Covid-19 Impfkampagne Modellrechnung: Rasches Ende von Coronabeschränkungen gefährlich
Hauptinhalt
19. März 2021, 00:30 Uhr
Eine neue Modellrechnung sagt für Großbritannien eine dritte, gefährliche Infektionswelle voraus, wenn trotz erfolgreicher Impfkampagne die Corona-Beschränkungen zu schnell vollständig gelockert würden.
Können die Masken weggeworfen werden, wenn die Bevölkerung durchgeimpft ist? Können Corona-Tests eingestellt, Kontaktnachverfolgung aufgegeben und Quarantänemaßnahmen überflüssig gemacht werden? Statistiker aus Großbritannien sind skeptisch. Sie haben auf der Basis der Daten aus den klinischen Phase-3-Studien der zugelassenen Impfstoffe durchgerechnet, mit wie vielen Infektionen gerechnet werden muss, wenn die Impfkampagne erfolgreich ist. In ihrem Aufsatz im Fachblatt "The Lancet Infectious Deseases" kommen sie zu dem Ergebnis, dass im Vereinigten Königreich eine dritte, gefährliche Infektionswelle droht, wenn alle Corona-Maßnahmen zu schnell vollständig eingestellt werden.
Impfungen können R-Wert nicht auf unter 1 reduzieren
Die Forscher um Matt Keeling von der University of Warwick greifen für ihre Rechnung nur auf die Daten der Phase-3 Studien zurück. Neuere Erkenntnisse zum tatsächlichen Schutz der Impfung vor symptomatischer Erkrankung berücksichtigen sie aktuell noch nicht. Die Forscher mitteln die Schutzniveaus der in Großbritannien zugelassenen Impfstoffe für ihre Modellrechnung auf 85 Prozent. Davon ausgehend bestimmen sie die Entwicklung der Ansteckungsraten, je nachdem, wie schnell die Corona-Maßnahmen gelockert werden.
Auch wenn das Vereinigte Königreich weltweit auf Platz 3 beim Fortschritt seiner Impfkampagne stehe, seien Impfungen allein nicht ausreichend, um den sogenannten R-Wert auf unter 1 zu reduzieren. R steht für Reproduktionsfaktor und bezeichnet, wie viele weitere Menschen ein Infizierter ansteckt. Solange R über 1 liegt, breitet sich die Pandemie weiter aus in der Bevölkerung, nehmen die täglichen Fallzahlen zu. Würden sofort alle Corona-Maßnahmen abgeschafft, stiege R auf 1,58, schreiben die Forscher.
Würde dann die Sterberate, bei denjenigen, die sich trotz Impfung mit Corona anstecken, konstant bleiben, dann drohten bis zu 130.000 weitere Todesopfer bis Januar 2024, wenn bis Ende März bereits weitreichend gelockert würde. Würden die Restriktionen dagegen bis Juni fortgesetzt, dann könnte diese Zahl auf unter 54.000 Tote gesenkt werden. In diesen Zahlen sind im laufenden Jahr bereits verstorbenen 49.300 Erkrankten schon einkalkuliert.
Langsamere Lockerungen bedeuten weniger Tote
Würden trotz Impfung Menschen sterben, könnten 48 Prozent der Toten Menschen sein, die bereits eine Impfdosis erhalten haben, schreiben die Autoren. Das sind allerdings reine Annahmen. Forscher Sam Moore von der University of Warwick, der an der Studie beteiligt war, schränkt die Aussagekraft der eigenen Daten daher ein, denn neuere Erkenntnisse seien noch nicht berücksichtig worden. So gebe es nun Hinweise, "dass sowohl der Impfstoff von Pfizer-BioNTech als auch der von Oxford-AstraZeneca einen höheren Schutz gegen schwere Erkrankungen bieten als der von uns angenommene Wert". Deshalb könne es gut sein, dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen stärker abnehme und weniger Todesfälle auftreten würden, als von den Wissenschaftlern berechnet.
Die Experten empfehlen auf Basis ihrer Berechnungen dennoch, die Corona-Maßnahmen langsamer zu lockern. Würde die Aufhebung schrittweise über einen Zeitraum von fünf bis zehn Monaten gestreckt werden, könnten die durchschnittlichen Sterbefälle pro Tag auf maximal 430 oder sogar weniger reduziert werden.
Zu viele Neuinfektionen riskieren den Erfolg der Impfungen
Zugleich sei es extrem wichtig, dass es weiterhin Nachverfolgungen und Testungen gebe. Es müsse verhindert werden, dass sich Rückzugsorte für das Virus in nicht geimpften Teilen der Bevölkerung bilden könnten, weil in bestimmten Milieus nicht genug geimpft werde, schreiben die Autoren der Studie.
Die deutsche Pandemie-Modellforscherin Viola Prieseman, die nicht an der Studie beteiligt war, schreibt in einem Kommentar zu dem Aufsatz: "Die Vorteile, eine weitere Pandemiewelle zu verhindern, liegen klar auf der Hand: Weniger Long-Covid, weniger Quarantäne, weniger Tote, weniger Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Mehr Infektionen dagegen bedeuten mehr Spielraum für Mutationen, die die Impfungen unwirksam machen könnten. Es wird entscheidend sein, dieses Risiko zu verhindern."
(ens)
Zur Studie
Moore et.al.: Vaccination and non-pharmaceutical interventions for COVID-19: a mathematical modelling study, The Lancet Infetious Diseases
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/2ecb3953-d5cb-4ced-b095-c2d2aa8d3b28 was not found on this server.