Leeres Speicherbecken, im Hintergrund alte Häuser.
Ein ausgetrockneter Wasserspeicher in der südfranzösischen Gemeinde Saint-Saturnin-les-Apt: Die anhaltende Dürre in Südeuropa wird 2023 voraussichtlich zu Ernteausfällen führen. Bildrechte: IMAGO/Dirk Sattler

Klimawandel 2,2 Grad wärmer: Europa erwärmt sich doppelt so schnell wie andere Kontinente

20. April 2023, 12:09 Uhr

Laut Daten der Copernicus-Umweltsatelliten hat sich Europa in den vergangenen fünf Jahren doppelt so schnell aufgeheizt wie die anderen Kontinente. Hitze und Trockenheit zeigen erste Rückkopplungen.

Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Mosaik mit 12 Hitzekarten von Europa für die Monate Januar bis Dezember.
Abweichung der Temperatur vom Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020 im Verlauf des Jahres 2022. Bildrechte: C3S/ECMWF

Wie dramatisch sich der Klimawandel inzwischen zeigt, haben eine ganze Reihe wissenschaftlicher Reports beschrieben, die in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden. Dem schließt sich nun auch der sechste Bericht des Copernicus Climate Change Service (C3S) an. Der Dienst wertet die Daten der europäischen Copernicus-Umweltsatelliten aus und die zeigen: Europa hat sich in den fünf Jahren doppelt so schnell erwärmt wie alle anderen Kontinente. Nur über dem Nordpol war die Erwärmung noch stärker.

Bei einer Pressekonferenz anlässlich des neuen Berichts zeichneten die Forschenden ein düsteres Bild. Demnach konnten von vielen Klimawissenschaftlern befürchtete Rückkopplungseffekte beobachtet werden, durch die sich die Erwärmung selbst verstärkte. Demnach führten starke Hitzewellen zu einer Austrocknung der Böden, was die Wolkenbildung reduzierte, wodurch es noch wärmer wurde, was die Austrocknung weiter verstärkte.

Zwei Drittel aller europäischen Flüsse hatten weniger Wasser als sonst

 Monatliche durchschnittliche Abflussanomalien der Flüsse für August 2022. Es werden nur Flüsse mit einem Einzugsgebiet von mehr als 1.000 km2 gezeigt.
Fast zwei Drittel aller Flüsse führte 2022 weniger Wasser als sonst. Bildrechte: Copernicus EMS/ECMWF

Insgesamt lag die Durchschnittstemperatur in Europa im vergangenen Jahr 2,2 Grad Celsius über dem Niveau vor der Industrialisierung. Laut den beteiligten Forschenden war es das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnung und der heißeste Sommer bisher. Rund ein Drittel des Kontinents sei von Dürren betroffen gewesen. Etwa 63 Prozent der Flüsse führten weniger Wasser mit sich als sonst üblich.

Durch die Hitze kam es zu starken Waldbränden, deren gesamte Fläche die zweitgrößte jemals festgestellte Ausdehnung erreichte. Die Menge des durch die Brände freigesetzten CO2 war die zweitgrößte seit 15 Jahren, in einigen Ländern sogar seit 20 Jahren. Zudem zeigten die Satellitendaten den stärksten Verlust von Gletschereis in den Alpen seit Beginn der Beobachtungen. Insgesamt seien fünf Kubikkilometer Eis verlorengegangen.

Konzentration von Treibhausgasen steigt weiter

Average surface air temperature anomaly for 2022, relative to the 1991–2020 reference period.
2022 waren die Temperaturen in nahezu allen Regionen Europas wärmer, als im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020. Bildrechte: C3S/ECMWF

Auch hier drohen gefährliche Feedbackschleifen: Weniger Wald und mehr Brände bedeuten mehr CO2 und damit eine stärkere Erwärmung. Weniger Eis bedeutet eine geringere Reflexion von Sonnenenergie zurück ins All und damit ebenfalls mehr Wärme. Zudem waren auch die Temperaturen im Mittelmeer, dem Atlantik und dem Arktischen Ozean höher als je zuvor, was ebenfalls stark auf das Wetter über Europa einwirkte.

