Faktencheck Keine Organschäden durch Spike-Protein nach mRNA-Impfung
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15. Juni 2021, 09:51 Uhr
Soll ich mich gegen Corona impfen lassen oder lieber nicht? Während die Antwort auf diese Frage bei den einen ein klares Ja ist, sind sich andere unsicher – auch aufgrund der vielen falschen Informationen, die im Internet kursieren. Aktuell macht ein kanadischer Immunologe von sich reden: Er glaubt, die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna seien hoch gefährlich. Seine Thesen verbreiten sich schnell und sorgen für zusätzliche Verunsicherung.
Der kanadische Immunologe Byram Bridle kündigte das, was er in einem Nachrichten-Podcast erzählte, mit dramatischen Worten an: Die Geschichte sei ziemlich beängstigend, sagte er. Und dann erläuterte Bridle, dass die Impfung mit mRNA angeblich zu Organschäden führen würde. Die Aussagen aus dem Podcast verbreiten sich derzeit rasant in den sozialen Netzwerken.
Wir haben einen großen Fehler gemacht, den wir erst jetzt bemerkt haben. Wir dachten, das Spike-Protein sei ein gutes Zielantigen. Wir wussten nicht, dass das Spike-Protein selbst ein Toxin und ein pathogenes Protein ist. Mit der Impfung verabreichen wir Menschen also versehentlich ein Toxin. Bei manchen Menschen kommt es in Umlauf, und wenn das passiert, kann es Schäden verursachen – vor allem im Herz-Kreislauf-System.
Zirkulieren Spike-Proteine im Körper?
Bridle behauptet, dass die Spike-Proteine, die unsere Zellen infolge der Impfung produzieren, im Körper zirkulieren und in Organen und Geweben wie Milz, Knochenmark, Leber, Nebennieren und in "ziemlich hohen Konzentrationen" in den Eierstöcken anreichern würden. Er beteuert, dass er das mit wissenschaftlich begutachteten Studien belegen könne, er sammle diese und wolle sie dann gebündelt vorlegen. Das ist bis heute - gut zwei Wochen später - noch nicht passiert. Es gibt bisher keine wissenschaftlichen Publikationen, die die Behauptung stützen.
Der Kanadier betont im Podcast ausdrücklich, dass er kein Impfgegner sei. Tatsächlich hat Bridle selbst an Covid-Impfstoffen geforscht. Allerdings nicht am mRNA-Impfstoff, sondern an einem Verktorimpfstoff wie dem von AstraZeneca. Auch bei Bridles Projekt sollte das Spike-Protein im Fokus der Impfstoffforschung stehen, wie offizielle Angaben der Provinz Ontario belegen.
In Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut für die Impfstoffsicherheit zuständig. Dessen Präsident, Prof. Klaus Cichutek, sagte MDR WISSEN auf Nachfrage, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass die mRNA-Impfung Organe und Gewebe schädigen würde.
Es gab keinen Hinweis auf Organ- oder Gewebeschäden nach Impfung. Das ist genau untersucht worden - auch in Tiermodellen.
Die öffentlich einsehbare "Geheimstudie"
Der kanadische Immunologe will seine Schlüsse ebenfalls aus einer Tierstudie gezogen haben. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Biodistributionsstudie aus Japan. Diese Studien gehören bei der Zulassung von neuen Medikamenten und Impfstoffen zu den Standard-Untersuchungen. Bridle behauptet, sie gemeinsam mit internationalen Kollegen - von denen unklar bleibt, wer diese sein sollen - von den japanischen Behörden erstritten zu haben. Es sei die erste Studie dieser Art zu mRNA-Impfstoffen, die dadurch jetzt veröffentlicht worden sei. Das ist definitiv falsch. Die Studie ist seit Monaten offen im Internet abrufbar. Sie wurde auch von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA bei der Zulassung der Impfstoffe mit begutachtet, wie aus dem Begutachtungs-Bericht hervorgeht.
PEI-Präsident Cichutek bestätigt das. Auch er kennt diese Untersuchung und erläutert, dass es eine typische Studie sei, bei der sehr große Mengen Impfstoff verwendet würden, um zu schauen, ob es bei wiederholter Gabe hoher Mengen Hinweise auf mögliche Schäden geben könnte. "Im Fazit kann man sagen, dass die Untersuchungen, die Herr Bridle hier anführt, nicht physiologisch relevante Bedingungen wiedergeben", sagt Cichutek. Bei einer Impfung würden erheblich geringere Mengen gespritzt. Die Untersuchung spiegle wieder, was ohnehin bekannt sei: "Nämlich dass das Spike-Protein auch bei der Pathogenese (Anm. d. Red.: Entstehung und Entwicklung einer Krankheit) der Coronavirus-2-Infektion beim Menschen eine Rolle spielt.
Dass aber die Mengen, die nach Impfstoffgabe vom Körper selber gebildet werden viel zu klein sind, um die entsprechenden Reaktionen hervorzurufen.
