Buchempfehlung Warum wir sterben. Die neue Wissenschaft des Alterns und die Suche nach dem ewigen Leben
Hauptinhalt
30. Dezember 2024, 09:58 Uhr
MDR WISSEN-Autorin und -Podcasthost Daniela Schmidt war in der Schule eher die Physik-Fraktion als Team Bio und Chemie. Trotzdem war sie dieser Neuerscheinung mit Biologie-Schwerpunkt "recht schnell verfallen".
Schlau sein, dem Tod ein Schnippchen schlagen
Bei jedem guten Geschenk stellt sich zuerst die Frage: Wer würde sich darüber freuen? Zum einen: Personen, die ein Faible für Molekularbiologie und Biochemie haben. Wer sich im Biologie-Unterricht immer ein wenig unterfordert gefühlt hat und das Faszinosum "menschlicher Organismus" endlich noch tiefer durchdringen will, liegt mit diesem Buch goldrichtig. Gleichzeitig geht das Buch längst nicht nur Nerds etwas an: Körperlicher Verfall und Tod blühen uns schließlich allen irgendwann. Und "Warum wir sterben" beschreibt nicht nur, was bei all dem in unserem Körper passiert, sondern ordnet auch aktuelle Forschungsergebnisse ein, zum Beispiel zur Frage, was wir denn tun können, um das Altern aufzuhalten und dem Tod zwar nicht von der Schippe zu springen, ihm aber wenigstens ein bisschen mehr Zeit abzutrotzen.
Ohne Anfang verstehen wir das Ende nicht
Es geht um den Anfang des menschlichen Lebens, vor allem aber um sein Ende – und um alles, was zwischen diesen beiden Punkten passiert. Denn wer verstehen will, warum wir sterben müssen, der muss erst einmal begreifen, wie es eigentlich losgeht, das Leben. Und so unternehmen wir eine molekularbiologische Reise vom Moment der Befruchtung einer menschlichen Eizelle bis hin zum Tod eines ganzen Organismus.
Dabei durchdringt Venki Ramakrishnan detailreich selbst die kleinsten Prozesse in unserem Körper, damit wir die Antworten auf die großen Fragen besser verstehen. Etwa: Warum müssen wir Menschen sterben, obwohl ein klitzekleiner Anteil in einigen unserer Zellen gewissermaßen unsterblich ist (echt wahr!)? Wieso werden wir Menschen um die 80, während eine bestimmte Hai-Art es auf bis zu 400 Lebensjahre bringt und eine Fruchtfliege wiederum nur maximal ein paar Wochen hat? Warum bedeutet eine hohe Fruchtbarkeit manchmal einen frühen Tod? Und was hat ein fahrender Zug in Moskau mit unserer menschlichen Zellteilung zu tun?
Wäre "Warum wir sterben" mit ein paar mehr Bildern und Info-Grafiken ausgestattet: Es wäre das perfekte Biologiebuch für alle, die wirklich verstehen wollen, was warum an verschiedenen Lebenspunkten in unserem Körper passiert. Ramakrishnan spart dabei nicht mit Fachbegriffen, doch es gelingt ihm jederzeit, diese nachvollziehbar und in einfacher Sprache zu erklären. Man wird also nicht nur eingesogen in dieses faszinierende Ding namens menschlicher Körper, man lernt dabei auch gleich noch einiges an Fachvokabular, mit dem man später angeben kann (Histon-Deacetylase! Mitochondriale Elektronentransportketten! Yamanaka-Faktoren! Caenorhabditis elegans!).
Nobelpreis für "Riesenmolekül"-Forschung
Wer die Berichterstattung aus der Wissenschaftswelt in den vergangenen Jahren verfolgt hat, der dürfte an diesem Namen kaum vorbeigekommen sein: Venkatraman "Venki" Ramakrishnan gilt als einer der weltweit führenden Köpfe in der Biochemie. 2009 wurde er, gemeinsam mit zwei Kollegen, mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet für seine Forschung zu Ribosomen – also zu den sogenannten "Riesenmolekülen" in unseren Zellen, an denen Proteine hergestellt werden. Geboren wurde Ramakrishnan 1952 im indischen Chidambaram, beim Schreiben von "Warum wir sterben" hatte er die 70 bereits überschritten. Doch die Finger von der Forschung lassen kann der Strukturbiologe immer noch nicht. Erst 2022 wurde er dafür in den britischen Ritter-Orden Order of Merit aufgenommen.
