Dienstag, 10.09.2024: Die fragilen Netzwerke
Der Sommer ist alt. Es ist fast schon Herbst. Manchmal verfange ich mich in den Fäden der Spinne am frühen Morgen, wenn ich als erster durch die Haustür auf die Straße gehe; oder beim Weg durch die Allee. Nur wenn die Morgensonne günstig steht, sehe ich die langen Fäden oder Gewebe, die in der Nacht kunstvoll zwischen die Äste gelegt wurden. Meist laufe ich blind in sie hinein; fühle mich ertappt oder unangenehm gehalten durch die hauchdünnen Stricke, die die Spinne gelegt hat, ohne mich zu meinen. Ich fahre mir übers Gesicht oder die Arme, um abzustreifen, was nicht mich, sondern andere Lebewesen fesseln sollte.
Die Spinne steht auf der Beliebtheitsskala der Lebewesen ziemlich weit unten. Zu viele Beine, zu viele Augen, zu flink, zu unheimlich für meine geordnete Welt. Dabei ist sie eine Künstlerin, wenn man die Spinnnetze genauer betrachtet. Ihre Gewebe sind nicht nur optische Wunderwerke, auch technische, weil sie stabil und zugleich flexibel sind. Mühelos verankert die Spinne ihr Gewicht an einem Faden. Sie stürzt nicht, sondern bindet sich an die Luft oder irgendeinen Halt, der sie praktisch nie plump zur Erde fallen lässt.
Ein wenig neidisch sind wir auf die Spinnen, weil sie das praktisch machen, was zu den wichtigsten Aufgaben unserer Zeit gehört: Vernetzen.
Gute Netzwerke sind oft wichtiger als solide, aber vereinzelte Arbeit. Fast alle Herausforderungen unserer modernen Zeit werden wir nur im Zusammenspiel der Völker meistern. Das digitale Netz bietet nie dagewesene Möglichkeiten, und ist doch fragil, wenn jemand Böses will. Es ist ein Wunderwerk der Technik und zugleich kann man sich darin verfangen, dass es zur Last oder sogar zur Gefahr wird.
Von der Ambivalenz des Spinnnetzes spricht auch die Bibel. Die Stricke der Frevler, so sagt sie, seien zwar tückisch, haben auf Dauer aber keinen Bestand, so wie das Gewebe einer Spinne. So bekommt die Spinne auch biblisch keine guten Noten. Ich bewundere sie trotzdem. Wenn ihre Netze reißen, knüpft sie neue. Ich vertraue darauf, dass die Beziehungsgeflechte sich erneuern können, auch dann, wenn es Enttäuschungen, Abrisse der Kommunikation oder gar mutwillige Zerstörung des Miteinanders gibt.
Die Spinne fällt nicht. Sie ist gehalten wie von unsichtbarer Hand. Darin ist sie auch Sinnbild für meinen Glauben.