Covid-19 Übersterblichkeit in der Pandemie: Lebenserwartung sinkt durch Corona deutlich
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17. Oktober 2022, 18:43 Uhr
Die Corona-Pandemie hat zum stärksten Einbruch der Lebenserwartung seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie zur Entwicklung der Sterblichkeit in Europa und den USA.
Infektionen mit Covid-19 haben unter anderem in Deutschland so viele Todesopfer gefordert, dass die allgemeine Lebenserwartung in den ersten beiden Pandemiejahren deutlich gesunken ist – statistisch gesehen um beinahe ein halbes Jahr. Das berichtet ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung im Journal "Nature Human Behaviour".
Nachdem sich Menschen durch eine bessere medizinische Versorgung und einen höheren Lebensstandard viele Jahre lang über die Aussicht auf ein immer längeres Leben freuen durften, nahm die Lebenserwartung in Deutschland im Jahr 2020 um 2,6 Monate und in 2021 um weitere 3,1 Monate ab. Damit sank sie gegenüber 2019 um 5,7 Monate. Bezieht man ein, dass die Älteren ohne Pandemie dagegen eine weiter steigende Lebenserwartung gehabt hätten, ergibt sich für 2021 sogar ein Defizit von 10,2 Monaten.
Nur Norwegen konnte die Lebenserwartung seiner Einwohner während der Pandemie steigern
"Die periodische Lebenserwartung ist ein zusammenfassendes Maß für den aktuellen Gesundheitszustand der Bevölkerung; wenn die Sterblichkeit in einer Bevölkerung zunimmt, sinkt die Lebenserwartung", erläutern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um MPI-Forscher Jonas Schöley. Insgesamt betrachtete das Team die Entwicklung in 29 Staaten in den Jahren 2015 bis 2021. Neben vielen europäischen Staaten bezogen Schöley und Kollegen auch die USA und Chile ein.
Beim Vergleich zeigten sich durchaus Unterschiede. Das erste Pandemie-Jahr führte in nahezu allen betrachteten Ländern zu einer geringeren Lebenserwartung. Einziges Gegenbeispiel war Norwegen, wo Menschen 2020 sogar zwei Monate länger lebten als noch 2019. Im Jahr 2021 kehrte sich der Trend dann in vielen Ländern um. Hier beobachteten die Forschenden aber klare regionale Unterschiede.
Deutschland, USA und Osteuropa: Auch 2021 mehr Corona-Tote
In den meisten Ländern Westeuropas, darunter Frankreich, Belgien, der Schweiz, aber auch Schweden, gelang es, die Lebenserwartung wieder auf das Niveau vor der Pandemie zu steigern. Offenbar hing das auch mit dem Effekt der Impfung zusammen. Je höher die Impfquote, besonders bei den Älteren, desto weiter sank die durch Corona-Infektionen verursachte Übersterblichkeit wieder ab. "Länder wie Schweden, die Schweiz, Belgien und Frankreich konnten die Lebenserwartung auf das Niveau vor der Pandemie zurückführen, weil es ihnen gelang, sowohl die Alten als auch die Jungen zu schützen", bilanziert Erstautor Jonas Schöley.
In Deutschland, Osteuropa und den USA dagegen verschlechterte sich die Lebenserwartung weiter. Teilweise seien die Verluste so dramatisch, wie zuletzt kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, so die Studienautoren. Am stärksten betroffen war Bulgarien, wo die Lebenserwartung in beiden Pandemiejahren um 43 Monate sank, also beinahe dreieinhalb Jahre. In einigen Ländern Südamerikas könnten die Verluste noch größer sein, da sie dort schon im ersten Jahr der Pandemie sehr hoch waren und das hohe Niveau in den USA übertrafen, erwarten einige der beteiligten Wissenschaftler.
Erfolgreiche Länder: Schnelle Impfkampagne und wirksame Maßnahmen
Hohe Impfraten sind nach Ansicht der Forschenden aber wahrscheinlich nicht allein verantwortlich dafür, dass einige Länder den negativen Trend frühzeitig umkehren konnten. Denn es gebe auch Beispiele, in denen die Sterblichkeit trotzdem hoch war. "Feinere Details der Alterspriorisierung bei der Einführung von Impfstoffen und die Art der verwendeten Impfstoffe könnten für einige dieser Unterschiede verantwortlich sein, ebenso wie Korrelationen zwischen der Impfstoffaufnahme und der Einhaltung von Coronamaßnahmen oder der Gesamtkapazität des Gesundheitssystems", vermutet Schöley.
Die besonders erfolgreichen Länder wiederum zeichneten sich laut Schöley dadurch aus, dass sie "die Impfstoffe schneller an mehr Menschen als im Durchschnitt der Europäischen Union lieferten". Zudem hätten sie wirksame Coronamaßnahmen umgesetzt und Gesundheitssysteme mit hohen Basiskapazitäten vorgehalten. In den USA hingegen habe sich ein Trend verstärkt, der sich schon vor der Pandemie abzeichnete: ein Sinken der Lebenserwartung im Erwerbsalter. Übergewicht und Krankheiten wie Diabetes könnten mit Gründe dafür sein.
Covid-19: Stärkster Verlust an Lebenserwartung seit Ende des zweiten Weltkriegs
Statistisch seien die gesunkenen Lebenserwartungen klar mit Covid-19 als Todesursache verknüpft gewesen. Eine Ausnahme davon seien lediglich die Niederlande, wo die Verringerung der Lebenserwartung 2021 zu 51,7 Prozent auf andere Ursachen als Covid-19 zurückging.
Im Vergleich mit anderen Ereignissen in den vergangenen 120 Jahren hätten lediglich die beiden Weltkriege und die Spanische Grippe von 1918 für einen stärkeren Verlust an Lebenserwartung gesorgt. "Die Covid-19-Pandemie führte zu einem weltweiten Anstieg der Sterblichkeit und einem Rückgang der periodischen Lebenserwartung, die in den letzten 70 Jahren beispiellos waren", so das Fazit der Autorinnen und Autoren.
(ens/dpa)