Ein Mädchen trägt einen Mundschutz.
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Frühere Leukämie-Patientin berichtet Corona: Hochrisikogruppe - wie fühlt sich das an?

01. April 2020, 11:40 Uhr

Hochrisikogruppe: Da denken viele an ältere Menschen über siebzig. Aber auch jüngere Menschen können dazugehören. Unsere Autorin* ist Mitte 20 und war Leukämiepatientin - sie erzählt uns, wie sie die Corona-Zeit erlebt.

Am Anfang war die Erleichterung. So furchtbar es klingt: Ich war dankbar, dass die Corona-Pandemie jetzt passiert und nicht vor fünf, sechs oder sieben Jahren. Denn mein Immunsystem war nach der Stammzelltransplantation für mehrere Jahre sehr schwach. Es war ungefähr auf dem Niveau von Aids-Patient*innen: Ich lag monatelang im Krankenhaus wegen Viren, die bei anderen einen Schnupfen auslösen.

Ich stelle mir vor, damals hätte es die Corona-Pandemie gegeben: Wahrscheinlich hätte ich monatelang mein Transplantationszimmer nicht verlassen dürfen. Und Besuch wäre auch nicht drin gewesen. Bei meiner Transplantation waren es "nur" Wochen. Und mich haben Menschen besucht. Dazu hatte ich keine Angst, was passiert, wenn ich wieder raus darf: Ob ich mich anstecke? Ob ich das überlebe?

Eine junge Frau legt eine selbstgemachte Schutzmaske an 4 min
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MDR AKTUELL Mi 01.04.2020 14:02Uhr 03:46 min

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Als Erwachsene das Immunsystem eines Kindes

All das ist mir erspart geblieben. Stattdessen fühle ich mit all den Menschen mit, die gerade alleine in ihren Transplantationszimmern liegen und furchtbare Angst haben müssen. In den ersten Corona-Tagen haben mich viele Freund*innen und Verwandte angerufen und gefragt, ob ich noch zur Risikogruppe gehöre.

Ich habe immer sehr überzeugt nein gesagt. Und ihnen dann erklärt, dass ich inzwischen das Immunsystem eines Kindes hätte. Genau wie bei ihnen bin ich gegen viele Viren und Bakterien noch nicht immun - und deswegen ständig krank. Kinder gehören nicht zur Risikogruppe - ich also auch nicht.

Passantin mit Mundschutz schiebt Kind im Kinderwagen
Kinder gehören nicht zur Risikogruppe für COVID-19. Bildrechte: imago images / Viennareport

Vielleicht doch noch zur Risikogruppe gehörig?

Trotzdem habe ich schnell gemerkt, dass meine Corona-Panik deutlich existentieller war als die meiner Freund*innen. Während die mir erzählten, dass bei ihnen alles gut sei, konnte ich nicht mehr schlafen. Ich konnte nicht mehr arbeiten. Ich konnte nicht mehr aufhören, die Liveticker zu verfolgen. Schon Tage vor der Merkels Rede habe ich alle angerufen und ihnen gesagt, sie sollten aufpassen. Nicht mehr rausgehen als nötig, um andere zu schützen.

Ich hatte immer noch Angst.

Ich habe mir das damit erklärt, dass ich einen anderen Bezug zu Krankheit habe als die meisten Mitte-Zwanzigjährigen. Sie ist für mich nicht so abstrakt. Aber in manchen Momenten habe ich gemerkt, dass es noch einen anderen Grund gab: Ich hatte immer noch Angst. Gehörte ich wirklich nicht zu Risikogruppe? Hundertprozentig sicher war ich mir da nicht. Vielleicht 80, 90 Prozent. 80, 90 Prozent fühlt sich in diesen Zeiten nach zu wenig an. Ich brauchte also eine professionelle Meinung.

Jahrelang nicht mehr bei der Krebsnachsorge gewesen

Dummerweise bin ich schon jahrelang nicht mehr zur Krebsnachsorge gegangen. Ich dachte, das brauche ich nicht mehr. Denn irgendwann hat mir mein Onkologe erzählt, er könne sich nicht vorstellen, dass mein Krebs wiederkomme. Er kenne niemanden in meinem Alter und mit meinem Krankheitsverlauf, der einen Rückfall hatte. Seitdem bin ich in eine andere Stadt gezogen, hier kennt kein Arzt meine Krankheitsgeschichte. Jetzt ärgere ich mich sehr über mich, dass ich verdrängt habe, dass Krebsnachsorge trotzdem wichtig gewesen wäre.

Ich dachte, das brauche ich nicht mehr.

Ich habe also in der Klinik angerufen, in der ich vor sieben Jahren meine Stammzelltransplantation hatte. Dort versuchte die Ärztin, mich zu beruhigen. Wenn das so lange her sei, sei das wahrscheinlich kein Problem. Ich solle mich einfach an die Regeln halten, alleine im Wald spazieren gehen und ansonsten zu Hause bleiben.

Ein bisschen Restangst bleibt

Danach war ich für ein paar Tage entspannter. Aber die Ärztin hatte auch gesagt: Ohne mich zu kennen, könne sie nichts sicher sagen. Und ich musste daran denken, dass ich damals, während der Leukämie eine ziemlich ernste Lungenentzündung hatte. Seitdem habe ich jeden Winter monatelang furchtbaren Husten. Er ist zu einer Art Markenzeichen geworden - meine Freund*innen erkennen mich aus der Ferne an meinem Husten.

Wenn meine Lunge so schlecht ist: Heißt das nicht, dass ich trotzdem gefährdet sein könnte? Ich habe dann einen guten Freund angerufen, der Medizin studiert und gerade für sein 1. Staatsexamen lernt. Er hat ein paar Stunden lang Studien zu dem Thema gelesen. Als er mich zurückgerufen hat, meinte er: Keine Sorge, du gehörst nicht zur Risikogruppe. Du hast wirklich das Immunsystem eines Kindes. Bloß eines Kindes mit Immunlernschwäche, deshalb bist du immer noch so oft krank.

Seitdem bin ich beruhigt. Aber ein klitzekleines bisschen Restangst bleibt.

*Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt. Wir respektieren jedoch ihren Wunsch, anonym zu bleiben.

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