Außerdem, erläutert Cichutek weiter, verbleibe der Großteil der mRNA nach der Impfung im Muskel. Zwar können kleinste Mengen auch ins Blut oder die Organe gelangen, seien dort aber unbedenklich. Das sei im Detail akribisch untersucht worden und auch in den Studien nach der Zulassung habe es darauf keine Hinweise darauf gegeben, dass das in irgendeiner Form schädlich für Organe oder Gewebe wäre. Es sei deshalb auch erwartbar, dass im Blutplasma von Geimpften geringe Mengen des Spike-Proteins zu finden seien. Auch dadurch seien keine Schäden zu befürchten, so Cichutek.
mRNA-Impfstoff Ein mRNA-Impfstoff unterscheidet sich von früheren Impfungen. Es wird kein "echter" Virus injiziert, sondern lediglich ein RNA-Strang, mit einer leicht modifizierten Baunaleitung für das sogenannte Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus. Unsere Zellen produzieren damit selbst Spike-Proteine, die sie dem Immunsystem präsentieren. Das beginnt daraufhin damit Antikörper gegen die Spike-Proteine herzustellen. Bei einer echten Infektion mit dem Virus weiß das Immunsystem dann bereits, was zu tun ist.
Spike-Protein nicht gleich Spike-Protein
Tatsächlich wäre das auch ziemlich seltsam, denn das Spike-Protein, das der Körper infolge einer Impfung herstellt, ist nicht genau dasselbe wie beim Coronavirus: Es ist nämlich so verändert worden, dass es nicht an die Rezeptoren im Körper binden kann und in der Zelle bleibt. Das sei der entscheidende Unterschied, schreibt der Chemiker Derek Lowe. Natürlich produziere die Zelle das Protein, wenn die mRNA-Nanopartikel wirken.
Aber anstatt dieses Protein zu infektiösen Viruspartikeln zusammenzusetzen, wie es bei einer echten Coronavirus-Infektion der Fall wäre, wird dieses Protein an die Oberfläche der Zelle befördert, wo es bleibt. Dort wird es dem Immunsystem als abnormales eindringendes Protein auf einer Zelloberfläche präsentiert. Das Spike-Protein wird nicht freigesetzt, um frei durch den Blutkreislauf zu wandern, da es eine transmembrane Ankerregion besitzt, die es (wie der Name schon sagt) stecken lässt. So sitzt es im Virus selbst und tut es auch in menschlichen Zellen.
Das Spike-Protein, das durch die Impfung produziert wurde, werde also nicht so freigesetzt, dass es auf der Oberfläche anderer menschlicher Zellen auf die sogenannten ACE2-Proteine trifft, an die es bindet und so in die Zellen eindringt, um sie zu infizieren. Das Impf-Spike-Protein sitze demnach auf der Oberfläche von Muskel- und Lymphzellen in der Schulter, wandere nicht in großen Mengen durch die Lunge und verursache so auch keine Probleme.
Daten zeigen: Impfstoff ist sicher
Und was ist mit den Lipid-Nanopartikeln, in die die mRNA verpackt ist? Können die sich in Organen anreichern? Cichutek winkt ab: Diese winzigen Fettpartikel seien extrem instabil. Sie reicherten sich nirgendwo an und der Körper baue sie relativ schnell wieder ab. Auch das sei vor der Zulassung untersucht worden.
Ich muss grundsätzlich sagen, dass diese Behauptungen in den falschen Kontext gesetzt werden. Sie sprechen wichtige toxikologische Untersuchungen an, bei denen auf Basis der regulatorischen Leitlinien klar ist, dass Untersuchungen dazu durchgeführt werden müssen. Diese wurden durchgeführt und sie kamen zu dem Ergebnis, dass es hier keine Schäden gibt, die auf diese Effekte zurückgehen.
Die gute Nahricht ist also, so Cichutek: Der Impfstoff sei sehr sicher. Mittlerweile sind ja auch schon mehrere hundert Millionen Impfdosen weltweit verabreicht worden. Und je mehr es werden, desto klarer belege die riesige Datenmenge die Sicherheit der mRNA-Impfstoffe. Das Paul-Ehrlich-Insitut führe außerdem laufend weiter sogenannte Pharmakovigilanz-Untersuchungen durch. Demnach liegt das Risiko für die bekannten Nebenwirkungen der Impfung bei nur 1:100.000.
Weiterlesen: Byram Bridle im Faktencheck (Englisch)
Auf dem Factchecking-Portal für Gesundheitsthemen "Health Feedback" beschäftigt sich die Neurowissenschaftlerin Iria Carballo-Carbajal ausführlich mit Bridles Thesen: Byram Bridle’s claim that COVID-19 vaccines are toxic fails to account for key differences between the spike protein produced during infection and vaccination, misrepresents studies
Auch das Factchecking-Portal "Politifact" hat sich mit den Behauptungen des Kanadiers Bridle auseinandergesetzt: No proof for researcher claim that COVID-19 vaccines’ spike protein is a ‘toxin’
In einem sehr ausführlichen Beitrag beschäftigt sich David Gorski, Professor für Chirurgie an der Wayne State University und Redakteur bei "Science-Based Medicine", in seinem Text mit den vermeintlichen Gefahren, die dem Spike-Protein zugeschrieben werden, das der Körper durch die Impfung produziert: The “deadly” coronavirus spike protein (according to antivaxxers)
Auf seinem Blog im Online-Portal der Fachzeitschrift Science Translational Medicine diskutiert Derek Lowe - Chemiker und Spezialist in der Wirkstoffforschung - die Frage, inwiefern es Belege dafür gibt, dass Covid-Impfstoffe Gefäßschäden verursachen könnten: Spike Protein Behavior
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