Adventskalender, Türchen 12 Buchempfehlung: Migration. Von den ersten großen Wanderungen bis zu Flucht und Vertreibung im 21. Jahrhundert.
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12. Dezember 2024, 05:00 Uhr
Das Thema scheint allgegenwärtig zu sein. Diskussionen dazu werden allerdings eher emotionsgetrieben als faktenbasiert geführt. Ines Drahonovsky empfiehlt ein Buch, das sich der Migration in all ihren Facetten widmet.
Weltumspannende Zusammenhänge verstehen
Es ist gewiss ein Buch für Menschen, die den Überblick schätzen und in der Kürze weltumspannende Zusammenhänge verstehen wollen, die sich zudem an komprimierten Daten und Fakten – ansprechend illustriert – erfreuen. Wer grundsätzlich an Geschichte und Politik interessiert ist, entdeckt auf 295 Seiten sicherlich Wissenswertes und auch weniger Bekanntes.
Wer anderen – vielleicht aus beruflichen Gründen - oft erklären muss, warum es Migration gibt und auch immer schon gegeben hat, ist mit diesem Buch ebenfalls gut beraten. Es ist aber auch Lektüre für Reiselustige und Weltenbummler, führt dieses Buch doch in einige der großen Metropolen und in faszinierende Landstriche auf diesem Planeten.
Eine Abhandlung über viel Leid, aber auch über Mut und große Hoffnungen!
Dieses Buch erklärt und beschreibt Abwandern, Auswandern und Einwandern sowie die Besiedlung unserer Erde. Es geht um Kolonialisierung, Missionierung, Raubzüge und Sklavenhandel, um die großen Trecks. Es berichtet über Flucht und Vertreibung, Umsiedlung und Deportation, aber auch über Arbeits-, Umwelt- und Klimamigration unserer Tage. Eine Abhandlung über viel Leid, aber auch über Mut und große Hoffnungen! Ein dickes Brett!
Die Lesenden rauschen nur so durch die Jahrhunderte, begegnen mächtigen Reichen, längst untergegangenen Kulturen und zahlreichen Völkern: Goten, Vandalen, Langobarden und Wikingern, Yayoi, Huaxia, San, Xhosa, Choctaw und Seminolen. Lesen über Schicksale von Ruhrpolen, DDR-Flüchtlingen, Exiltibetern, Rohingya und syrischen Kriegsflüchtlingen. Fast nebenbei in dieser Fülle Porträts u.a. von Rom, Paris, New York, Lissabon, Amsterdam, Bagdad und Mexiko - Stadtentwicklung anhand der Migrationsgeschichte.
In diesem Buch wird auch die Frage gestellt, ob so ein Menschheitsverbrechen wie der Holocaust unter dem Begriff "Migration" erfasst werden darf. Themen in diesem Zusammenhang sind die Kindertransporte, die Flucht vieler Juden in die Emigration, vor allem aber deren Zwangsmigration und Deportation – meist in die Konzentrationslager.
Ein Gemeinschaftswerk von Spezialisten
Hier war ein internationales Team am Werk: spezialisierte Wissenschaftler*innen und Journalist*innen, Buchautor*innen und Übersetzer*innen. Aurelia Streit und Lukas M. Fuchs vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung haben das Vorwort für diese deutsche Ausgabe geliefert. Das Buch ist 2022 in London erschienen, unter dem Titel: Migrations. A history of where we all come from.
Hohe Faktendichte, aber sehr verständlich
Keine Frage, es ist verständlich geschrieben, eine Aufsatzsammlung zum Thema "Migration" mit einer extrem hohen Faktendichte, ein Ritt durch tausende Jahre Menschheitsgeschichte mit großen inhaltlichen Sprüngen von Kapitel zu Kapitel, die die Lesenden nicht zur Ruhe kommen lassen:
Da marschiert der Homo sapiens von Afrika hinaus in den Rest der Welt. Da sind die Schwarzen Pharaonen im Reich von Kusch und Bantu-Völker, die alle 10 Jahre ihre Felder aufgeben, um den Boden nicht zu erschöpfen – und weiterziehen.
Wir staunen über die Maori, weil sie doch recht spät in Neuseeland ankamen, erst um 1250 n. Chr. - und über die Menschen der Lapita-Kultur, die ohne Kompass und Navigationsgeräte, dafür auf speziellen Kanus große Entfernungen auf dem Pazifik zurücklegten. Wir begleiten Hugenotten, Protestanten, die aus Frankreich fliehen, und Puritaner, Protestanten aus England, die nach Amerika auswandern. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden. Diese Informationsfülle ist das, was das Buch besonders macht!
Fakten aus dem Buch, an die man sich erinnert
3,2 Milliarden Menschen sprechen heute indogermanische Sprachen – auch wir. Ausgangspunkt war ein kleines Gebiet im heutigen Russland. Dort begann die Wanderung der Vorfahren und die Entwicklung von so unterschiedlichen Sprachen wie Russisch, Farsi und Hindi, Gälisch und Deutsch.
London wurde durch Migration eine der sprachlich vielfältigsten Städte der Welt – mit ca. 300 Sprachen.
Im 8. Jahrhundert v. Chr. gab es bereits eine Metropole mit etwa 1 Million Menschen, ein Ort für Gelehrte, ein Schmelztiegel der Kulturen: Chang`an – heute Xi’an in China.
55 Millionen Europäer überquerten von 1846 – 1940 den Atlantik – aus unterschiedlichen Gründen: Armut, Not, politische und religiöse Unterdrückung, Aussicht auf Ackerland, Unabhängigkeit, bessere Bezahlung. Viele Deutsche waren darunter, vor allem aber Iren und Italiener.
Fridtjof Nansen, den die meisten als norwegischen Arktisforscher kennen, hat einen großen Anteil daran, wie wir heute über Flüchtlinge und Asyl denken. Nansen war der erste Hochkommissar für Flüchtlingsfragen beim 1920 gegründeten Völkerbund. Er erhielt den Friedensnobelpreis u.a. für sein Engagement bei der Rückführung von Kriegsgefangenen in Europa.
Die Daten zum Buch DK Verlag (Hrsg.), Philip Parker, John Farndon, Mireille Harper, George Swainston, Yuka Maeno, Shafik Meghji, Chitra Ramaswamy, Phillip Tang, Ben White, Oliver Domzalski: Migration. Von den ersten großen Wanderungen bis zu Flucht und Vertreibung im 21. Jahrhundert. Übersetzt von Julia Voigt. DK Verlag 2024, 296 Seiten, 49,95 €, ISBN 978-3-8310-4799-4
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Mittags um vier | 04. Dezember 2024 | 15:45 Uhr
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