Pilotprojekt an der Uni Leipzig Es klappt: Weniger Stress im Schulalltag für Lehrkräfte durch Achtsamkeitstraining
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29. März 2025, 08:00 Uhr
Achtsamkeit mag ein etwas verbrauchtes Modewort sein. Eine achtsame Wahrnehmung und achtsames Handeln helfen aber tatsächlich – zum Beispiel zur Stressbewältigung. Eine Untersuchung an dreißig Schulen in Sachsen zeigt, dass Lehrkräfte den Schulalltag so besser bewältigen können und praktischerweise auch noch andere etwas davon haben. Sogar das Klima.
"Achtsamkeit", das klingt womöglich nach einer großen komplizierten Erfahrung für wenige Eingeweihte – aber im Grunde beginnt sie schon bei so banalen Dingen wie dem Treppensteigen: "Da den Körper zu spüren und nicht im Kopf zu sein oder schon im Klassenzimmer, sondern auf dieser Stufe in diesem Stockwerk." Was Lisa de Meer da beschreibt, ist für sie eines von mehreren Werkzeugen, den Schulalltag besser meistern zu können. De Meer hat erst an einer Oberschule unterrichtet, jetzt an einer Fachoberschule in Leipzig. Die Belastung ist aber überall spürbar: "Man ist immer ansprechbar, teilweise kommen alle auf einmal", so die Englisch- und Kunstlehrerin. "Also initial war es bei mir tatsächlich diese Lautstärke im Klassenraum, diese unglaubliche Lautstärke und diese Konflikte. Und sobald der Unterricht mit einem Schlag vorbei ist, dann plötzlich Ruhe und dann auch eine starke Erschöpfung."
Hinzu kommt eine allgegenwärtige Konfrontation mit Konflikten – und im besten Falle deren Lösung. Wenn es mal nicht so ist: Ungelöste Konflikte bleiben nicht einfach in der Schule, sondern wandern auch gern mit nach Hause. Lisa de Meer hat schon früh erkannt, dass ihr Achtsamkeitstrainings im Schulalltag helfen. An Ihrer Schule hat sie schließlich Verbündete gesucht, um gemeinsam am Mindful Teachers Program der Uni Leipzig teilzunehmen. Susanne Krämer vom "Zentrum für Lehrer:innenbildung und Schulforschung" leitet dieses Achtsamkeitsprogramm für Lehrkräfte.
Achtsamkeit … bezeichnet im Grunde eine Geistesgegenwärtigkeit, also ein nüchternes, bewertungsfreies Bewusstsein für die direkte Umwelt, den Körper und Gefühle.
Dass die an der Belastungsgrenze sind, ist schlichtweg Alltag, wie Zahlen des Schulmonitors 2024 belegen: Mehr als ein Drittel der Lehrkräfte in Deutschland ist mehrmals pro Woche erschöpft, zwölf Prozent sogar täglich. Das hohe Burnout-Risiko an den Schulen ist ein bekanntes Problem und betrifft vor allem junge Lehrerinnen und Lehrer.
Seit Corona noch mehr Stress für Lehrkräfte
„Also Schule hatte schon immer Herausforderungen und man merkt aber, dass es jetzt an eine Grenze geht“, so Krämer. "Es gab in Sachsen eine Befragung landesweit von Lehrpersonen und hier steht der Stress, der sich wirklich chronifiziert hat, also die permanente Überforderung, an erster Stelle. Und das äußert sich dann natürlich stark in Schlafstörungen, aber auch in allgemeinen psychischen Gesundheitsproblematiken, wodurch auch durchaus immer wieder Langzeiterkrankungen auftreten."
Seit der Corona-Pandemie sei durch Lehrkräftemangel die Belastung noch einmal stärker geworden. Die gute Nachricht: Da kann man was machen, auch wenn der Lehrkräftemangel nicht sofort behoben werden kann. 2023 entschieden Krämer und ihr Team, in einem Pilotprojekt die bereits erprobten Achtsamkeitskurse des Mindful Teachers Program (MTP) für dreißig Schulen in Sachsen anzubieten und hier Werkzeuge zur Stressbewältigung in der Breite zu vermitteln.
