Freitag, 28.06.2024: Beten lernen
Wenn mir früher ein erwachsener Mensch begegnet ist, der völlig allein auf der Straße unterwegs war und dabei intensiv in ein Gespräch vertieft schien, oder der gänzlich allein in einem Bistro am Tisch saß und dabei vor sich hinredete, dann hätte ich vermutlich verstohlen den Kopf geschüttelt: Seltsam. Und: Der hat bestimmt eine Schraube locker.
Ja, das hätte ich gedacht. Heute hingegen weiß ich: Doch nicht seltsam. Vielmehr: Freisprech-Einrichtung am Handy und Knopf im Ohr! Ja, telefonieren können wir inzwischen überall. Da fällt uns das Sprechen leicht.
Um das gute alte Zwiegespräch mit Gott hingegen scheint es schlechter bestellt.
Das Gebet wirkt mitunter völlig aus der Zeit gefallen. Dabei: Wenn ich mir die Krisen unserer Zeit so anschaue und an das Sprichwort denke, dass "Not das Beten lehrt": Eigentlich müssten wir doch alle Experten auf diesem Gebiet sein.
Morgens ein kurzes Gebet sprechen und um den Segen Gottes für den neuen Tag bitten. Was erwartet mich? Worauf freue ich mich? Was macht mir Sorge und wobei könnte ich heute etwas Beistand brauchen? Dann: Vielleicht vor einer Mahlzeit Gott mit ein paar Worten danken. Und abends Resümee ziehen: Was ist mir schwergefallen? Wo habe ich anderen gegenüber Schuld auf mich geladen? Wofür darf ich heute dankbar sein? Und den vergangenen Tag so in Gottes gute Hand legen und beruhigt einschlafen.
Und: Beten kann ich auch für andere. Mir jedenfalls hat es oft geholfen zu wissen: Jemand betet für mich. Ein kluger Ordensmann hat dieses Beten einmal als "gut an jemanden denken" bezeichnet. Mancher mag da vielleicht an positive Energie-Übertragungen denken.
Meine Meinung jedenfalls: Es ist wie bei so vielem, wir müssen es schon selbst ausprobieren. Ob es klappt? Dazu hatte der aus Kamenz stammende Dichter Gotthold Ephraim Lessing sinngemäß eine einfache Meinung: Wenn jemand gerne beten möchte, gilt das im Himmel bereits als Beten.