Corona So funktionieren Fakenews in der Corona-Krise
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14. April 2020, 12:01 Uhr
Das Coronavirus aus dem Biowaffenlabor, Bußgelder für selbstgenähte Mundschütze oder Knoblauch, der immun macht. Es gibt Hunderte solcher Meldungen im Internet und den sozialen Netzwerken. Wie funktionieren Fakenews in Coronazeiten – und was empfehlen Kommunikationswissenschaftler und Faktenchecker?
Wir wollen, dass die Krise endlich vorbei ist. Wir fragen uns, warum es so lange dauert. Und es gibt niemanden, auf den wir wütend sein können. Stellen Sie sich vor, Sie bekommen in dieser Stimmung plötzlich die Nachricht:
Es gibt einen Impfstoff.
Er wird aber zurückgehalten, weil die Regierung erst die geplanten Handyüberwachungen einführen will. Kommen Sie ins Grübeln? Es ist vollkommen menschlich, in Krisenzeiten empfänglich für Verschwörungstheorien zu sein, sagt Kommunikationsprofessor Thorsten Quandt von der Uni Münster: "Wir suchen natürlich nach Erklärungen, wir suchen auch nach Möglichkeiten, diese unkonkrete Bedrohungslage in den Griff zu bekommen. Wir können das ja nicht identifizieren, das ist ja letztlich eine fast schon gesichtslose Bedrohung, und man möchte natürlich eine einfache Erklärung haben, wo man auch irgendwie sagen kann, den oder die mache ich dafür verantwortlich und dann geht es uns auch irgendwie besser."
Grübeln: Verständlich und gefährlich
So verständlich das ist – so gefährlich ist es auch. Die Verbreiter von Falschmeldungen nutzen genau diesen Wunsch nach Erklärung. Patrick Gensing aus dem Faktencheckerteam der ARD-Tagesschau erlebt seit Wochen eine nie gekannte Flut von Falschmeldungen: "Das ist tatsächlich eine neue Dimension und das hängt natürlich damit zusammen, dass diese Corona-Pandemie weltweit die Menschen bewegt und dass es eine extrem unübersichtliche und komplexe Situation ist, die auch noch mit vielen Emotionen wie Angst und Sorge und Verunsicherung verbunden ist."
Welche Art von Falschmeldungen drohen in dieser Lage – und wie schützen wir uns?
Das Team um Kommunikationswissenschaftler Quandt hat in einer Studie über 100 000 Facebooknachrichten aus den Coronawochen untersucht. Es sind zum größten Teil Verschwörungstheorien. Komplett erfundene Falschmeldungen, die leicht nachprüfbar sind, tauchen kaum auf: "Man weiß eben auch aus Studien in der Medienpsychologie, dass Falschmeldungen gut identifiziert werden von den Menschen und dann auch nicht geglaubt werden. Bei Verschwörungstheorien ist das anders. Das lesen die Leute und sagen dann: Na ja, da wird dann vielleicht doch irgendwas dran sein."
Zumal sie häufig einen wahren Kern haben: Es stimmt ja zum Beispiel, dass wir den Ursprung des Corona-Virus noch nicht sicher kennen. An so einen Fakt kann man leicht beliebige Feindbilder und Verschwörungsszenarien knüpfen.
Feinbilder anknüpfen, Weltbild verbreiten – oder abzocken
Die Urheber verbreiten so ihr Weltbild, das das Vertrauen in die Demokratie erschüttern soll – die angeblich ein diktatorisches System von Desinformation und gezieltem Verschweigen ist. Andere wollen schlicht abzocken. Sie nutzen unseren Wunsch nach Schutz und bieten in Fake-Shops Wundermittel an.
Und es gibt die sogenannten alternativen Experten wie den Arzt Wolfgang Wodarg. Er behauptet, die Corona-Pandemie sei nicht schlimmer als die Grippe. Der Erfolg seiner und anderer solcher Videos beruht darauf, dass wir gern das glauben, was wir glauben möchten. Zum Beispiel, dass Corona halb so schlimm ist. Außerdem sind auch die anerkannten Experten in der aktuellen Krise häufig uneins, was die allgemeine Verunsicherung verstärkt.
In der MDR JUMP-Corona-Sprechstunde zu Fakenews spricht ein Hörer die aktuelle Unsicherheit aus.
Meine Frage wäre dementsprechend: Wer schließt denn nicht aus, dass auch die Experten sich irren können und andere Wahrheiten wahr sein können?
Die ehrliche Antwort ist, dass selbstverständlich auch Experten irren können. Trotzdem sollte man genau auswählen, wem man vertraut: Auf der einen Seite stehen die zahlreichen Virologen – die seit Monaten tagtäglich mit der Pandemie und ihren Folgen kämpfen. Wolfgang Wodarg ist dagegen ein 73-jähriger Arzt und Ex-Bundestagsabgeordneter, der das Geschehen eher von außen sieht.
Genau prüfen, mit wem man es zu tun hat
Tagesschau-Faktenchecker Patrick Gensing rät, selbsternannte Experten zu prüfen: "Was sind das denn eigentlich für Leute, die mir da gerade erzählen, das sei alles nur eine Lüge und das gebe es alles gar nicht. Was machen die eigentlich, sind die eigentlich noch in der Forschung aktiv, wenn nicht, wie lange sind die raus, welche Expertise haben die eigentlich, warum melden die sich plötzlich zu Wort?"
Wie im Alltag sollte man sich auch im Netz immer fragen: Woher, aus welcher Quelle weiß die Person das? Und solange man nicht sicher ist: nicht teilen oder weiterleiten, warnt Patrick Gensing. Denn die Verantwortung, dass sich Gerüchte und Falschmeldungen nicht massenhaft verbreiten, liegt bei jedem selbst.
Mit jedem Teilen gewinnen sie an Glaubwürdigkeit und lassen sich immer schwerer von echten Nachrichten unterscheiden. Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt: "Was wir auch festgestellt haben in der Studie, ist, dass die Verschwörungstheorien dann gern geteilt werden. Die findet man auf Youtube-Channels, die findet man in irgendwelchen Podcasts oder in irgendwelchen Mails, die dann geteilt werden. Und irgendwann ist die Quelle auch vergessen. Dann wird daraus quasi eine Wahrheit, weil man es ja auch noch von vielen anderen gehört hat."
Muss das eine Demokratie aushalten?
Der Messenger-Dienst WhatsApp hat deswegen seine Weiterleitungsfunktion eingeschränkt. Einige Politiker sind in der Corona-Krise für schärfere Maßnahmen und Verbote gegen Falschmeldungen. Thorsten Quandt spricht sich dagegen aus: "Man muss sich natürlich immer fragen: Muss eine Demokratie so etwas aushalten? Und gerade bei Verschwörungstheorien, wo dann eben wild gemunkelt wird, ist das zwar nicht immer schön, ich glaube aber nicht, dass es unbedingt verboten werden muss."
Zumal das den Verbreitern der Verschwörungstheorien eher helfen würde, indem es ihr gern verwendetes Selbstbild bestätigt, sie seien vom System unterdrückte Stimmen der Wahrheit. Wir sollten auch jetzt anderen Meinungen mit Argumenten begegnen, rät Kommunikationsprofessor Quandt. Auch wenn es – wie vieles in der Corona-Krise – besonders schwierig ist.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 05. April 2020 | 11:17 Uhr
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