MDR KLIMA-UPDATE | 07. April 2023 Wir müssen beim Wasser umdenken!
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Ausgabe #83 vom Freitag, 07. April 2023
07. April 2023, 11:00 Uhr
In Deutschland normalisiert sich die Bodenfeuchtigkeit nach einem feuchten Winter einigermaßen. Frankreich dagegen steuert auf ein erneutes Dürrejahr zu. Was bedeutet das für unseren Umgang mit Wasser in der Zukunft?
Hallo miteinander,
für Christen erinnert der heutige Karfreitag an Jesus Tod am Kreuz und das folgende Osterwochenende an seine Wiederauferstehung. Ich selbst bin zwar kein praktizierender Christ. Aber ich denke öfter darüber nach, welche tieferen Wahrheiten in Religionen jenseits der Geschichten von übernatürlichen Wundern, göttlichen Heilungen oder Träumen eines Paradieses im Jenseits stecken.
Die christliche Ostergeschichte könnte man zum Beispiel auch so verstehen: Wie wichtig ihnen Jesus war, erkannten seine Jünger und später auch der Rest der Menschheit erst, als er gestorben war. Der Verlust machte das Erbe, die hinterlassenen Gleichnisse, die Werte und die Haltungen wertvoller, als sie zu Jesus Lebzeiten waren. Ohne den Propheten mussten die Anhänger die Botschaft nun selbst lebendig werden lassen und auf der Welt verbreiten. Vielleicht ist das die eigentliche Wiederauferstehung.
Erlauben Sie mir den weiten Bogen zum Thema dieses Newsletters: Manchmal fürchte ich, dass die Menschheit ähnlich funktioniert in Bezug auf Klima und Umwelt. Viele wollen so lange die Augen verschließen vor der Verletzlichkeit unserer ökologischen Grundlagen, dass sie ihre Verantwortung erst kapieren, wenn es zu spät ist.
Leider ist in Bezug auf klimatische Kipppunkte nicht von wundersamer Wiederauferstehung auszugehen. Sonst wären es keine Kipppunkte. Wir müssen also schon vorher ins Handeln kommen. Zum Glück haben das wenigstens einige Fachbehörden verstanden. Vor allem diejenigen, die sich mit dem Wasser beschäftigen.
Und das müssen sie auch, denn während wir uns hierzulande über den ersten regnerischen Frühling seit langem freuen dürfen, könnte sich die Dürre in Frankreich zu einer schweren Krise in diesem Sommer verschärfen. Mehr dazu im Thema der Woche. Zunächst aber zur ...
Zahl der Woche:
570 Millionen ...
… kleine Elefanten würden zusammen etwa 2,7 Gigatonnen auf die Waage bringen. Das sind allerdings etwa 1.000 Mal so viele Tiere, wie aktuell auf der Erde leben. 2,7 Gigatonnen, das ist die Masse an Gletschereis, das in den vergangenen 20 Jahren im Himalaya geschmolzen ist. Zusätzlich zu dem bereits bekannten Eisverlust. Ein internationales Forscherteam hat Schmelzwasserseen unterhalb der Gletscher vermessen und ist zum Ergebnis gekommen, dass zwischen 2000 und 2020 etwa 6,5 Prozent mehr Eis geschmolzen ist, als bislang vermutet wurde.
Die Studie bestätigt wieder einmal, dass die durch die globale Erwärmung ausgelösten Prozesse viel schneller voranschreiten, als Forschende zunächst angenommen haben.
- Zur Studie in Nature Geoscience: Underestimated mass loss from lake-terminating glaciers in the greater Himalaya
In Frankreich beten sie …
Dass Ostern immer zu Beginn des Frühlings ist, ist ja kein Zufall. Pflanzen und Tiere wachen aus der Winterstarre auf. In Deutschland erleben wir zum ersten Mal seit fünf Jahren einen Frühling, wie er früher normal war: Viel Regen und über längere Strecken kühl. Was uns vielleicht nicht immer angenehm erscheint, ist ein Segen für die Natur. Zum ersten Mal seit 2018 sieht es so aus, als könnte sich der Wasserhaushalt in den Böden wieder etwas normalisieren.
Ein Blick nach Frankreich zeigt aber: Das gilt nicht für ganz Europa. Dort ist es seit mehr als einem Jahr viel zu trocken und auch im Winter hat sich das nicht geändert. Im Februar fiel so wenig Regen wie nie zuvor. Zwar hat sich die Lage durch Regen im März ein bisschen entspannt. Doch die Niederschläge reichen nicht aus, um die Wasserreservoire im Boden wieder aufzufüllen.
