Stadt als Bioreservat Städte als Nischen für Tiere und Pflanzen – mit Akupunktur für die Natur
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25. Mai 2020, 09:47 Uhr
Ob in der Ostsee, in Korallenriffen oder auf Feldern: Überall erleben wir, dass die Artenvielfalt schwindet. Der Weltbiodiversitätsrat fürchtet, das in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine Million Tier- und Pflanzenarten aussterben könnten. Städte könnten die neuen Hotspots für Biodiversität werden, indem sie grüne Nischen für Tiere und Pflanzen bieten. Ein Forschungsprojekt will das unterstützen und orientiert sich dabei an der traditionellen, chinesischen Medizin.
Das Café Oink im Leipziger Westen liegt direkt an einem Fahrradweg am Kanal. Über eine kleine Treppe mit Stahlgeländer gelangt man ins Innere. Den kalten Stahl umranken zahlreiche Kletterpflanzen. Christiane Heinichen hat sie dort eingepflanzt. Sie arbeitet beim Leipziger Umweltverein Ökolöwe und sorgt dafür, dass die Stadt mehr Kletterpflanzen und andere kleine Grünflächen erhält:
Kletterpflanzen bieten ein riesiges Potential für diese Mikrobegrünungen in der Stadt, zum einen ist Leipzig gekennzeichnet durch ein großes Wachstum, das immer einhergeht mit einer großen Flächenkonkurrenz. Da sind vertikale Begrünungen eine tolle Möglichkeit Grün in die Höhe wachsen zu lassen. Und es gibt sehr viele Kletterpflanzen, die ökologisch sehr wertvoll sind, weil sie Nahrungsangebote für Vögel und Insekten bieten.
Urbane Akupunktur: Kleiner Stich, große Wirkung
Die Kletterpflanzen sind ein Beispiel dafür, wie man aus einem kleinen unbelebten Platz einen Lebensraum für Tiere schafft. Wie das gehen kann, versucht auch das Forschungsprojekt "Urbane Umweltakupunktur" herauszufinden. Der Name sei nicht ohne Grund an die traditionelle chinesische Heilmethode angelehnt, erklärt die Biologin Juliane Mathey vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden:
Mit einem kleinen Nadelstich will man eine große Wirkung erzielen, einen Körper heilen. Das ist die Idee der chinesischen Medizin und wir wollen mit kleinen Maßnahmen große Wirkungen erzielen im städtischen Bereich. In dem Projekt gibt es den Ansatz, dass man für verschiedene Problemlösungen mit Grünflächen agiert, also das man auswählt, an dem und dem Ort sollte man eingreifen, und damit erzielt man eben die Wirkung.
Manchmal reicht schon ein Baum
Im Forschungsprojekt wurden insgesamt 16 Flächen in vier europäischen Städten ausgesucht: eine ungenutzte Fläche vor einem Kindergarten in Erfurt, Hinterhöfe einer polnischen Stadt, Brachen oder auch Fassaden. Die Flächen sind kleiner als 2.000 Quadratmeter und sollen gemeinsam mit den Anwohnerinnen vor Ort mit Blumen, Sträuchern oder Bäumen aufgewertet werden. Die Wissenschaftlerinnen um Juliane Mathey wollen herausfinden, welche Effekte diese kleinen Grünflächen auf den Stadtteil haben:
Manchmal reicht schon ein Baum aus. Wenn man sich in den Schatten eines Baums stellen kann, hat man schon was getan für das Erleben des Menschen. Solche Flächen haben auch auf die Nachbarflächen Einfluss. Das heißt, wenn da jetzt Häuser stehen, auch da sind Kühlungseffekte zu erwarten.
Natur kann therapeutisch wirken
Außerdem könnten die Grünflächen wie wahre Oasen wirken, erklärt die Biologin Aletta Bonn vom Deutschen Zentrum für integrierte Biodiversitätsforschung (iDiv) in Leipzig:
Hier ist ein ganz großes Potential vorhanden. Vor allem jetzt, wo wir eingeschränkt sind in unserem Bewegungsraum, sind diese Grünflächen - und wenn es auch nur die Pflanze auf dem Balkon ist - wichtig für unser Wohlbefinden. Hier gibt es Forschungen, die zeigen, dass gerade in Krisenzeiten Natur auf vielerlei Weisen therapeutisch wirken kann.
4.000 Samenmischungen für Leipzig
Nach Ablauf des Projekts Urbane Umweltakupunktur soll ein Handbuch mit Empfehlungen für Stadtverwaltungen und die Stadtbewohnerinnen entstehen. Denn das ist der Leitgedanke des Projekts: Die ganze Stadtgesellschaft kann Flora und Fauna schützen und fördern. In Leipzig bietet der Verein Ökolöwe nicht nur Kletterpflanzen an, sondern verschickt auch Samenpakete für Blühwiesen. Allein diese Samenmischungen haben in den vergangenen Wochen schon 4.000 Leipzigerinnen und Leipziger bestellt - mit sichtbaren Auswirkungen auf die Stadt, sagt Christiane Heinichen vom Ökolöwen:
Am Ende macht es bei den Mikrobegrünungen vor allem die Masse. Es ist ein grünes, bunt geflecktes Band, was man für die Stadt webt. Es sind ökologische Trittsteine, die Vögeln und Insekten dabei helfen, Nahrungsquellen und Lebensräume miteinander zu vernetzen.
Viele kleine grüne Nadelstiche können dabei helfen, die Biodiversität, das Stadtklima und das Wohlbefinden der Bewohnerinnen zu fördern. Die Leipziger Umweltaktivistin und die Expertinnen sind sich aber auch darüber im Klaren: Um die bedrohte Artenvielfalt weltweit zu retten, darf der Schutz von Pflanzen und Tieren nicht an den Stadtgrenzen enden.
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