Wissen-News Menschen mit Lernbehinderungen: Vor hundert Jahren fanden sie leichter Jobs
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25. Juli 2023, 15:36 Uhr
Heute sind in Großbritannien knapp fünf Prozent der Erwachsenen mit Lernbehinderungen berufstätig. Eine Studie untersucht historische Aufzeichnungen von 1905 bis 1955 und kommt zu dem Ergebnis: das sah schon mal besser aus.
In Großbritannien sind heute fünf bis zehn Mal weniger Menschen mit Lernbehinderungen beschäftigt, als noch vor rund 100 Jahren. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung der Cambridge-Historikerin Lucy Delap. Gerade während und nach dem ersten Weltkrieg, als die Nachfrage nach Arbeitskräften besonders hoch war, hatten ihrer Studie zufolge 70 Prozent der Menschen, die damals als "defekt", "langsam" oder "seltsam" bezeichnet wurden, einen Job. Derart menschenverachtende Bezeichnungen sind mittlerweile glücklicherweise weniger präsent. Während wir heute zumindest ein fortschrittlicheres Vokabular verwenden, scheint die tatsächliche Anstellung von Menschen mit Lernbehinderungen oder anderweitigen Beeinträchtigungen deutlich weniger progressiv.
Heute sind fünf Prozent der Erwachsenen mit Lernbehinderungen berufstätig
Ein Vergleich: Im heutigen Großbritannien sind weniger als fünf Prozent der Erwachsenen mit Lernbehinderungen berufstätig. Vor hundert Jahren dagegen hätten die Menschen nicht nur in Berufen wie der Schuhreparatur oder Korbflechterei gearbeitet, sondern auch in Branchen wie der Fertigung, in Geschäften, im Kohlebergbau, in der Landwirtschaft sowie in lokalen Behörden. Leisteten Menschen mit Lernbehinderungen dort dieselbe Arbeit wie alle anderen, verhandelten sie genauso wie alle anderen um Gehaltserhöhungen.
Man müsse sehen, dass die 1920er dennoch keineswegs ein "goldenes Zeitalter" der Gleichberechtigung gewesen seien, betont Lucy Delap. Aber für sie zeige sich ein starkes wechselseitiges Gefühl dafür, dass echte Arbeit geleistet und im Gegenzug Löhne gezahlt werden: "Viele dieser Menschen hätten sich selbst als geschätzte Arbeiter und nicht als Wohltätigkeitsempfänger betrachtet. Einige waren in der Lage, bessere Bedingungen auszuhandeln, und viele wehrten sich dagegen, langweilige, sich wiederholende Arbeiten zu verrichten."
Historische Daten zeigen: Mehr Inklusion ist möglich
Die Historikerin fordert, aus diesen Erkenntnissen über die Vergangenheit Veränderungen im Jetzt abzuleiten. "Ich denke, die Arbeitgebenden müssen erkennen, dass sie aktive Inklusionsstrategien brauchen, um offene Stellen zu besetzen, und dass sie die Loyalität fördern müssen", sagt Delap. "Die Arbeit bleibt ein Ort, an dem wir einen Sinn in unserem Leben finden und soziale Kontakte knüpfen. Das ist der Grund, warum so viele Menschen mit Behinderungen wirklich arbeiten wollen und warum es ihnen so viel vorenthält, wenn sie ausgeschlossen werden."
Links/Studien
Die aktuelle Studie mit dem Titel Slow Workers: Labelling and Labouring in Britain, c. 1909–1955 ist bei Social History of Medicine erschienen und kann hier abgerufen werden.
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