Algen
Die spezielle Form der Braunalge, der Blasentang, ist an jedem Meeresstrand auf der Nordhalbkugel zu finden und war der Ausgangsstoff für die Kieler Studien. Bildrechte: imago/Liedle

Krebs, MRSA und Alzheimer Wie viel Potential steckt in Algen als Medizin?

20. September 2020, 08:00 Uhr

Beim Schwimmen finden wir Algen nicht besonders toll, beim Essen sieht das spätestens seit Sushi bei uns Einzug gehalten hat, schon ein wenig anders aus. Und aus vielen Kosmetikprodukten sind Algen gar nicht mehr wegzudenken. In der traditionellen chinesischen Medizin werden Algen schon jahrtausendelang verwendet - doch nun sind Forschende sogar auf einem guten Weg dahin, dass sie eine Alternative zur Chemotherapie sein könnten.

Algen gibt es auf dieser Welt schon mehr als drei Milliarden Jahre. Damit gehören sie zu den ältesten Lebewesen überhaupt - was umso bemerkenswerter ist, wenn man sich überlegt, unter welchen Umständen sie eigentlich leben, sagt Deniz Tasdemir vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, kurz GEOMAR. Meerwasser enthalte Millionen von Bakterien, Pilzen und Viren und viele davon seien hoch pathogen, erläutert die Professorin: "Es ist wie eine Suppe."

Algen müssen dieselben chemischen Verbindungen produzieren, um ihre Haut zu schützen, Raubtiere zu vertreiben und ihre Anpassungschancen an Belastungen wie die globale Erwärmung oder die Versauerung der Ozeane zu erhöhen - und solche Verbindungen sind für uns interessant, wenn wir nach Medikamenten suchen.

Prof. Dr. Deniz Tasdemir, GEOMAR

Am GEOMAR in Kiel schaut man sich dafür verschiedene Braunalgen an, denn die liegen da quasi vor der Tür herum.

Braunalgen am Ostseestrand
Das GEOMAR-Team findet sein Untersuchungsobjekt quasi vor der Tür: Braunalgen gibt es an der Ostsee. Bildrechte: imago/blickwinkel

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sammeln Proben, bringen sie ins Labor und zerlegen die Algen in ihre kleinsten Einzelteile. Diese werden dann auf ihre biologische Wirksamkeit getestet, erläutert Tasdemir. "Hierfür verwenden wir diese biologischen Assays", sagt sie. Das seien miniaturisierte Zellsysteme, in denen sie beispielsweise mit Krebszellen oder MRSA-Zellen arbeiteten. "Also pathogene Bakterien oder Krebszellen und wir fügen unsere Extrakte oder Verbindungen hinzu, um im ersten Schritt zu sehen, ob sie diese abtöten", erläutert die Kieler Professorin.

Algen statt Antibiotika?

Bei ihren Versuchen fanden die Forschenden einen Wirkstoff, der unter anderem das Wachstum von multiresistenten MRSA-Keimen hemmen soll. Das sind die Keime, die zahlreiche Krankenhausinfektionen verursachen. Wo kaum ein Antibiotikum hilft, könnten Algen in Zukunft also vielleicht Abhilfe schaffen.

Ein Mann im Labor
GEOMAR-Forscher Bicheng Fan bei der Arbeit im Labor. Bildrechte: Johanna Silber

Als noch viel beeindruckender hat sich ein Pilz herausgestellt, der mit den Braunalgen in einer Symbiose lebt. Auch ihn haben die Forschenden am GEOMAR in seine Einzelteile zerlegt und sind dabei auf einen Wirkstoff gestoßen, der gegen Hautkrebs helfen könnte. Denn bis jetzt gibt es ein großes Problem in der Therapie: "In der Krebstherapie besteht das Hauptproblem darin, dass dieses Krebsmedikament Tumorzellen abtötet, aber auch normale Zellen abtötet", so Tasdemir. Krebsmedikamente seien also sehr giftig für den Menschen und viele Patienten würden an der Toxizität der Arzneimittel sterben.

Wir wissen, dass unsere Pilzverbindungen in diesen miniaturisierten In-vitro-Zellsystemen die Krebszellen abtöten, ohne viele normale Zellen zu zerstören.

Prof. Dr. Deniz Tasdemir, GEOMAR

Im Klartext heißt das, man könnte aus dem Wirkstoff des Pilzes ein Krebsmedikament entwickeln, das im besten Fall nicht die Nebenwirkungen von Chemotherapie und Bestrahlung hat.

Die Zukunft der Medizin?

Noch klingt das nach ferner Zukunftsmusik, doch in den USA sind die Wissenschaftler schon einen Schritt weiter. Dort ist ein Medikament aus einem ähnlichen Wirkstoff schon in der 3. Phase der klinischen Entwicklung - also in der letzten Phase vor der Zulassung. Die Chance, dass das in den nächsten Jahren auf den Markt kommt, ist also relativ hoch. Und vielleicht ist das erst der Anfang.

Da die Algenbiotechnologie noch eine recht junge Disziplin ist und viele Algenarten noch nicht erforscht sind, steckt in ihnen ein enormes Potential. Ich bin davon überzeugt, dass den Algen ein Stück Zukunft gehört - egal ob es um Ernährung, Gesundheit oder Energie geht.

Prof. Dr. Carola Griehl, Hochschule Anhalt

Carola Griehl ist eine DER Expertinnen im Bereich Algenbiotechnologie. Sie leitet an der Hochschule Anhalt das Algenkompetenzzentrum, wo man über eine eigene Algenstammsammlung verfügt. Das heißt, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dort Algen aus allen Teilen der Welt gesammelt, kultiviert und gepflegt.

Nun suchen sie nach wertvollen Inhaltsstoffen. Bereits 2013 stießen sie dabei auf eine Hoffnung im Kampf gegen Alzheimer. Bei dieser Krankheit sind bestimmte Eiweißablagerungen in den Hirnzellen - sogenannte Plaques - für ein Absterben von Nervenzellen verantwortlich. In Köthen konnte man eine Gruppe von Wirkstoffen herauskristallisieren, die tatsächlich die Vermehrung der Plaques im Zaum hielt - sogenannte Sulfolipide.

Diese Stoffe, die wir hier gefunden haben, wirken als Hemmstoffe und sorgen dafür, dass die Plaquebildung nicht so ausartet.

Prof. Dr. Carola Griehl, Hochschule Anhalt

Im Moment testen Forschende diese Wirkstoffe an mit Alzheimer erkrankten Mäusen. Doch selbst wenn die Tests die Wirksamkeit bestätigen, ist der Weg zu einem zugelassenen Medikament noch lang. Der Zulassungsprozess kann sich über Jahre hinziehen und ist ohne Investitionen aus der Wirtschaft selten zu stemmen. Um die Weiterentwicklung und den Austausch voranzutreiben, wird in Köthen in diesem Jahr das Zentrum für Naturstoffbasierte Therapeutika gegründet. Dort sollen auch regelmäßig Algenstammtische stattfinden, bei denen Forschung und Wirtschaft sich austauschen können.

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