Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN | 18.-24.12.2023

Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche u.a. Stephan Ringeis.

Sonntag, 24.12.2023: Früher war mehr Lametta (von Holger Treutmann)

Holger Treutmann 10 min
Bildrechte: Holger Treutmann
10 min

gesprochen von Pfarrer Holger Treutmann

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio So 24.12.2023 07:45Uhr 09:34 min

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Früher war mehr Lametta. - Loriot hat diesen Satz geprägt. Der Künstler Viktor von Bühlow, der vor wenigen Wochen 100 Jahre alt geworden wäre, hat nicht nur Wum und Wendelin seine Stimme geliehen, er hat auch Alltagsszenen karikiert, die unserer Wirklichkeit ein Licht aufsetzen, bis heute. So lässt er Opa Hoppenstedt am Heiligen Abend in der Kleinstfamilie der späten 70er Jahre immer wieder unvermittelt diesen Satz sagen: Früher war mehr Lametta.

Tatsächlich ist es ja so, dass der Heilige Abend oft eine eigene Dramaturgie hat. Der Heilige Morgen ist in diesem Jahr der 4. Advent. Und da kann es sein, dass die sonst üblichen Abläufe jäh unterbrochen werden. Die Geschäfte sind zu. Letzte Einkäufe und Geschenkenotlagen können kurzfristig nicht mehr behoben werden. Bei einigen steht der Tannenbaum schon lange geschmückt in der Wohnung, andere legen Wert darauf, dass er erst am Morgen des Heiligen Abends angeputzt wird. Und wenn das ein Sonntag ist?

Das Charmante des 24. Dezembers ist ja, dass er sonst immer so unmittelbar aus dem Alltag heraus ins gefühlt höchste Fest des Jahres stolpert. Es entspricht der biblischen Erzählung so gut. Morgens noch unterwegs, auf der Suche nach einer Unterkunft im Gewühl der Stadt, dann notdürftig in den Stall oder in einen Unterschlupf. Die Mulde der Futterkrippe als erstes Bettchen für den Neuankömmling vom Himmel. Und plötzlich ist Weihnachten und du weißt nicht wie.

Früher war mehr Lametta. Wer kennt es eigentlich noch? Es war nicht einfach in Streifen geschnittene Alufolie. Sie hätte wohl zu wenig Eigengewicht um an den Zweigen des Nadelbaums in langen silbrigen Strähnen herabzuhängen. Lametta war bleihaltig und kam deshalb in Verruf. Allerdings gibt es bis heute aus meiner Sicht keine gleichwertige Alternative, die das Typische des Lamettas ersetzen könnte. Zusammen mit dem Grün der Tannenzweige, dem Licht der Kerzen und den farbigen Kugeln sorgt Lametta für einen Glanz am Baum, der die schlichte Fichte über den Alltag hinaushebt. Dabei ist viel nicht unbedingt mehr. Ich erinnere mich, wie mein Vater immer wieder mahnte, Lametta nur in einzelnen Streifen behutsam über die Zweige zu legen, wenn wir Kinder – auch um schneller fertig zu werden – die Silberstreifen gar zu großzügig und mit freier Hand über den Baum verteilten.

Früher war mehr Lametta. Dieser Satz konnte wohl nur deshalb zum geflügelten Wort werden, weil er uns aus der Seele spricht. Er bringt eine Sehnsucht zum Ausdruck, die sich bis heute nicht ganz gelegt hat, egal wie alt ein Tannenbaumdekorateur inzwischen geworden ist. Auch wenn der Baum am Heiligabendmorgen mit Nüchternheit und einer gewissen Routine aufgestellt wird, rütteln die gewohnten Kugeln und Strohsterne, die Kerzen oder die Beleuchtungsgirlande ein wenig an der Seele. Wie war das Jahr? Was hat es gebracht? Und wie wird es weitergehen? Wo findet sich ein wenig Himmelsglanz auch in meinem Wohnzimmer oder besser noch in meinem Leben? Die Vergangenheit hat es gegenüber Zukunft und Gegenwart einfacher, verklärt zu werden. Die Kindertage erscheinen als die Zeiten, in denen die Hoffnung noch frisch war und damit kraftvoller ins Leben hineinragen konnte. Die wiederum schrecklichen Ereignisse dieses Jahres möchten einem den Mut nehmen. Sie sind emotional stärker als das, was gelungen ist; stärker auch als das, was wie selbstverständlich auch dieses Jahr wieder komfortabel und gut war. Mehr Lametta?

Politische Korrektheit ist wenig attraktiv und kommt oft so blutleer daher, obwohl der Verstand weiß,  dass ein umweltfreundlicher Baum im Zimmer besser ist, als einer, der im Sondermüll entsorgt werden müsste. Nein, Lametta fehlt nicht wirklich, der Glanz des Lebens aber manchmal schon.

Früher war mehr Lametta. Die Hoffnung war matt geworden im alten Israel. Fremdherrschaft, wenig Glanz, kaum Gloria, auch Gotteslob nur noch verhalten. Die Verhältnisse waren nicht danach. Da schreibt der Prophet Jesaja im Namen Gottes:

Um Zions willen will ich nicht schweigen,
und um Jerusalems willen will ich nicht innehalten,
bis seine Gerechtigkeit aufgehe wie ein Glanz,
und sein Heil brenne wie eine Fackel.
(Jes. 62)

Und dann wird Jerusalem beschenkt wie eine Geliebte. Gott als König trägt sie wie eine Krone auf seinem Kopf und bringt sie zu Ehren. Sie ist ein Goldreif in seiner Hand. Da ist Lust und Freude, lebendiges Miteinander, wie zwischen Bräutigam und Braut. Das Leben strahlt. Wie ist das, wenn einer da ist, der für mich eintritt?