Die Folge: Weil kein Grundwasser mehr von den Seiten einströmt, hängen die Wasserstände in den Flüssen direkt vom Regen ab. Bleibt der aus, fallen die Pegel schnell wieder, was neben Einschränkungen für die Flussschifffahrt auch wieder zum Problem für einige Atomkraftwerke wird, denen das nötige Kühlwasser ausgeht. Die nächste europäische Stromkrise im Sommer klopft an die Tür.
In der südfranzösischen Stadt Perpignan brachen Landwirte und katholische Geistliche Mitte März zu einer Prozession auf, um für Regen zu beten. Die aktuelle Trockenheit dort ist die Längste seit 1959, dem Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen. Die Bewohner einiger Kommunen bekommen ihr Trinkwasser inzwischen aus Tankwagen, weil die Grundwasserquellen erschöpft sind.
Ist Deutschland noch ein wasserreiches Land?
Und in Deutschland? Die nach 2018 fast vier Jahre anhaltende (und immer noch nicht in der ganzen Tiefe aufgelöste) Dürre in den Böden hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. "So ein Ereignis haben wir im letzten Vierteljahrtausend, aus dem wir Wetterdaten haben, so nicht gesehen", sagt der Hydrologe Andreas Marx. Der Wissenschaftler betreut den Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. "Hätten wir im März 2018 vorausgesagt, dass die Dürre so lange anhalten würde, dann hätten das viele vermutlich nicht geglaubt."
Marx hat zusammen mit Kollegen über 70 Klimasimulationen durchgerechnet, um das zukünftige Wasserangebot in Deutschland abschätzen zu können. Die Wissenschaftler nahmen die Ergebnisse aus allen Modellen und ermittelten einen gemeinsamen Mittelwert. Demnach bleibt das Wasserangebot im Gesamtverlauf der kommenden 30 Jahre relativ stabil. "Deutschland bleibt ein wasserreiches Land", hat Marx deshalb bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt. Das bringt ihm inzwischen von Kolleginnen und Kollegen aus dem Fach Kritik ein.
"Wir befinden uns in einem gedanklichen Wandel. Wir sagen nicht mehr 'Deutschland ist ein wasserreiches Land' wie noch vor sechs, sieben Jahren", sagt Corinna Baumgarten, die am Umweltbundesamt in einer Arbeitsgruppe zu den Themen Klimafolgen, Trockenheit und Starkregen arbeitet. Das Umweltbundesamt hat eine Grafik erstellt, die zeigt, welche Mengen an Wasser in Seen, Flüssen und im Boden in den vergangenen 20 Jahren neu gebildet wurden im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt 1961 bis 1990. Seit 2011 war dieses sogenannte Wasserdargebot jedes Jahr unter dem Durchschnitt – mit fallender Tendenz.
Warum langfristig stabile Mittelwerte trotzdem keine gute Nachricht wären
"Was uns viele Bundesländer berichten: Die aktuelle Situation wird von den Klimamodellen nicht gut abgebildet", fasst Corinna Baumgarten die Sicht ihrer Arbeitsgruppe zusammen. "Was wir in den letzten Jahren beobachtet haben, befindet sich am unteren Rand dessen, was die Modelle berechnet haben." Eine neue Studie von Andreas Günter vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) bilanziert den durchschnittlichen Wasserverlust in Deutschland seit 2000 auf 760 Millionen Liter Wasser pro Jahr oder eine Gesamtmenge von 15,2 Kubikkilometern. Allerdings räumen die Forschenden auch ein, dass der Zeitraum von 20 Jahren zu kurz und zu stark von Extremlagen geprägt sei, um einen langfristigen Trend ermitteln zu können.
Andreas Marx geht deshalb trotzdem davon aus, dass es auch wieder eine Entwicklung in die andere Richtung gibt, auch bei weiterer Klimaerwärmung. "Es ist nicht plausibel, anzunehmen, dass diese Grundwasserstände immer so niedrig bleiben, wie sie gerade sind." Langfristig stabile Mittelwerte will er aber überhaupt nicht als gute Nachricht verstanden wissen oder als Begründung, sich zurücklehnen zu können. "Die Schwankungen, die Volatilität nimmt zu. Das bedeutet, die Extreme werden häufiger. Mehr und längere Dürren auf der einen und mitunter heftigere Niederschläge auf der anderen Seite."
