Dienstag, 30.05.2023: Spiegel
Morgens vor dem Spiegel. Fältchen um die Augen. Das Gesicht noch ein wenig verquollen. Zahnpasta im Mundwinkel. "Ich kenn dich zwar nicht, aber ich wasche dich trotzdem." Viele gehen zu kritisch mit ihrem Äußeren ins Gericht. Denn wer sieht schon perfekt aus? Außerdem sollten wir unserem spiegelverkehrten Bild nicht zu sehr trauen. Lange waren Spiegel nur polierte Metallflächen. Das Ergebnis war ein ziemlich verzerrtes Bild desjenigen, der gespiegelt wurde. Erst seit 500 Jahren werden zarte Glasplatten dünn mit Metall beschichtet und ergeben eine fast perfekte Spiegelung. Jeder einzelne Mensch mit seinem eigenen individuellen Gesicht wird damit erstmals wichtig.
Die Bibel erzählt, dass Gott jeden Menschen zu seinem Bilde geschaffen hat. Gott hat ein Bild von uns, und wir sind Bilder Gottes. Daraus folgt ein unveräußerlicher Wert, die individuelle Würde eines jeden. Das wurde und wird nicht immer jedem zugestanden. Deshalb ist es einerseits gut, sich wichtig zu nehmen.
Aber es ist auch anstrengend, sich wichtig zu nehmen. Nicht nur für alle anderen, auch für einen selbst. Dann scheint es ein Muss zu sein, sich oft zu spiegeln. In der Schaufensterscheibe, im eigenen Smartphone, morgens im Bad. Kritischer Blick. Strenges Vergleichen.
Aber in dem Bild, das Gott von uns hat, schaut er uns gnädig an. Mit unseren Falten. Unserer Unperfektheit. Mich entlastet das. Deshalb will ich das auch versuchen. Gnädiger auf andere und auf mich selbst schauen. Klar hätte der liebe Gott uns die Falten auch an die Fußsohlen anstatt ins Gesicht machen können. Doch morgen früh will ich daran denken: Ohne Falten im Gesicht hätte ich nicht gelebt.