Zukunft Coronas Zeitzeugen: Wie sich die Pandemie im Planeten verewigt

02. November 2020, 13:06 Uhr

Wenn Krankheiten grassieren, die sich über Kontinente ausbreiten, bekommt auch die Erde die Folgen davon zu spüren. Die speichert sie an unglaublichen Stellen - im ewigen Eis genauso wie in Ozeanen oder Bäumen.

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Wenn Krankheiten grassieren, die sich über Kontinente ausbreiten, bekommt auch die Erde die Folgen davon zu spüren. Die speichert sie an unglaublichen Stellen - im ewigen Eis genauso wie in Ozeanen oder Bäumen.

MDR AKTUELL Mo 02.11.2020 12:44Uhr 05:26 min

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Mehr als ein halbes Jahr Coronakrise liegen hinter uns. Für das Gedächtnis dieses Planeten ist das ein Wimpernschlag, ein gelangweiltes Achselzucken. Und doch sind die wenigen Monate lang genug, um der Erde langfristig einen Stempel aufzudrücken. Um nicht zu sagen: auf ewig. Denn bereits heute lässt sich absehen, dass sich die Erde für immer an Corona erinnern wird. Da ist das Erdgedächtnis gnadenlos. Wo auf unserem Planeten werden sich die Spuren von Covid-19 ablagern?

Es ist keineswegs das erste Mal in der Erdgeschichte, dass Krankheiten die Welt regieren. Mitte des 14. Jahrhunderts wütet in Europa die Beulenpest, sie rottet fast die Hälfte der Bevölkerung auf dem Kontinent aus. Der Tod der Menschen geht einher mit einem Rückgang der industriellen Produktion. Vor allem wurde weniger Blei aus den Minen abgebaut - und somit entwich auch weniger Blei in die Luft. Belege dafür finden sich heute noch.

Wo man die Geschichte der Atmosphäre lesen kann

Aber wo findet man sie? Die Geschichte der Atmosphäre lässt sich im ewigen Eis ablesen - wie in einer Chronik. Wer zum Beispiel 2.000 Jahre in die Vergangenheit blicken will, muss einen mehrere Meter langen Eisbohrkern lösen und herausziehen, an die Oberfläche. Klimaforscher Paul Mayewski ist der Direktor des Climate Change Institute der Universität von Maine. Er und sein Team haben den 4.500 Meter hohen Colle-Gnifetti-Gletscher in den Walliser Alpen zunächst bestiegen - und dann haben sie von dort oben senkrecht in ihn hinein gebohrt, fast siebzig Meter tief.

Während der vergangenen 2.000 Jahre gab es stets hohe Bleiwerte in der Atmosphäre. Um 1350 kam es jedoch zu einem starken Rückgang der Bleikonzentration. Sie sank fast auf null. Das war genau zur Hoch-Zeit der Pestepidemie. Damals war die Wirtschaft zum Stillstand gekommen. Genau das werden wir wahrscheinlich auch in 100 Jahren als Folge der Covid-19-Pandemie feststellen.

Paul Mayewski, Klimaforscher

Wo man über die Corona-Zeit lesen wird

Kaum noch Flüge, brachliegende Industrie, geringerer Verbrauch von Öl und Benzin - in Zahlen sieht die bisherige Bilanz der Corona-Krise so aus:

Ausblick vom Gornergrat über den Gornergletscher auf Monte Rosa mit Dufourspitze 4634m und Liskamm 4527m, im Winter,
Das Gletschereis in den Walliser Alpen hat die Vergangenheit eingefroren. Bildrechte: imago images / imagebroker

2020 dürften etwa acht Prozent weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre geschleudert werden als im vergangenen Jahr. Ein solcher Umschwung wird sich in den Eisschichten niederschlagen, sagt Wissenschaftler Mayewski:

Eisbohrkerne sind sehr zuverlässige Zeitzeugen von Umweltbedingungen in der Vergangenheit. Dazu gehören Temperatur, Niederschlag, die Verteilung von Luftmassen und von Schadstoffen. Wenn wir tief ins Eis eindringen, gehen wir Jahr für Jahr zurück, manchmal Jahreszeit für Jahreszeit und bisweilen sogar Sturm für Sturm.

Paul Mayewski, Klimaforscher
World Trade Center Anschlag 2001
Der 11.09.2001 hat sich auch ins Gedächtnis der Erde eingebrannt. Bildrechte: imago images/Everett Collection

Oder eben: Pandemie für Pandemie. Die Pest, die Spanische Grippe, Tschernobyl und der 11. September - all diese Ereignisse haben zu einer Verlangsamung der industriellen Produktion geführt und damit zu weniger Schwebeteilchen, die in die Luft entlassen werden. So können Paläoklimatologen in Eisbohrkernen lesen wie in einem Jahrbuch der Erdatmosphäre. Alles, was je in sie hinein gepustet wurde, kam irgendwann runter und wurde auf dem Boden abgelagert. Und im ewigen Eis bleiben diese Schwebeteilchen - die auch Aerosole genannt werden - dann konserviert, wie Paläoklimatologe Christo Buizert erläutert. Er forscht und lehrt an der Oregon State University.

Diese Aerosole entstehen überall da, wo Industrie angesiedelt ist, oder wenn jemand mit dem Auto fährt. Diese Schwebeteilchen bewegen sich um den ganzen Erdball. Einige erreichen die Eiskappen, zum Beispiel in Grönland oder in den Alpen. Dort lagern sie sich auf dem Schnee ab. Und dann werden sie unter immer mehr Schnee begraben.

Christo Buizert, Paläoklimatologe

Aber das ewige Eis ist nur einer der Zeitzeugen unseres Planeten. Das Archiv der Erde hat auch Stellen, an denen nicht ein weniger von Etwas - wie Aerosole -, sondern ein Mehr Aufschluss über eine weltweite Pandemie gibt. Kim Cobb ist die Direktorin des Global Change Program des Georgia Institute of Technology in Atlanta. Sie entwirft ein ganz anderes Szenario für das, was uns in der Zukunft an die Corona-Pandemie erinnern wird:

Gebraucht Masken auf einem Haufen
Was uns bleibt? Eine Schicht aus Plastik, Reste von Handschuhen, Masken. Bildrechte: imago images/Dean Pictures

Eines der auffälligsten Überbleibsel der Coronakrise wird künftig eine Schicht aus Plastik sein, aus Überresten von Handschuhen und Masken. Sie werden eine Sedimentschicht in Seen bilden, in Flüssen und natürlich in den Ozeanen.

Kim Cobb

Und eine dritte Art von Zeitzeugen macht sich derzeit daran, der Nachwelt für immer von Covid-19 zu erzählen - Bäume. Paul Mayewski von der University of Maine beschreibt, wie:

Bäume nehmen Schadstoffe aus der Luft auf. Sie werden in ihren Jahresringen gespeichert. An ihnen können wir ablesen, wann welche Aerosole abgelagert wurden. So werden Jahresringe bezeugen, dass es zur Covid-19-Zeit auf der Erde zu einem dramatischen Rückgang an von Menschen verursachten Emissionen kam.

Paul Mayewski, Klimaforscher

Ob auf dem Grund des Ozeans, im ewigen Eis oder im Inneren von Bäumen - Corona wird an der Erde keinesfalls spurlos vorbeigehen.

Kinder zählen die Jahresringe an einem Baumstumpf
Auch im Inneren der Bäume werden sich Spuren von Corona-Folgen finden. Bildrechte: imago images/Westend61
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