Interview mit Susanne Krämer Achtsamkeit im Schulalltag: "Die meisten Lehrpersonen wissen gar nicht, was eine Pause ist"
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22. September 2023, 19:44 Uhr
Bis zu ein Drittel der Lehrkräfte ist Burnout-gefährdet, psychische Belastung ist tief im Schulalltag verankert. Achtsamkeitstraining kann da helfen. Dem widmet sich erstmals eine bundesweite Konferenz an der Uni Leipzig. Im Rahmen eines Pilotprojekts gibt es zudem kostenlose Achtsamkeitskurse für Lehrkräfte an sächsischen Schulen. Aber reicht das?
Lehrkräften geht's an die Substanz Einen Job machen, für den die Kundschaft nicht zwangsläufig dankbar ist. Dazu eine ungesunde Vermischung von Berufs- und Privatleben. Den Lehrplan im Nacken, die Schulleitung auch. Um es kurz zu machen: Ein Viertel bis ein Drittel der Lehrkräfte sind Burnout-gefährdet. Ein Thema, das derzeit auf der ersten bundesweiten Konferenz "Achtsam in der Bildung" an der Uni Leipzig diskutiert wird. Ein spezielles Programm der Universität soll zudem helfen, mit Achtsamkeits-Training wieder mehr Ruhe in den Schulalltag zu bringen. Im Rahmen eines groß angelegten Pilotprojekts werden ab Herbst Achtsamkeitskurse an dreißig Schulen kostenlos veranstaltet – unter wissenschaftlicher Begeleitung und Obhut von Susanne Krämer. Die Wissenschaftlerin am Zentrum für Lehrer:innenbildung und Schulforschung der Uni hat bei dem Projekt den Hut auf und gibt auch selbst Kurse.
Frau Krämer, der Tag ist noch jung – wie haben Sie denn heute schon Achtsamkeit walten lassen?
Susanne Krämer: Ich habe mich auf den Arbeitstag mit einer Bewegungsmeditation eingestimmt und achte im Hinblick der Aufgabenfülle vor der Konferenz ganz bewusst auf eine wertschätzende, klare Kommunikation im Team, guten Umgang mit Ressourcen und körperlichen Ausgleich.
Sind wir mal ehrlich, Achtsamkeit ist eine ziemliche Boom-Vokabel und macht sich besonders gut in sozialen Netzwerken. Was ist es denn nun wirklich?
Achtsamkeit ist eine besondere Wahrnehmung, also eine Bewusstseinshaltung, bei der ich mit mehr Gelassenheit und Ruhe auf die Dinge blicke und wahrnehme, wann sie subjektiv durch meine eigenen Muster eingefärbt sind. Wo kommen meine eigenen Interpretationen rein und wo kann ich wirklich objektiv auf etwas schauen?
Und was genau hat das jetzt mit dem Alltag von Lehrkräften zu tun?
Das betrifft Lehrpersonen genauso. Ein ganz klassisches Beispiel sind Konfliktsituationen, sowohl im Klassenraum, wenn Störungen geschehen oder auch im Elterngespräch, wenn man merkt, da werden vielleicht Anschuldigungen gemacht – dass man dann mit einer größeren Ruhe und Klarheit antworten und auch die entstehenden Emotionen regulieren kann. Beziehungsarbeit ist, glaube ich, etwas, was sehr grundlegend im Lehrberuf ist. Aber es geht eben auch darüber hinaus, sich immer wieder neuen Themen zu öffnen. Wir haben auch das Themenfeld der Nachhaltigkeit drin, also zum Beispiel eine Verbundenheit mit Natur zu entwickeln, zu verstärken.
Moment, Sie sagen Nachhaltigkeit – wieso in einer Rutsche mit Achtsamkeit?
Also Achtsamkeit schafft insgesamt mehr Verbundenheit, Empathiefähigkeit. Und Naturverbundenheit kann eben auch ein Mediator für umweltbewussteres Verhalten sein. Darin sind Lehrpersonen auch ganz klare Vorbilder für Schülerinnen und Schüler.
Die meisten Lehrpersonen wissen gar nicht, was eine Pause ist, in der man nicht ansprechbar ist
Dann lassen Sie es uns mal ganz konkret machen. Wie trainieren Sie mit den Lehrkräften Achtsamkeit?
Im Kurs geht es erst mal darum, für sich eine eigene Praxis zu entwickeln, das heißt Meditation in Stille und in Bewegung kennenzulernen. Dazu Elemente von Psychoedukation [Vermittlung von Wissen zu psychischen Krankheiten, Anm. d. Red.], zur Stress- und Emotionsregulation. Dann geht es weiter in einem zweiten Teil, in dem es um ethische Werte geht: Was ist mir wichtig? Was will ich wieder in den Schulalltag integrieren? Da geht es auch um dieses Themenfeld der Nachhaltigkeit und den Umgang mit Klimaangst, der auch für viele Schülerinnen und Schüler sehr relevant ist. Und dann geht es in eine dritte Phase, wo es darum geht, was integriere ich jetzt wirklich in den Alltag? Wie können Visionen einer Schulkultur aussehen? Das fängt bei ganz kleinen individuellen Dingen an, immer wieder Halte, Momente für sich zu schaffen, anderes Pausenmanagement.
Pause ist doch dann wenn's klingelt.
Die meisten Lehrpersonen wissen gar nicht, was eine Pause ist, in der man nicht ansprechbar ist, also dazu wirklich Möglichkeiten und Räume zu schaffen. Zwischen den Lehrpersonen gilt es oft, eine Kommunikationskultur zu schaffen, die eben nicht von Hetze geprägt ist, von Schnelligkeit, sondern da in die Entschleunigung zu gehen.
