. Die vorläufigen Ergebnisse der Studie von Gaines zeigen, dass bei lockigem Haar die Kutikula-Schichten größer und weiter voneinander entfernt sind, als bei glattem Haar. Diese Erkenntnis könnte dabei helfen, zu erklären, warum lockige Haare mitunter schneller austrocknen als glatte Haare. Michelle Gaines sagt, sie hoffe mit ihrer Studie dazu beizutragen, für jede Art von Haaren die beste Pflege zu finden.

PH-Wert beeinflusst die Schuppenschicht

Im Video stellen Michelle Gaines und ihre Mitarbeiterin Imani Page die Ergebnisse ihrer Studie am Spelman College auf einem Treffen der American Chemical Society vor. Gaines sagt, sie möchte als nächste untersuchen, wie sich unterschiedliche "Störungen", wie beispielsweise Wasser, Kämmen oder Produkte, auf die besondere Struktur gelockter Haare auswirken. Besonders spannend sei dabei, dass der PH-Wert einen großen Einfluss darauf haben könnte, ob sich die Kutikula eines Haarstranges schließt oder öffnet.

Links/Studien

Die Forschung wurde auf einem Treffen der American Chemical Society vorgestellt, eine entsprechende Pressemitteilung ist hier zu finden.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR UM 4 | 13. März 2023 | 16:00 Uhr

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