Neobiota Bernstein-Waldschabe: Schädling im Haushalt?
Hauptinhalt
25. September 2024, 11:12 Uhr
Hilfe, eine Schabe in der Küche! Muss ich den Kammerjäger holen? Wer diesen Sommer schabenartige, bernsteinfarbene Insekten in der Wohnung oder im Haus hatte, hatte vermutlich eine der neuen Waldschaben zu Gast.
Wer der Bernstein-Waldschabe im Haushalt über den Weg läuft, bekommt leicht einen Schrecken: Hilfe, eine Schabe, oder sogar eine Kakerlake?! Biologe Prof. Dr. Martin Husemann gibt im Gespräch mit MDR WISSEN Entwarnung: "Wenn es sich um Bernstein-Waldschaben handelt, dann haben die sich einfach verlaufen. Das sind Lästlinge, aber keine Schädlinge. Und wenn sie nichts zu fressen kriegen, sind sie schnell geschwächt und sterben."
Was will die Bernstein-Waldschabe in der Küche?
Weder die Bernstein-Waldschabe, noch ihre Verwandte, die Tanger-Waldschabe haben es dem Biologen zufolge auf unsere Vorräte abgesehen. Sie wollen die auch nicht verschmutzen oder uns ihren Nachwuchs zum Überwintern unterschieben. Im Herbst verkriechen sich die Sechsbeiner mit den langen Fühlern normalerweise hinter Baumrinden und legen ihre Ootheken, die Eikapseln für nächste Generationen ab. Man muss also keine Angst haben, dass sie ihre Eier hinterm Sofa ablegen und im Frühjahr das große Schaben-Krabbeln beginnt. Die jungen Nymphen der Bernstein-Waldschabe finden wir nämlich draußen in unseren Sträuchern.
Im Haus sind sie dagegen harmlose Zufallsgäste, die in unsere Räume krabbeln oder fliegen. "Im Gegensatz zur Bernstein-Waldschabe kann die Tanger-Schabe nur schlecht fliegen", erläutert Biologe Husemann. Beide zählen in der Insektenforschung als Neobiota (Pflanzen = Neophyten, Tiere = Neozoen), also Arten, die erst seit kurzem in unseren Breitengraden vorkommen. Die Bernstein-Waldschabe beispielsweise wurde 2001 in Baden-Württemberg, 2006 in Thüringen, 2018 in Sachsen-Anhalt und 2019 in Sachsen nachgewiesen. Husemann, der inzwischen das Staatliche Museum für Naturkunde in Karlsruhe leitet, hatte 2021 als Zoologe an der Uni Halle die Art und ihr Auftreten in Deutschland zusammen mit anderen Forschern (u.a. vom Leipziger Naturkundemuseum) erstmals erfasst. Er vermutet, dass die Art inzwischen bis nach Skandinavien vorgedrungen ist. Die wärmeliebende Schabe war ursprünglich im Süden Europas verbreitet.
Unterschied Bernstein-Waldschabe oder Hausschabe?
Für Laien sind die ausgewachsenen Waldschaben-Arten nicht ganz leicht zu unterscheiden, denn neben den beiden Neozoen gibt es auch einige heimische Arten. Husemann zufolge sind die Unterschiede an den Genitalien am deutlichsten. Leichter ist es dagegen, Waldschaben von der Hausschabe zu unterscheiden: die beiden dunklen Streifen auf dem Halsschild verraten die Hausschabe, die tatsächlich ein Schädling ist. Sie pflanzt sich in unseren Lebensmitteln fort und verunreinigt sie nicht nur mit Ausscheidungen, sondern potentiell auch mit Krankheitserregern wie Salmonellen.
Was fressen Bernstein-Waldschaben?
"Sie ernähren sich draußen von verrottendem Pflanzenmaterial und sind bislang noch nicht als Schädlinge bekannt", sagt Husemann. "Bernstein-Waldschaben saugen keinen Pflanzensaft wie andere Insekten, die ebenfalls noch nicht so lange in unseren Breitengraden zu finden sind, wie zum Beispiel die marmorierte Baumwanze, die amerikanische Eichennetzwanze oder die grüne Reiswanze." Und für die gibt es in der Natur bei uns kaum Abnehmer, führt Husemann aus. Das ist fatal, denn sie können viele Obst-, Gemüse- und sogar Haselnuss-Ernten verderben.
Was bedeutet es, wenn wir Bernstein-Waldschaben im Garten haben?
Also ist es in Zeichen für einen naturnahen Garten, wenn wir die Waldschabe dort finden? Oder ist es ein Zeichen für ein Ungleichgewicht? Weder noch, sagt Husemann.
"Viele der Neobioten sind zunächst erstmal in den Städten verbreitet. Die Schaben reisen mit Autos mit. Ihr Vorkommen ist weder besonders positiv noch negativ, sie haben keine hohen Ansprüche an ihre Umgebung. Dass sie in Städten vorkommen und in den Gärten dort gut zurechtkommen, liegt möglicherweise daran, dass es dort weniger natürliche Feinde gibt. Es dauert immer, bis sich die Natur angepasst, zum Beispiel beim Buchsbaumzünsler erkennen die Meisen erst langsam, dass deren Raupen essbar sind. Es dauert, bis sich Prädatoren an neues Futter anpassen."
Martin Husemann weist in dem Zusammenhang noch ein spannendes Citizen-Science-Projekt hin, das Anfang Juli von verschiedenen Institutionen gestartet wurde: Bei der Challenge "Aliens unter uns?" sollen Insekten aller Art fotografiert werden, umso mehr über die Verbreitung gebietsfremder Arten herauszufinden.
Wer steckt hinter dem Projekt?
Das LWL-Museum für Naturkunde des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) zusammen mit dem Naturkundemuseum Karlsruhe (SMNK), das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenburg (LTZ), die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft Hamburg (BUKEA) und die Naturbeobachtungsplattform Observation.org
Die Resonanz ist Husemann zufolge enorm: Nach nur 80 Tagen sind bereits mehr als 45.000 Bilder mit mehr als 280 Arten eingeschickt worden. Wer mitmachen will, findet hier alle Informationen.
lfw
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Komm mit in den Garten | 23. Januar 2024 | 12:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/c19c40e4-1ee6-4c39-a93b-25a473327c2f was not found on this server.