Die Forschenden mussten an dieser Stelle nicht lange die Werbetrommel rühren, der Zuspruch habe sie überwältigt, erinnert sich Krämer. In einer wissenschaftlichen Begleitstudie zeigt sich jetzt, anderthalb Jahre später, dass Achtsamkeit nicht nur in Mode ist, sondern eine Mode, die auch liefert. Die Teilnehmenden hätten signifikante positive Verbesserung erfahren: "Im individuellen Bereich, also Stress, Burnout-Symptomatik, achtsame Emotionsregulationen, aber auch eine gesteigerte Lebenszufriedenheit", erklärt Susanne Krämer. Die Trainings tragen aber auch zu einer Verbesserung der Beziehungsqualität mit anderen Menschen bei. Und der Selbstverwirklichung: "Ganz oft verfallen Menschen, die unter hohem Stress stehen, auch in einem Ohnmachtsgefühl, dass sie sich kaum in der Lage fühlen, in den Zuständen, die da sind, überhaupt noch gestaltend zu sein."
Von Achtsamkeit profitieren auch Ungeschulte – und die Umwelt und das Klima
Gleichzeitig hätten auch die Lehrkräfte profitiert, die an den Kursen gar nicht teilgenommen haben: "Insgesamt wurde das Schulklima als besser beurteilt, weil anders sich auf Gespräche eingelassen wird und Themenfelder überhaupt wieder angegangen werden." Eine Erfahrung, die Lisa de Meer bestätigen kann: "Je mehr das Teil der Schulkultur ist, desto mehr kann ich mich da auch mittragen lassen und mich da einklinken und wirklich auch im Schulalltag Dinge verlangsamen, echte Pausen machen und damit dann auch die Schüler mitnehmen."
Achtsamkeitserfahrungen an die ranzubringen, die da gebannt oder eben lautstark vor einem sitzen, ist der nächste Schritt, der sich mit einem zusätzlichen Trainingsangebot der Uni Leipzig weiter vertiefen lässt. Das heißt dann nicht MTP, sondern TMP – also Teaching Mindfulness Program. Die Vermittlung von Achtsamkeit im Klassenzimmer geht dabei bis hin zum Umgang mit großen gegenwärtigen Problemstellungen, etwa dem Klimawandel.
Achtsamkeits-Wissen: Auch Lehrkräfte in anderen Bundesländern sollen teilhaben
Hier schließt sich der Kreis, denn zu den Effekten der Achtsamkeitskurse für Lehrkräfte lassen sich auch positive Veränderungen in den Bereichen Naturverbundenheit und ökologisches Verhalten nachweisen, weil hier ein enger Zusammenhang mit psychischer Gesundheit und Achtsamkeit bestehe, so Krämer: "Wenn wir uns mit Natur verbunden fühlen, wenn wir Naturräume aufsuchen. Und andererseits schützen wir das, was wir lieben." Außerdem zeigt eine vorhergehende Studie an Lehramtsstudierenden, dass die positive Wirkung der Kurse dauerhaft erhalten bleibt. Dabei finden nicht nur praktische Achtsamkeitswerkzeuge den Weg vom Workshop in den Alltag: "Andere beschreiben, dass sie eher so ein Mindset mitnehmen, wo sie einen anderen Umgang mit Herausforderungen gefunden haben."
Susanne Krämer und Team wollen dranbleiben. Das in dieser Form bisher deutschlandweit einzigartige Angebot soll aber nicht nur in Sachsen erhalten bleiben. Ziel ist es, das gesammelte Wissen auch über die Landesgrenzen hinaus zur Verfügung zu stellen – das Gedankenkarussell kennen Lehrkräfte schließlich überall im Land. Und auch, immer präsent zu sein – oder um es mit Lisa de Meers Worten zu sagen: Eben nicht präsent zu sein.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 28. März 2025 | 00:00 Uhr
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