Interview Sozialpsychologin: "Schönheit wird überbewertet"
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22. Februar 2021, 13:04 Uhr
Warum wollen wir unbedingt schön sein? Darüber schreibt Sozialpsychologin Anuschka Rees in ihrem Buch "Beyond Beautiful – Wie wir trotz Schönheitswahn zufrieden und selbstbewusst leben können". Im Interview erzählt sie, warum Aussehen so einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat und wie sich das auf unseren Alltag auswirkt.
MDR WISSEN: Frau Rees, warum sind Schönheitswahn und "Body image", also die Selbstwahrnehmung des eigenen Erscheinungsbildes, für Sie so ein wichtiges Thema?
Anuschka Rees: Nur ein Drittel aller Frauen sagen, sie sind mit ihrem Körper zufrieden. Jede Zweite will abnehmen. Deutschland ist Vorreiter in Sachen Schönheitsoperationen. Das ist kein Luxusproblem: Sich schlecht mit seinem Aussehen zu fühlen, hat ganz starke Auswirkungen. Es hält zum Beispiel Mädchen in der Grundschule davon ab, sich zu melden. Es hält Frauen davon ab, sich auf Führungspositionen zu bewerben oder das Thema Verhütung anzusprechen. Das heißt, es geht nicht darum, dass wir in den Spiegel schauen und denken: Wow, ich sehe total toll aus! Sondern es geht darum, all diese Einschränkungen, die ein schlechtes Selbstwertgefühl auf das Leben von so vielen Menschen haben, zu verringern.
MDR WISSEN: Sie haben für Ihr Buch über 600 Frauen zum Thema Schönheit und Selbstwahrnehmung befragt. Welche Ergebnisse waren für Sie besonders einprägsam?
Anuschka Rees: Ein wiederkehrendes Thema war die Rolle der Mutter. Das fand ich sehr interessant. Viele Frauen haben von Schlüsselsituationen berichtet, wo die eigene Mutter oder die Großmutter ihnen knallhart gesagt haben: Du bist zu dick, du musst abnehmen, mach' mal was gegen deine Pickel. Da muss man sich klarmachen, dass die Mütter ja ebenfalls in diesem System aufgewachsen sind, teils mit noch viel krasseren, sexistischeren Medienbotschaften als heute, nach dem Motto: Tu was gegen deine schlechte Haut, sonst verlässt dich dein Mann! Und all das geben sie natürlich weiter an ihre Töchter – nicht, weil sie wollen, dass die Tochter sich schlecht fühlt, sondern weil sie verinnerlicht haben: Je besser meine Tochter aussieht, desto glücklicher wird sie, desto mehr Möglichkeiten bekommt sie, desto besser wird sie behandelt in dieser Welt.
MDR WISSEN: Ist dieses Problem bei Frauen also stärker ausgeprägt als bei Männern?
Anuschka Rees: Absolut. Die Statistiken zeigen zwar, dass auch bei Männern das Aussehen immer stärker einen negativen Einfluss auf ihr Leben und ihr Selbstwertgefühl hat. Aber im Großen und Ganzen sind Frauen immer noch deutlich stärker davon beeinflusst. Einfach, weil Frauen seit Jahrhunderten immer noch systematisch beigebracht wird, dass ihr Wert als Mensch zum Großteil von ihrem Aussehen abhängt. Klar, immer mehr Männer achten auch sehr auf ihr Aussehen. Aber trotzdem, so hat es den Anschein, es ist für sie eher eine Option. Als Frau ist es quasi nicht möglich, nicht extrem auf das eigene Aussehen zu achten. Ansonsten drohen Konsequenzen: Bodyshaming, Kommentare, schlechtere Chancen im Beruf.
MDR WISSEN: Viele Medien und Konzerne haben ja das Konzept "Diversity" entdeckt und setzen zum Beispiel Models ein, die nicht unbedingt zu 100 Prozent dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Hilft das, um unseren Begriff von Schönheit zu öffnen?
Anuschka Rees: Das löst das Problem in meinen Augen nicht. Klar: Die spezifischen Schönheitsideale, die wir haben, sind ein Problem, das wir angehen müssen. Diversity und Inklusion sind wichtig, aber wir dürfen das Grundproblem nicht vergessen: Nämlich, dass Schönheit und Aussehen an sich so überbewertet werden. Und: All diese Models haben vielleicht einen Aspekt, der dazu führt, dass eine Marke sich auf die Fahne schreibt: Seht her, wir machen es anders! Aber diese Models erfüllen in der Regel alle anderen Schönheitsideale. Plus-Size-Models zum Beispiel müssen trotzdem spezielle Proportionen haben, einen tollen Hals, tolle Haare, perfekte Gesichtszüge.