Sowohl Baumgarten als auch Marx loben daher die Nationale Wasserstrategie, die die Bundesregierung am 15. März beschlossen hat. Darin haben sich Bund, Länder und Kommunen darauf geeinigt, dass Wasserbedarfe und Angebote künftig viel genauer beobachtet und wo immer möglich auch gesteuert werden sollen.
Dürre und Fluten - welche Anpassungsmaßnahmen passen zu beiden Extremen?
"Es gibt eine große Debatte über Maßnahmen: Wie kann man die Entwässerung der Landschaft reduzieren? Wie kann man das Wasser länger halten? Welche naturbasierten Möglichkeiten gibt es, wo kann man weniger auf technische Maßnahmen setzen und auch den Ökosystemen mehr Wasser zur Verfügung stellen?", sagt Corinna Baumgarten und hat unter anderem die Wiedervernässung von Mooren als eine Möglichkeit vor Augen, die viele Ziele gleichzeitig erreicht, vom Erhalt der Biodiversität bis zur Vorsorge von Dürren.
Andreas Marx dagegen warnt vor einer einseitigen Konzentration auf Dürren: "Unsere Reaktionen auf den Klimawandel sind oft vom jüngsten Extrem geprägt. Gab es ein Hochwasser, bauen wir die Deiche aus. Jetzt gab es eine Dürre und wir reden davon, dass Wasser in der Landschaft zu halten und die Entwässerung zurück zu bauen. Wir brauchen aber beides", sagt er auch im Hinblick auf das Ahrtalhochwasser mit seinen über 100 Todesopfern und verheerenden Schäden. Ein solches Flutereignis wäre einige Jahre zuvor noch als unwahrscheinlich eingestuft worden.
Aber auch er hält es für sehr sinnvoll, die Versiegelung von Städten zu verringern um mehr Möglichkeiten für Wasser zu schaffen, auch in bewohntem Gebiet im Boden versickern zu können. Oder dringend die Möglichkeit für Landwirte und private Gärtner einzuschränken, überall Brunnen bohren zu dürfen und den Wasserverbrauch nicht messen zu müssen. "Da gibt es keine Wasseruhren und es müssen auch keine Werte übermittelt werden. Das muss sich dringend ändern."
🗓 Klima-Termine
Freitag, 7. April – Leipzig
Am Karfreitag lädt der Wildparkverein zu seinem traditionellen Osterspaziergang ein. Führungen für die ganze Familie erklären Wissenswertes zu Frühblühern und einheimischen Tieren im Leipzig Wildpark. Der Eintritt für Erwachsene beträgt vier, der für Kinder drei Euro. Beginn ist um 11 Uhr.
Samstag, 16. April – Gotha
Die Umweltschutzorganisation BUND lädt zum ganztägigen Frühlingsfest in den Wildwuchsgarten in der Enckestraße in Gotha. Neben Essen und Musik wird es auch eine Pflanzentauschbörse geben. Der Eintritt ist frei.
Samstag, 16. April – Leipzig
Zum offiziellen Auwaldtag 2023 gibt Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal die Auwaldart des Jahres bekannt. Anschließend bieten Fachreferenten eine kleine Exkursion in den Lebensraum der Spezies an. Beginn ist um 10 Uhr.
Dienstag, 18. April – Halle (Saale)
Welche psychologischen Fähigkeiten benötigen wir, um unsere Klima- und Nachhaltigkeitsprobleme zu lösen? Wie können wir unseren Kindern zugleich eine gerechte und lebenswerte Zukunft schaffen? Diskussion mit dem Psychologen und Buchautor Felix Peter, Halle-Zero Initiatorin Susanne Bär und Fridays-for-Future Aktivist Ole Horn. Beginn von "Zukunft gewinnen! Handlungsmöglichkeiten und Handlungspraxis in Zeiten der Klimakrise" ist um 19 Uhr im Spiegelsaal im Puschkinhaus.
Mittwoch, 19. April – Online
Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland sollen am 15. April endgültig abgeschaltet werden. Am 19. April blickt eine Online-Diskussionsveranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung auf die Geschichte der Atomkraft zurück, fragt nach den Herausforderungen, die nun bei der Abwicklung in Deutschland zu bewältigen sind und nach neuen Risiken weltweit – etwa beim Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine, das immer wieder Schauplatz von Kampfhandlungen im andauernden Krieg wird. Neben Grünen-Politikerinnen und Forschenden nimmt mit Uwe Jorden auch ein ehemaliger Anlagenleiter im Kernkraftwerk Brokdorf an der Diskussion teil. Die Teilnahme ist kostenlos, um eine Anmeldung wird gebeten.