Mit der Entschleunigung kann es aber auch rasch wieder vorbei sein. Welche Erfahrung haben Sie gesammelt: Einmal ein Kurs bei Ihnen und von da an wird alles besser?
Was wir oft zurückgemeldet bekommen haben, ist, dass Schule natürlich nach wie vor stressig bleibt, aber dass ein anderer Umgang mit Stress stattfindet, dass man sich andere Erholungsmöglichkeiten auch schafft, dass man Tagesstrukturen anders setzt und dass bei den Kolleg*innen wirklich ein wertschätzender Umgang entstanden ist. Und das ist, glaube ich, auf dem man ganz, ganz vieles aufbauen kann, auch Veränderungen, die ja jetzt allgemein im Schulsystem sehr wichtig werden durch Lehrer:innenmangel, durch andere Anforderungen, die Generation auf eine Zukunft vorzubereiten, die wir alle noch gar nicht kennen.
Wieso glauben Sie, dass ein einmaliger Kurs wirklich über viele Jahre gelebte Muster auflösen kann?
Unser Kurs hat zwölf Einheiten – ganz bewusst so in diesem langen Format, damit man eben an festsitzende Gewohnheiten rankommt. Und der Abschluss des Kurses zielt auch darauf hin, dass die Kolleg:innen befähigt werden, selbstständig weiterzugehen. Also kann auch das Ziel eine Gruppe sein, in der es einen regelmäßigen Austausch und regelmäßige gemeinsame Praxis gibt. Das ist an Schulen durchaus üblich. Einige haben die achtsame Pause eingeführt, sodass man sich immer wieder an diese Qualität des Innehaltens, des Nicht-schnell-reagierens, des Zur-Ruhe-kommens erinnert.
Aber, Hand aufs Herz: Für einen Achtsamkeitskurs interessieren sich doch in erster Linie Menschen, die sich überhaupt schon mal mit der Thematik mindestens auseinander gesetzt haben. Wie erreichen Sie den Rest?
Durch den Ansatz, direkt an die Schulen zu gehen, wird genau diese Phänomen vermieden. Es ist niedrigschwellig, findet gleich nach dem Unterricht statt und lockt deshalb auch Kolleg:innen, die nie in einen externen Abendkurs gehen würden. So haben auch an den ersten Kursen Kolleg:innen teilgenommen, die sagten, dass sie eigentlich nur kommen, weil sie dem Ganzen sehr skeptisch gegenüberstehen und jetzt mal wissen wollen, was das eigentlich ist.
Eine Selbstfürsorge beinhaltet eine Sorge für die Welt
Trotzdem, kostenlose Kurse für dreißig Schulen sind super, aber in Sachsen gibt es allein mehr als 1500 allgemeinbildende Schulen, mehr als 32.000 Lehrpersonen: Das Ganze ist dann doch eher ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ein Pilotprojekt ist dazu da, dass, wenn es Evidenzen zeigt, verstetigt wird. Wenn gute Ergebnisse da sind und die Formate in den Schulen angenommen werden, ist sicher eine Ausweitung sinnvoll.
Vielleicht hilft ja da auch Ihre Konferenz. Wo Achtsamkeitstraining und Stressreduktion doch eher work in progress sind – was hoffen Sie eigentlich, mit einem Tag Keynote, Workshops und Vorträgen zu erreichen?
Zum ersten Kennenlernen bietet es eine breite Basis und deshalb haben wir mit vierzig Workshops einen sehr praxisorientierten Zugang gewählt, indem auch Schulleitungen und Lehrpersonen über die Gelingensbedingungen ihrer Projekte berichten. Darüber hinaus gibt in dem Bereich durchaus eine Aufspaltung der Schwerpunkte: Gehen manche in schnelle Tools oder Wellness – auch als McMindfulness bezeichnet – , so ist uns der Schwerpunkt der Resilienz [Wiederstandsfähigkeit eines Systems, Anm. d. Red] und gesellschaftliches Engagement ein großes Anliegen. Verantwortung für die eigenen Ressourcen zu übernehmen, schließt die Ressourcen der Mit- und Umwelt ein. Dieses Verständnis zu schaffen, ist ein Anliegen der Konferenz.
… und auch ein persönlicher Wunsch?
Es ist mir wichtig, dass Achtsamkeit nicht nur in dieser individuellen Dimension verstanden wird, sondern auch eben im Zwischenmenschlichen und auch in der Thematik der Nachhaltigkeit. Weil es oft im Verständnis ist, dass wir da nur für uns sorgen, aber wenn wir etwas weiter über uns hinausblicken, gilt es eigentlich, ein systemisches Verständnis zu schaffen, da wir als Individuen ja immer mit dem System verbunden sind. Und eine Selbstfürsorge beinhaltet eine Sorge für die Welt, eine Sorge für die Umwelt, eine Sorge für die Menschen, die mich umgeben.
Frau Krämer, vielen Dank.
Achtsamkeit in der Bildung – das gibt es noch: Neben den Kursen bietet das Projektteam auch eine Zukunftswerkstatt, in der es darum geht, Achtsamkeit tief in den Schulalltag und Schulkultur zu integrieren – auch für die, die keinen Kurs gemacht haben. Ein weiteres Weiterbildungsformat widmet sich der Vermittlung von Achtsamkeitsübungen an Schülerinnen und Schüler.
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