Seismologie der Sonne Neues Sonnenteleskop in Thüringen: Prototyp für weltweites Netzwerk zur Sonnenbeobachtung
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17. Oktober 2024, 11:00 Uhr
Mit ihrem neuen Sonnenlabor entwickelt die Landessternwarte Thüringen einen Prototyp für ein neues, weltumspannendes Netzwerk zur Sonnenbeobachtung. Ziel: Die inneren Prozesse in unserem Stern besser zu verstehen.
Von außen sieht das neue Sonnenteleskop erst einmal nicht so aus, wie man sich ein Teleskop vorstellt. Statt eines großen Fernrohrs steht ein weißer Container neben dem großen Kuppelgebäude von Thüringens Landessternwarte in Tautenburg bei Jena. Oben auf dem Dach des Containers sind zwei Spiegel angebracht, die das Licht der Sonne ins Innere lenken. Dort ist das Teleskop in Form verschiedener Messinstrumente auf einem Tisch aufgebaut. Michael Sigwarth ist Astronom an der Landessternwarte und erklärt den Sinn dieser Konstruktion. "Sie müssen das Teleskop nicht der Sonne nachführen, das machen die Spiegel. Das Teleskop selbst ist ortsfest."
Das neue Sonnenlabor: Entkoppelte Fundamente und Interferometer
Der Aufbau ist notwendig für die hochpräzisen Messungen, die die Landessternwarte mit dem neuen Teleskop vorhat. Nicht nur die Spiegel sind entkoppelt, auch der Tisch mit den Messinstrumenten steht auf einem anderen Fundament als der Container, um Schwingungsübertragungen durch Wind und Wetter zu verhindern.
Das Teleskop soll das Farbspektrum des sichtbaren Sonnenlichts mit einem Fabry-Pérot-Interferometer zerlegen und die einzelnen Spektrallinien verfolgen. Auf diese Weise erhalten die Forscher Daten über Magnetfelder und Energietransport innerhalb der einzelnen Schichten der Sonnenatmosphäre. Im Grunde ist der Container viel mehr als ein Teleskop, weshalb die Forscher auch lieber von einem Sonnenlabor sprechen.
Die Erforschung der Sonne beantwortet große Fragen der Physik
Die Sonne ist zwar der Stern, der der Erde am nächsten ist. Trotzdem haben Astronomen und Physiker noch viele offene Fragen. Bis vor wenigen Jahren war beispielsweise umstritten, wie heiß es wirklich im Kern der Sonne ist. "Die Sonnenphysiker haben gesagt: Unsere Modelle sagen ziemlich genau 15 Millionen Grad vorher", erzählt Sigwarth. Doch Teilchenphysiker meldeten Zweifel an.
Diese Forscher wiesen in komplizierten Laboren sogenannte Neutrinos nach, winzigste Elementarteilchen, die unter anderem bei der Kernfusion im Inneren von Sternen wie der Sonne entstehen. Das Problem: Für 15 Millionen Grad war die Menge der detektierten Neutrinos zu gering. Doch dann stellte sich heraus: Es gibt verschiedene Typen von Neutrinos, weshalb die Teilchenphysiker einen Teil übersehen hatten. Das Beispiel zeigt: Die Erforschung der Sonne hilft nicht nur, den Stern besser zu verstehen. Sie löst auch große Rätsel der Physik.
Modelle für den Energietransport in der Sonne
Weitere offene Fragen für die Forschung: Warum ist die sogenannte Corona der Sonne, also der äußere Teil ihrer Atmosphäre, viel heißer als ihre Oberfläche? Warum gibt es Unregelmäßigkeiten im Zyklus der Sonne, der zwar alle elf Jahre abwechselt zwischen hoher Sonnenaktivität mit vielen Sonnenflecken und ruhigen Phasen, der aber manchmal auch ganz aussetzt?
Für alle diese Fragen ist entscheidend, das Magnetfeld unseres Sterns besser zu verstehen. Doch dafür benötigen Forscher bessere Modelle davon, wie eigentlich der Energietransport innerhalb der Sonne abläuft. Und um solche Modelle zu entwickeln, braucht es mehr Daten in höherer Auflösung. Das neue Thüringer Sonnenlabor soll zeigen, wie diese Daten gewonnen werden können. Ist es dabei erfolgreich, soll es das Referenzlabor für sechs weitere Container werden, die einmal ungefähr entlang des Äquators rund um die Erde verteilt werden.
Vorbild und Vorgänger: Das Gong-Netzwerk
Markus Roth ist seit zwei Jahren der neue Direktor der Landessternwarte und hat das Projekt angestoßen. Roth, der sich seit seinem Studium in Freiburg mit der Seismik der Sonne beschäftigt, war während seiner Doktorarbeit unter anderem in den USA, an der Universität Tucson in Arizona. Sie ist unter anderem für ihre NASA-Labore bekannt, ist aber auch ein Zentrum der Sonnenforschung. Die Forscher dort haben unter anderem die Global Oscillation Network Group gegründet, kurz Gong. Gong betreibt seit Mitte der 1980er Jahre ein weltumspannendes Netzwerk aus Sonnenlaboren. Doch das ist nun in die Jahre gekommen.
"Es war dann Mitte der 2010er Jahre, als man gesagt hat, man bräuchte eigentlich ein neues Netzwerk, wo man die Sonne in höherer zeitlicher Auflösung, höherer räumlicher Auflösung und auch verschiedenen Spektrallinien beobachten kann", sagt Roth. "Und das kann das heute bestehende Gong-Netzwerk nicht leisten." Der Thüringer Container soll Ende der 2020er Jahre die Nachfolge für Gong antreten. Seine Duplikate werden dann aber nicht mehr im Wald bei Jena stehen, sondern ihre Messungen an Standorten wie Hawaii, Teneriffa oder Indien durchführen, wo die Wetterbedingungen stabiler sind.
Weltraumwetter präzise vorhersagen
In diesen Containern sollen Roboter die Feineinstellungen der Instrumente übernehmen. "Dieses Netzwerk soll vollautomatisch funktionieren, die Daten werden automatisch auf Server hochgeladen und werden dann ausgewertet, kalibriert", erklärt Michael Siegwarth. Einen praktischen Nutzen für den Alltag sollen die neuen Erkenntnisse auch haben: Durch ein besseres Verständnis der Sonnenmagnetfelder könnten Forscher auch präziser Sonnenstürme vorhersagen.
Die erzeugen zwar hübsche Polarlichter, stören aber auch die Kommunikation von Satelliten. Und die sind mittlerweile lebenswichtig. Michael Sigwarth deutet auf einen Bildschirm, der das Teleskopbild der Sonne zeigt. Deren Oberfläche ist von Sonnenflecken bedeckt. Schon heute können Forscher mit den verfügbaren Daten ungefähr vorhersagen, ob innerhalb der kommenden 48 Stunden mit den Auswirkungen eines Sonnensturms zu rechnen ist. "Aber was wir eigentlich wollen, ist: Wir beobachten hier eine neue Fleckengruppe und können dann sagen: Jap, die ist unkritisch, die macht keinen Flare. Die andere Fleckengruppe hingegen wird in zwei Tagen einen Energieausbruch erzeugen." Dann könnte die Steuerung von Satelliten, empfindlichen Messstationen oder Raumfahrzeugen entsprechend angepasst und insbesondere Astronauten könnten geschützt werden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 17. Oktober 2024 | 09:55 Uhr
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