Mittelgebirgs-Bäche Klimaerwärmung sorgt für erheblich weniger Insekten
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10. Mai 2020, 17:00 Uhr
In einem Naturschutzgebiet in Hessen hat ein Forschungsteam über 42 Jahre die Veränderung der Insektenwelt eines deutschen Fließgewässers untersucht. Die Daten zeigen eine dramatische Entwicklung: Die Anzahl der Wasserinsekten im Breitenbach ist um 81,6 Prozent gesunken. Die Artenvielfalt jedoch ist leicht angestiegen.
Der Breitenbach ist ein typischer Mittelgebirgsfluss, wie er zahlreich in Deutschland zu finden ist, sagt Senckenberg-Wissenschaftler Prof. Peter Haase. Diese Form der Fließgewässer fänden sich in Deutschland und Mitteleuropa am häufigsten.
Ein sehr kleiner Bach sei das, fernab von direkten menschlichen Einflüssen und von jeder Siedlung. Untersuchungen aus den vergangenen 40 Jahren zeigen, dass es dort auch keine nennenswerte Beeinflussung durch Verschmutzung gegeben hat, erläutert Haase. Genau dort hat er gemeinsam mit Viktor Baranov von der Ludwig-Maximilians-Universität München und zahlreichen weiteren Forschenden eine Langzeitstudie durchgeführt: Über einen Zeitraum von 42 Jahren sind hier mindestens einmal pro Woche Proben genommen worden. Die Ergebnisse dieses Mammutprojekts sind nun im Fachjournal Conservation Biology erschienen.
Wärmerer Bach - weniger Insekten
Jede Woche haben Forschende an derselben Stelle des Bachs Insektenproben genommen und tägliche Wasserabluss- und Temperaturmessungen gemacht. Weltweit sei wohl kein anderes Fließgewässer so intensiv beprobt worden, sagt der Senckenberg-Professor. Mithilfe dieses Vorgehens konnten die Forscher untersuchen, wie die Veränderungen im Klima sich auf die Insektenwelt auswirkte.
Wir konnten so einer zentralen Frage in der Ökologieforschung nachgehen: Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf – ansonsten weitestgehend ungestörte – Ökosysteme?
Die Ergebnisse ihrer Analyse bezeichnen die Forscher als alarmirend: Die durchschnittliche Wassertemperatur des Breitenbachs sei im Zeitraum Januar 1969 bis Dezember 2010 um 1,8 Grad gestiegen. Währenddessen habe sich die Anzahl der gezählten Insekten um 81,6 Prozent verringert. Allerdings sei die Vielfalt der Arten gestiegen. Es gab also insgesamt weniger Insekten, dafür aber mehr verschiedene Arten.
Wärmeres Wasser verändert den Bach
Was zunächst widersprüchlich klingt, erklären die Forschenden mit einer "Verschiebung der Fließgewässereigenschaften".
Sei der beprobte Abschnitt von mehr als 40 Jahren noch ein klassischer Bachoberlauf gewesen, zähle er durch den Temeraturanstieg nun zu einem Bachmittellauf. Und darin finde man generell mehr verschiedene Insektenarten. Allerdings zeigen die Daten auch, dass die Vielfalt in den letzten zwei Dekaden auch wieder abgenommen hat, so die Insektenforscher. Grund dafür seien Trockenperioden und zunehmend unberechenbare Hochwasserlagen - also erneut Auswirkungen der Klimaerwärmung.
Unsere Studie zeigt, dass der Klimawandel auch in ansonsten anthropogen unbeeinflussten Gebieten bereits einen erheblichen Einfluss auf unsere aquatischen Ökosysteme hat. Zudem wird die Komplexität der Natur deutlich, welche sich nicht linear verhält. Diese kann nur durch Langzeitmessungen, wie am Breitenbach, in ihrer Gänze verstanden werden.
Kein Widerspruch zu Meta-Analyse
Im Breitenbach gibt es dem Forschungsteam zufolge also fast 82 Prozent weniger Insekten. Aber gilt das auch für andere Gewässer? Natürlich ist das nur eine Einzelfallstudie, betont Haase. Mit Verallgemeinerungen müsse man vorsichtig sein. Allerdings kommt dieser Gewässertyp recht häufig in Deutschland vor und auch andere Oberläufe von Mittelgebirgsbächen sind in der Regel relativ wenig beeinträchtigt, so der Senckenberg-Wissenschaftler. Ganz abwegig ist es also nicht, dass es anderswo ganz ähnlich aussieht.
Und dabei hatten Forschende in einer kürzlich veröffentlichten Meta-Analyse weltweiter Daten eine vermeintlich gute Nachricht: Den Süßwasserinsekten gehe es besser, hieß es da. Ihre Zahl würde durchschnittlich leicht ansteigen.
Doch was gut klingt, war in den Augen vieler anderer Fachleute etwas missverständlich eingeordnet: Im Vergleich zur noch viel schlechteren Situation vor einigen Jahren hat sich die Situation ein bisschen verbessert. Das heißt nicht, dass es den Gewässern heute gut geht, so Haase. Nach wie vor seien in Deutschland mehr als 90 Prozent der Gewässer in keinem guten ökologischen Zustand. Hätte die Situation in den 70er Jahren mit Schaumkronen auf den Gewässern und tonnenweisen toten Fischen die Schulnote fünf bekommen, reiche es jetzt vielleicht für eine vier. Das heißt: Es gab zwar eine leichte Erholung, aber die Situation ist noch immer weit weg vom Idealzustand.
Deshalb sei es für die aktuelle Untersuchung umso wichtiger gewesen, dass die Langzeitstudie in einem Ökosystem stattgefunden hat, das vom Menschen nahezu unbeeinflusst gewesen ist, erläutert Professor Haase. Nur in so einem Umfeld könne der direkte Einfluss des Klimawandels ohne zu viele Störfaktoren ermittelt werden. Außerdem ist es nicht nur wichtig zu wissen, wie viele Insekten insgesamt noch im Ökosystem vorhanden sind, sondern auch, welche Art von Insekten, ergänzt Baranov. Der Fokus auf die reine Biomasse sei irreführend.
Es ist auch wichtig zu wissen, welche Arten von Insekten abnehmen: Ein Rückgang der Biomasse von Bestäubern, die für die Fortpflanzung unserer Pflanzen zuständig sind, ist ebenso alarmierend wie die Zunahme von Schädlingen.
(kie)
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