Ich denke an die Menschen, die Plakate hochhalten mit den Gesichtern ihrer Angehörigen, die als Geiseln immer noch in der Gewalt der Hamas sind. Sie wollen und werden nicht schweigen, sie werden sich selbst nicht Einhalt gebieten.Wie auch immer der dramatische Kampf im Nahen Osten ausgeht; gut, wenn es Menschen gibt, die keine Ruhe geben werden, solange bis das Ganze einen guten Ausgang nimmt. Wie ist das, wenn einer kein Land mehr sieht in der Schule oder im Beruf? Wenn er beginnt, sich selbst abzuschreiben; Sich einzuordnen in das Schicksal, das ihm zugedacht zu sein scheint. Verliererstraße, mittlere Schublade, zum Glück nicht ganz unten. Und einer sagt: Du kannst viel mehr. Und er findet die Begabung, die noch nicht zum Zuge kommen konnte; Und er löst die Blockade, die ihn immer wieder behindert, ganz Mensch zu sein; Und er findet das Umfeld, wo genau das gebraucht wird, was er geben kann. Und das eigene Licht kann leuchten, das schon längst in ihn gelegt ist. Und wie ist das, wenn eine Enttäuschung dich hat stumpf werden lassen. Lieber Leben ohne Glanz in Einsamkeit als nochmal so verletzt werden, wenn du dich wieder ganz hingibst in Liebe. Und dann machst du die Erfahrung, dass jemand dranbleibt für dich und an dir. Einer, der ein gutes Gespür dafür hat, wie viele Nähe und Abstand du brauchst. Einer, der will, dass es dir gut geht und sich nicht schrecken lässt von deiner Vorsicht und dem heimlichen Misstrauen. Der deine Angst umhüllt und sagt: Du bist gut so. Ich bin da, wenn du willst. Lametta für die Seele. Glitzer fürs Herz. Silberglanz am Horizont wie die Girlanden am Weihnachtsbaum.

Früher war mehr Lametta. Der alte Hoppenstedt schleudert diesen Satz in seniler Schonungslosigkeit wie einen Protest in die verkorkste Weihnachtsidylle. Er gibt damit einer Sehnsucht Raum, die ihr gutes Recht hat.  Der Sehnsucht nach Heil und Heilung; der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Glück; der Sehnsucht nach Liebe und Leben. Ich glaube, ein Tannenbaum ist dann gut geschmückt, wenn zumindest eine Spur von dieser Sehnsucht in uns ist, dann wenn wir den Baum ins Wohnzimmer pflanzen, die Zweige behängen und die Lichter am Baum leuchten lassen.

Der Tannenbaum ist ja das Symbol für den Lebensbaum aus dem verloren gegangenen Paradies. Die roten Äpfel oder die Kugeln an der Tanne als Erinnerung an die Tiefe der Erkenntnis und den Reichtum des Lebens. Das Grün als Zeichen der Beständigkeit und Treue Gottes in seinen Verheißungen. Und die Lichter und der Glanz als Sinnbild für die Herrlichkeit Gottes im ewigen Licht seiner Wahrheit.

Die Sehnsucht danach soll niemand verächtlich machen. Nelly Sachs hat das in einem Weihnachtsgedicht treffend zum Ausdruck gebracht:

Alles beginnt mit der Sehnsucht,
immer ist im Herzen Raum für mehr;
für Schöneres, für Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille,
nach Freundschaft und Liebe.

Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf.

Fing nicht auch deine Menschwerdung, Gott,
mit Sehnsucht nach dem Menschen an?

So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen,
Dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
Dich gefunden zu haben.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten 4. Advent und einen glanzvollen Heiligen Abend.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

Kurzbiografie Holger Treutmann

Holger Treutmann

1963 in Springe bei Hannover geboren | verheiratet | 2 Kinder | Studium in Bethel, Göttingen, Berlin | 1989 1. Theologisches Examen in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover | 1989-1993 Pharmareferent bei Astra-Chemicals Wedel/Hamburg | 1993-1995 Vikariat in Bröckel bei Celle | 1995 2. Theologisches Examen in der Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover | 1995 Wechsel in die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen | 1995-1999 Pfarrer in Eibenberg-Kemtau und Chemnitz-Reichenhain | 1999-2005 Pfarrer in St.-Pauli-Kreuz-Gemeinde Chemnitz | 2006 - Januar 2016 Pfarrer der Frauenkirche in Dresden | Ehrenamtlicher Mitarbeiter der Notfallseelsorge Dresden | seit Februar 2016 Senderbeauftragter der Ev. Kirchen beim MDR und Rundfunkbeauftragter der Ev.-Lutherischen Landeskirche Sachsens

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Stephan Ringeis

Stephan Ringeis

geb. 18.09.1962 in Jena | aufgewachsen in Berlin | Studium der Theologie am Theologischen Seminar der Evangelisch-methodistischen Kirche in Bad Klosterlausnitz von 1982 bis 1987 | Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Neudorf/Erzgebirge 1987 bis 1990 | Pastor in Wilkau-Haßlau 1990 bis 1997 | Pastor in Zwickau von 1997 bis 2009 | Superintendent des Distrikts Zwickau der Evangelisch-methodistischen Kirche 2009 bis 2019 | Pastor im Interimsdienst (Geistliche Begleitung von Gemeinden in Übergangssituationen) | verheiratet | drei Kinder

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.