📰 Klimaforschung und Menschheit
Tauende Permafrostböden: Warum zusätzliche Umweltschäden durch Industrie drohen
In der Arktis drohen auch massive Belastungen mit Industrie-Altlasten und Schadstoffen, wenn die Permafrostböden auftauen. Forschende des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung warnen davor, dass feste Untergründe instabil werden und Industrieanlagen und Ölfelder zerstört werden könnten. Dadurch würden zum einen Schadstoffe verstärkt freigesetzt und bereits bestehende Kontaminationen in Ökosystemen könnten sich leichter ausbreiten. Das AWI schätzt, dass es in der Arktis mindestens 13.000 bis 20.000 solcher belasteten Flächen gibt, von denen künftig ein großes Risiko ausgehen könnte. Bisher galten Permafrostböden als solide Plattform und "natürliche Barriere" für die Ausbreitung von Schadstoffen. Doch mit dem Voranschreiten des Klimawandels entstehen vielfach unterschätzte Gefahren.
- Link zur Studie: Thawing permafrost poses environmental threat to thousands of sites with legacy industrial contamination.
Wasserqualität in Seen beeinflusst den Wert von Grundstücken am Ufer
Eine Verbesserung der Wasserqualität in den Seen der USA könnte den Wert ufernaher Grundstücke um sechs bis neun Milliarden Dollar steigern. zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Journal PNAS. Die Forschenden verglichen Grundstücksverkaufswerte entlang von 2.000 Kilometer Küstenlinie zwischen den Jahren 2000 bis 2019. Dabei konzentrierten sie sich vor allem auf die Klarheit des Wassers, also auf die Tiefe, in die Licht durchdringen kann und die Konzentration des grünen Pflanzenfarbstoffs Chlorophyll. Hohe Chlorophyllwerte weisen auf eine starke Algenkonzentration hin, die das Wasser trübt. Bei der Auswertung zeigte sich ein starker Zusammenhang zwischen der Wasserqualität und den Grundstückswerten, der umso stärker wurde, je näher ein Grundstück am Ufer lag. Würde die Wasserqualität in allen Seen der USA wieder auf ihr natürliches Niveau verbessert, könnten die Immobilienwerte um insgesamt 26,67 Milliarden US-Dollar steigen, so die Forschenden.
- Link zur Studie: Valuing water quality in the United States using a national dataset on property values
40 bis 60 Prozent weniger Treibhausgase durch Tierhaltung möglich
Bonner Forschende haben ein System entwickelt, um die Entstehung von Ammoniak und Methan durch Gülle aus der Tierhaltung deutlich zu reduzieren. Dabei werden die Ausscheidungen der Tiere aus den Ställen gepumpt, dann mit Schwefelsäure behandelt und schließlich wieder in den Ställen gelagert. Die Emissionen des giftigen Gases Ammoniak konnten damit um rund 40 Prozent, die Methanemissionen sogar um zwei Drittel gesenkt werden, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt Journal of Environmental Management.
📻 Klima in MDR und ARD
👋 Zum Schluss
Damit zu diesem Frühlingsbeginn nicht nur traurige Nachrichten aus der Klimaforschung hängen bleiben, habe ich hier noch einen Tipp für Sie, der ein bisschen Spaß verspricht.
Und zwar haben unsere Kollegen von MDR SPUTNIK eine Aktion gestartet: Lauf mit Sputnik um die Welt. Bis Ende kommender Woche (14. April) sind alle aufgefordert, das Auto so oft wie möglich stehen zu lassen, mehr zu gehen und Schritte zu zählen. Diese Schritte kann man dann Sputnik melden, wo die Kollegen jeden Tag alle Meldungen addieren. Ziel: Bis zum Ende der Aktion sollen die Teilnehmenden genug Schritte gemeldet haben, dass daraus eine (zumindest theoretische) Weltumrundung wird.
Bis Donnerstag standen 22.269 Kilometer auf der Uhr, eine Strecke, die dem Weg von Halle bis fast nach Sydney an der australischen Ostküste entspricht. Eine Woche bleibt noch, um die USA zu durchwandern. Teilnehmenden winkt als Gewinn eine von fünf Bahncards 100 (im Wert von 4339 Euro) – für die Distanzen, die sich partout nicht laufen lassen.
Schöne Osterspaziergänge wünscht,
Clemens Haug
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Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 22. März 2023 | 19:00 Uhr