Adventskalender, Türchen 8 Buchempfehlung: Rausch – Eine Kulturgeschichte der Psychedelika
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08. Dezember 2024, 05:00 Uhr
Das Bewusstsein erweitern, dem Alltag entfliehen, neue Sinneseindrücke erleben, von Krankheiten geheilt werden – die Gründe, zu Psychedelika zu greifen, sind vielfältig. Ebenso wie die guten und schlechten Erfahrungen mit dem Konsum. Daniela Schmidt empfiehlt ein Buch zu deren Geschichte.
Wer ein Buch über den Rausch lesen sollte
Ist ja klar: Menschen, die Freude an Rauscherfahrung und Bewusstseinserweiterung haben. Die sich körperlich wie geistig gern mal kleine Abenteuer gönnen. Doch "Rausch" richtet sich längst nicht nur an "Druffies" oder "Acidheads": Auch wer sich für Medizingeschichte, Ethnologie oder die gesellschaftspolitischen Verhältnisse der 1960er- und 70er Jahre interessiert, wird hier glücklich.
Darüber hinaus ist das Buch auch optisch eine Freude. Selbst wenn man mit dem Inhalt der Texte nichts anfangen kann, macht es einfach Spaß, darin zu blättern und die vielen, teils großformatigen Bilder zu betrachten: von Fotos psychiatrischer Versuchsreihen über zeitgenössische Aufnahmen aus dem Inneren der Hippie-Bewegung bis hin zum verwirrend-psychedelischen Konzertplakat.
Haben die alten Chinesen gekifft?
Während der Begriff der Psychedelika erst in den 1950er-Jahren aufgekommen ist, kamen die entsprechenden Substanzen wohl schon in der Antike zum Einsatz. Dies ist der eine Teil des Buches: Eine wilder Ritt durch die Geschichte des Rauschs. Da ist zum Beispiel der chinesische Kaiser Sheng-Nung, der bereits 2.700 vor Christi festhielt, dass der Konsum von zu viel Cannabis zu Halluzinationen und "Kommunikation mit den Geistern" führe.
Schwerpunkt ist aber das 20. Jahrhundert mit seinen Entwicklungen in Medizin und Psychiatrie, der Hippie-Bewegung, den Anti-Kriegs-Protesten, dem Kampf für Frauen- und Bürgerrechte. Alles Entwicklungen, bei denen – so die Darstellung der Autorin – psychedelische Rauscherfahrungen über Bande eine Rolle gespielt haben und Auslöser für neue Entwicklungen waren, als Ausweis einer politischen Gegenkultur im Untergrund.
Dies wiederum ist der andere (und stärkste) Teil des Buches, der über die Darstellung des historischen Verlaufs hinausgeht: Erika Dyck spinnt Fäden in Felder wie Medizin, Soziologie, Technik, Politik und Kultur. Beispiele gefällig? Ohne ihre Erfahrungen mit psychedelischen Drogen wären die Beatles wohl eine harmlos dudelnde Pilzkopf-Poptruppe geblieben. Statt Musikgeschichte zu schreiben. Wenn Apple-Kopf Steve Jobs sich nicht gelegentlich LSD-Trips gegönnt hätte, um auf neue Ideen und Problemlösungen zu kommen (ja, er hat das zu Lebzeiten offen zugegeben!) – das Computer-Zeitalter wäre vielleicht ganz anders gekommen.
Erika Dyck zeigt, dass Rausch schon immer ein menschliches Bedürfnis gewesen ist, welches eben nicht von einer verspulten Minderheit in einem hermetisch abgeriegelten Raum zelebriert wird, sondern sich auswirkt auf politische, gesellschaftliche, kulturelle Realitäten – und damit am Ende uns alle betrifft. Auch die Menschen, die eben nicht an Kröten lecken oder sich LSD-Pappen unter die Zunge schieben.
Vom Nutzen psychedelischer Drogen
Autorin ist die kanadische Historikerin Erika Dyck, Jahrgang 1975. Sie hat die Professur für Medizingeschichte an der University of Saskatchewan inne. Zu ihren Forschungsgebieten gehört neben der Entwicklung von Medizin und Psychiatrie auch der Blick auf soziale Gerechtigkeit – und eben: Psychedelika. Über diese hat Dyck bereits mehrere Bücher veröffentlicht, die sich etwa mit dem Einsatz von LSD in der Psychiatrie oder dem möglichen Nutzen psychedelischer Drogen für Sterbende auseinandersetzen. In "Rausch" bringt sie nun ihre breit gefächerten Recherchen zum Thema in eine bunte, kurzweilige Gesamt-Übersicht.
Farben schmecken und Musik sehen
"Wer psychedelische Substanzen konsumiert, kann Farben schmecken und Musik sehen!" - Die meisten Menschen haben ein ungefähres Bild im Kopf, wie Psychedelika wirken können. Doch vermutlich schätzen die wenigsten korrekt ein, welche Potenziale diesen Substanzen einst zugeschrieben, welch riesige Hoffnungen in sie gesetzt wurden: Depressionen, sexuelle Funktionsstörungen, Suchterkrankungen, Kriegstraumata – all das sollten Psychedelika einmal heilen, bevor sie in den Siebzigerjahren weitgehend aus dem klinischen Alltag verschwanden.
Das große Allround-Heilsversprechen von LSD und Co. gilt heute als überholt, doch seit einigen Jahren ist die Wissenschaft dabei, diese Substanzen wiederzuentdecken und genauer zu untersuchen. Diesen Weg zeichnet "Rausch" nach und wirkt dabei streckenweise wie ein Krimi mit bunten Bildern: Das Auf und Ab der psychedelischen Welle im Verlauf der Geschichte, die politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Kämpfe um diese geheimnisvollen Stoffe, deren Potenziale und Gefahren bis heute nicht abschließend geklärt sind - all das beschert beim Lesen und Anschauen diverse "Aha"-Effekte, die einfach Spaß machen. Wir bekommen hier Einblicke in ein Forschungsfeld, bei dem gerade immer noch gilt: Work in progress.
"Eine lebensverändernde Erfahrung!"
Im Buch fallen die Namen diverser Prominenter, die in ihrem Leben Psychedelika konsumiert und über deren Wirkungen gesprochen haben: der Musiker Bob Dylan, der Technik-Pionier Steve Jobs, sogar Box-Legende Mike Tyson (dieser erzählte 2019 ganz offen in einem Podcast, dass er 5-MeO-DMT geraucht habe – ein Stoff, der im Sekret von Colorado-Kröten enthalten ist. Sein Fazit: "Eine lebensverändernde Erfahrung!").
Die schönste Aussage aber hat wohl der US-amerikanische Psychologe Timothy Leary getroffen. Der sogenannte "Prophet des LSD" propagierte in den 50er- und 60er-Jahren einen freien Zugang zu psychedelischen Substanzen, saß dafür in 29 (!) verschiedenen Gefängnissen, kämpfte aber unbeirrt weiter für seine Mission. Denn er war überzeugt: Nicht nur würde es allen Menschen mit gelegentlichen Trips besser gehen; sogar der Kalte Krieg ließe sich ruck-zuck und ohne Probleme beenden ... Wenn, ja wenn die Köpfe der beiden Konflikt-Mächte, damals Richard Nixon und Nikita Chruschtschow, einfach nur mal ein bisschen LSD nehmen würden (inwiefern derartige Empfehlungen auch zur heutigen Multi-Krisen-Weltlage vorliegen, sagt das Buch leider nicht).
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 04. Dezember 2024 | 15:45 Uhr
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