MDR WISSEN: Ist der Ansatz der "Body Positivity"-Bewegung eine Lösung? Also das Motto: Jeder Körper, jede Optik hat einen Wert; liebe dich, wie du bist?
Anuschka Rees: Natürlich ist das besser als zu denken: Wenn ich nicht dem Schönheitsideal entspreche, zeige ich mich am besten gar nicht. Aber gleichzeitig sendet das Konzept immer noch die Botschaft: Es hat eine riesige, riesige Signifikanz, wie du aussiehst, du musst dich schön finden, um überhaupt zufrieden sein zu können mit dir als Person. Als könne man sich nur selber lieben, wenn man das Aussehen des eigenen Körpers mag. Deshalb bin ich nicht so ein Fan von "Body Positivity". Klar entkräftet die Bewegung Schönheitsideale, aber sie verstärkt eben auch den Stellenwert von Schönheit an sich. Das ist der Kern des Problems.
MDR WISSEN: Wie kommen wir aus dieser Sackgasse heraus?
Anuschka Rees: Im Grunde finde ich: Die Last sollte gar nicht so sehr auf den Einzelpersonen liegen. Klar, wir können bestimmte Dinge machen, um aktuell bestmöglich zurechtzukommen. Aber im Grunde sollte die Last bei den großen Medien und auch den großen Beauty-Firmen liegen, die immer noch die Ängste von Frauen ausnutzen, um ihre Produkte zu verkaufen. Oder wenn wir uns die Bildung anschauen: Da sollte es fast schon Pflicht sein, dass man am besten schon mit Grundschülern darüber redet: Ist das alles echt, was in den sozialen Medien gezeigt wird? Sollte es so sehr um das Aussehen gehen? Wenn es zum Beispiel um Politik geht: Da wird uns beigebracht, dass man sich bei Frauen sehr schnell nicht auf die Inhalte konzentriert, sondern darauf, wie die Frau aussieht. Da spielt natürlich auch die Erziehung eine Rolle, aber ich finde, wir sollten uns auch darum kümmern, auf der Systemebene den Stellenwert von Schönheit zu reduzieren.
MDR WISSEN: Es soll also, wie es in dem geflügelten Wort heißt, nur auf die inneren Werte ankommen?
Anuschka Rees: Ich glaube, man kann gar nicht erwarten, dass Schönheit und Aussehen komplett irrelevant sind. Da ist vieles auch einfach rein biologisch. Aber wir haben auch andere Werte, die wir gut finden oder anziehend, die aber trotzdem nicht diesen Stellenwert haben. Eine Frau kann noch so viel erreicht haben, kann eine berühmte Politikerin sein oder Aktivistin – es zählt immer, wie sie aussieht. Sie kommt auf ein Zeitschriften-Cover und da steht dann: Wie schafft sie es nur, in ihrem Alter noch so gut auszusehen? Viele solcher Dinge haben wir einfach akzeptiert und stellen sie gar nicht mehr infrage.
MDR WISSEN: Aber dass wir alle sehr auf Aussehen und Schönheit fixiert sind, lässt sich ja nicht einfach ändern. Mache ich mich nicht selbst unglücklich, wenn ich beschließe, ab sofort gegen den Strom zu schwimmen und mich dem Schönheitsdiktat zu entziehen?
Anuschka Rees: Das ist ja genau der Punkt. Wenn man seinen Wert als Mensch extrem aus seinem Aussehen speist, dann kann man es natürlich schaffen, sich für den Moment gut zu fühlen, wenn man einem Schönheitsideal besonders nahe kommt. Aber wir sollten auch dran denken: Unser Körper verändert sich dauernd, zwangsläufig. Wir haben Unfälle, werden schwanger, älter. Auch, wenn ich es jetzt schaffe, mich schön zu fühlen: Was ist denn in zehn Jahren, wenn ich ganz anders aussehe? Es kann keine gute Langzeitstrategie sein, schön sein zu wollen, um sich wertiger zu fühlen. Aber zugegeben: Eine perfekte Lösung für die Frage habe ich auch nicht.
MDR WISSEN: Was wünschen Sie sich?
Anuschka Rees: Ich würde mir wünschen, dass es Frauen jeden Alters möglich ist, ihr Aussehen nur als einen Wert von vielen anzusehen, die ihr Selbstwertgefühl bestimmen. Dass Aussehen nicht so extrem relevant ist in allen Lebenssituationen. Dass Frauen nicht denken: Mein beruflicher Erfolg hängt davon ab, wie ich aussehe. Das funktioniert nur, wenn Frauen etwa in den Medien nicht zu allererst Kommentare auf ihr Aussehen bekommen. Dass die Leiterin eines Konzerns im Interview nicht gefragt wird, welche Hautpflegeprodukte sie benutzt. All solche Dinge.
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