Silbersalz-Festival Fluch oder Segen? Wie Schüler soziale Medien sehen
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30. Oktober 2024, 15:28 Uhr
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Gilt der alte Satz immer noch, oder heute mehr denn je? Beim Schülerkino zum Silbersalz-Fetstval in Halle diskutieren Schülerinnen und Schüler über soziale Medien. Sind viele Likes wirklich gut?
Knapp 160 Schülerinnen und Schüler haben Platz genommen im großen Saal der Leopoldina, der in Halle ansässigen Nationalen Akademie der Wissenschaften. Stimmen murmeln durcheinander, die Aufstellung der Stuhlreihen irritiert die Jugendlichen. Statt auf die große Bühne ausgerichtet zu sein, stehen die Stuhlreihen parallel zu den Längswänden und zeigen in Richtung Raummitte. Grund ist die Art der Veranstaltung: Schülerkino mit Unterhausdebatte heißt das Format, mit dem das diesjährige Silbersalz-Festival begann, das am 30. Oktober offiziell eröffnet wird.
Vor einer Toten haben sich Fotografen aufgereiht
"An the King said, what a fantsastic machine" ist der Name des Films: Eine Geschichte der visuellen Medien, von der ersten Fotografie bis hin zur Allgegenwart von Kameras im Zeitalter von Social Media. Eine Doku, die Schockmomente bereithält. Zum Beispiel, wenn sie zeigt, dass jede Geschichte eine Frage der Perspektive ist. "Die Geschichte mit dem Mädchen aus Haiti hat mich voll berührt", erzählt eine Schülerin in der Pause.
Es ist die Story eines Pressefotos. Zu sehen ist darauf ein totes Mädchen, das auf einer Straße liegt, die 15-jährige Haitianerin Fabienne Cherisma. In den sozialen Unruhen, die auf das gewaltige Erdbeben im Jahr 2010 folgten, wurde sie Opfer einer Polizeikugel. Ein schwedischer Fotograf wird für das Bild ausgezeichnet. Bei der Preisverleihung wird aber ein zweites Foto bekannt. Es zeigt die Entstehung der Aufnahme: Fotografen stehen praktisch in Reihen vor der Toten: Eine Leiche als perfektes Symbol einer Geschichte – so zynisch war das Mediengeschäft mitunter schon vor dem Durchbruch von Social Media. Photographing Fabienne lautet die Überschrift über den Bericht dazu. Heute würde man ein Hashtag # davorsetzen.
Den Ruhm genießen oder sich unabhängig machen von der Meinung anderer?
Nach zwanzig Minuten Input durch den Film sollen die Schüler debattieren. Die Fragen lauten: "Sind so viele Likes wie möglich immer gut?", "Sollten auch Trauer und Ängste in sozialen Medien gezeigt werden", "Sind Filme, Serien und Social Media immer eine gute Entspannung?". Jede Seite des Raums wird jeweils Ja oder Nein zugeordnet. Nach einer kurzen Einführung wechseln die Schülerinnen und Schüler eifrig Plätze.
Klar wollen fast alle so viele Likes wie möglich haben. "Das ist gut für das Selbstbewusstsein", sagt einer. Ein anderer hält dagegen: "Es sollte doch völlig egal sein, was andere denken, Hauptsache man selbst findet etwas gut." "Viele Likes unter einem Post mit verletzenden und beleidigenden Inhalten sind auch ein Problem", gibt eine Schülerin zu bedenken.
Soziale Medien machen süchtig – die Plattformkonzerne wollen es so
"Man soll sich nicht so abhängig machen von der Meinung anderer. Soziale Medien sind nicht so harmlos, wie man denkt", findet auch Jürgen Markgraf. Er ist Professor für Psychologie, Mitglied der Leopoldina und heute der Experte für die Fragen der Jugendlichen. Die wollen wissen: Was kann man tun, wenn man gestresst ist und abschalten will. "Die Geräte ausschalten, die Sportschuhe anziehen und eine halbe Stunde laufen gehen", rät Markgraf.
Ihn beunruhigen viele Aspekte der sogenannten sozialen Medien: Ganz entgegen dem allgemeinen Trend sinkender Raten von Selbstmorden entwickeln junge Frauen seit einigen Jahren häufiger Suizidgedanken. Im Hintergrund geben die Bosse großer Plattformkonzerne offen zu, dass ihre Medien so programmiert sind, dass sie süchtig machen, also die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer möglichst lange fesseln. "Da ist eine Steuerung dahinter, die keiner Kontrolle unterliegt. Das wäre ein klarer Auftrag an die Politik", sagt Markgraf nach der Veranstaltung.
Bald gibt es 45 Milliarden Kameras auf der Erde
Nachdem die Argumente ausgetauscht sind, endet das Schülerkino mit einem zweiten Ausschnitt aus dem Film, der einige der absurdesten Blüten aus dem Reich des Social Webs auf den Punkt bringt: Menschen, die sich selbst in jeder Sekunde ihres Lebens ins Internet übertragen und von anderen Nutzern dabei beobachtet werden. Manchmal haben solche Streamer plötzliche ein Sondereinsatzkommando vor der Tür stehen. Dann hat einer der Zuschauer die (äußerst illegale) Idee gehabt, mit einem Notruf etwas Action in den Stream zu bringen. Diese und andere Entwicklungen sind vielleicht ein Hinweis darauf, dass sich etwas ändern muss in einer Welt, in der es bald 45 Milliarden Kameras geben wird, wie der Film schließt. Huxleys schöne neue Welt scheint längst Wirklichkeit geworden zu sein.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 30. Oktober 0020 | 12:26 Uhr
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