Die Satelliten maßen außerdem eine weitere Erhöhung der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Der Anstieg von CO2 und Methan ging trotz einer Reduktion der Emissionen in Europa und den USA weiter, wahrscheinlich vor allem getrieben vom starken Wachstum in China und Indien.

Rekordeisverlust in der Arktis und in Grönland

Noch stärkere Effekte beobachteten die Satelliten nur in der Arktis, also dem nördlichen Polargebiet. Dort und in Grönland lagen die Temperaturen im Schnitt sogar drei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Insgesamt gingen elf Kubikkilometer Eismasse verloren, auch, weil eine Hitzewelle im September warmen Regen nach Grönland brachte, wo die Temperaturen teilweise acht Grad Celsius über dem Durchschnitt lagen. Der Regen verstärkte die Eisschmelze zusätzlich.

"Wir können die Auswirkungen dieses Klimawandels inzwischen alle in unserem Alltag sehen", sagte Mauro Facchini, Leiter des Erdbeobachtungsprogramms bei der EU-Kommission. Überall auf dem Kontinent werde nun intensiv daran gearbeitet, Wasser künftig besser zu halten und zu speichern.

Jährliche Anomalien der Oberflächenlufttemperatur im September über dem grönländischen Eisschild für den Zeitraum 1991 bis 2022, im Vergleich zum Durchschnitt des Referenzzeitraums 1991-2020. Rechts: Temperaturanomalien im September 2022, bezogen auf den Durchschnitt.
Grönland erlebte im September 2022 eine außergewöhnliche Hitzewelle, die eine starke Eisschmelze in Gang setzte. Bildrechte: C3S/ECMWF/GEUS

Starker Hitzestress für Menschen in der Mittelmeerregion

Eine eingefärbte Landkarte von Europa.
Anzahl der Tage mit "starker Hitzebelastung" (UTCI zwischen 32 und 38°C) im Juni, Juli und August 2022. Bildrechte: C3S/ECMWF

Auch für die Gesundheit der Menschen veränderten sich die Bedingungen dramatisch, vergleiche man das Klima während des Lebens der heutigen Generation von Großeltern mit dem, das zukünftige Großenkel leben werden, sagte Carlo Buontempo, Direktor von C3S. "Das Klima, das jetzt kommt, wird für uns alle ganz anders sein, als das Klima, das wir gewohnt sind."

So zählten die Forschenden 2022 mehr Tage mit sehr starkem Hitzestress in Europa als je zuvor. Sehr starker Hitzestress bedeutet eine gefühlte Temperatur zwischen 38 und 46 Grad Celsius. In Italien, Spanien und auf dem Balkan wurden teilweise bis zu 90 solcher Tage gezählt, in Deutschland waren es je nach Region zwischen 20 und 30 Tage.

Gute Bedingungen für Solarenergie – Ernteausfälle durch Dürre in Frankreich wahrscheinlich

Einziger Lichtblick so gesehen ist, dass das veränderte Klima die Bedingungen für die Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom verbessert. Durch die höchste Zahl an Sonnenstunden in Europa seien die Bedingungen für Photovoltaik besser denn je gewesen, so der C3S-Bericht. Da starke Hitze die Effektivität der Zellen allerdings einschränkt, verläuft die Entwicklung nicht linear. Wenig Wind in Südeuropa schränkte zudem die Windstromerzeugung etwas ein.

Für den jetzt kommenden Sommer 2023 rechnen die Forschenden erneut mit einer starken Wasserknappheit in Südeuropa und Frankreich. Durch den extrem trockenen Winter sind die Wasserreserven südlich der Alpen und entlang des Mittelmeers sehr knapp. Ernteausfälle seien daher sehr wahrscheinlich, wenn jetzt in den kommenden Monaten nicht überdurchschnittlich viel Regen in den betroffenen Regionen falle, sagte Samantha Burgess, Vizedirektorin von C3S.

Links/Studien

  • Zusammenfassung der Ergebnisse des Berichts und Links gibt es hier.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. April 2023 | 08:30 Uhr

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