Warum Busse durch unseren Körper und Pakete abgeliefert werden
Der Autor scheut sich nicht, seinen Leserinnen und Lesern auch komplexe molekularbiologische Prozesse und wissenschaftliche Auseinandersetzungen zuzumuten. Das klingt für manche vielleicht erst einmal abschreckend – doch Ramakrishnan schreibt derart zugänglich, locker und unterhaltsam, dass selbst die Autorin dieser Rezension, die schon in der Schule immer eher Team Physik statt Team Bio und Chemie war, dem Buch recht schnell verfallen ist. Das liegt auch daran, dass der Autor wahnsinnig gut darin ist, Bilder zu finden für das, was in unserem Körper passiert. Die Prozesse in einer Zelle vergleicht er mit der komplexen Alltags-Choreografie in einer Metropole wie London: Da fahren Bahnen und Busse, die Post liefert Pakete, durch die Leitungen fließt Strom, die Müllabfuhr entsorgt den Abfall.
Oder die spätestens im Zuge der Corona-Impfung berühmt gewordene RNA (Ribonukleinsäure): Wer während der Pandemie immer so ein bisschen Schwierigkeiten hatte, zu begreifen, was die denn nun genau macht und kann, findet in "Warum wir sterben" die vielleicht beste Erklärung. Ramakrishnan beschreibt das Ganze so: Unsere DNA ist die Sammlung all unserer Gene, ähnlich wie beispielsweise die British Library eine Sammlung aller britischen Bücher ist. Doch man kann dort nicht einfach hingehen und sich ein kostbares Original aus dem 18. Jahrhundert ausleihen, um damit zu arbeiten – viel zu kostbar, viel zu gefährlich! Was aber oft geht: Eine Kopie einsehen und mitnehmen. Und genau diese Rolle übernimmt die RNA: Sie ist eine Art Arbeitskopie eines Gens, auf die die Zellen Zugriff haben. Tadaaa!
Eine weitere Besonderheit des Buches, die hier nicht vernachlässigt werden soll: Ramakrishnan verhandelt auch Fragen, die weit über unseren Körper hinausreichen. Was würde es gesellschaftspolitisch bedeuten, wenn wir das Altern wirklich aufhalten und uns unsterblich machen könnten? Wie soll Generationengerechtigkeit funktionieren, wenn plötzlich alle Menschen 120 und älter werden, während die Geburten zurückgehen? Und was, wenn nur Reiche sich die entsprechenden Behandlungen leisten können?
Essen? Nur das Nötigste!
"Warum wir sterben" ist alles andere als ein Ratgeber. Und dennoch stellt Venki Ramakrishnan den aktuellen Forschungsstand dar zur Frage, mit welchen Verhaltensweisen wir selbst Einfluss auf unsere Alterungsprozesse nehmen und das Sterben potenziell herauszögern können. Seine zentralen Tipps: eine strenge Kalorienrestriktion auf ein notwendiges Minimum – so viel, wie gerade sein muss, ohne in eine Mangelernährung zu rutschen. Klingt schwierig machbar? Dann kann man sich immer noch am zweiten Rat orientieren: Bewegung, Bewegung, Bewegung. Damit werden in den Zellen neue Kraftwerke, die sogenannten Mitochondrien, erschaffen.
Doch was bringt das längste Leben, wenn es keinen Spaß macht? Ramakrishnan stellt seinem Publikum die Französin Jeanne Calment vor, die 1997 als älteste Frau der Welt starb – mit einem Alter von 122 Jahren (sie kannte sogar noch Vincent van Gogh persönlich). Die fuhr vorbildlich bis ins hohe Alter Fahrrad – aß aber auch pro Woche ein Kilogramm Schokolade.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Mittags um vier | 09. Oktober 2024 | 17:17 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/c5df7ab0-7c21-4338-bc21-5f2f4e549061 was not found on this server.