Montag, 30.09.2024: Postkartenfreuden
Seit meinen Kindertagen weiß ich: im Winter ist es an der Ostsee wunderschön!
Mit vielen anderen Kindern tobten wir bei den Religiösen Kinderwochen meiner Kirchengemeinde bei klarem Sonnenschein und Eiseskälte über den Zinnowitzer Ostseestrand. Das war herrlich.
Es gab Pfefferminztee und Butterkekse, mindestens einmal Nudeln mit Gulasch und Freitag immer Fisch. In riesigen Abwaschbecken konnten zwei Personen gleichzeitig abwaschen. Ich habe das Klappern von über 50 Tellern, Tassen, Gabeln und Messern noch immer im Ohr.
In den Kiefernwäldern haben wir Baumhütten gebaut. Der Geruch des winterkalten Ostseewaldes nach Nadeln, Baumharz, Erde und Salzluft steckt mir immer noch in der Nase.
Es gab stundenlange Strandwanderungen mit Blick auf das aufgetürmte, bizarr geformte Packeis der Ostsee. Auf den Eisschollen zu klettern war uns Kindern zwar strengstens verboten, aber irgendwie gelang es dem Hosenbein dann doch nass zu werde.
Am Ende der Wege wurde das übergebliebene Brot der letzten Tage zum stärkenden Snack. Nie wieder hat Brot so lecker geschmeckt.
Die Tage endeten mit vorgelesenen Geschichten. Ganze Bücher wurden zu live intonierten Hörbüchern. Wir Kinder kämpften gegen die Müdigkeit. Die Neugier auf das Gelesene war groß, das gedimmte Licht allerdings nicht sehr hilfreich beim Ringen mit den Müdlingen.
Beim Lesen wurden die Erwachsenen immer monotoner und leiser. Dass das ziemlich clever war, um uns aufgekratzte Bande geschickt ins Reich der Träume zu geleiten, verstand ich erst später.
Die mir schönsten Momente waren die, wenn ab Mittwoch die Post verteilt wurde. Unsere Eltern und Familien hatten unserer Adresse bekommen und wurden zum Senden heimatlicher Grüße aufgefordert. Postkarten und Briefe, manchmal sogar Päckchen mit Süßigkeiten brachten unsere Kinderaugen zum Strahlen.
Heute, denke ich, war das der cleverste Schachzug unserer Seelsorgerinnen. Unsere Familien zu Hause wurden zum sendenden Herz wärmender, Seele streichelnder froher Botschaften. Das griechische Wort für eine frohe Botschaft ist Evangelium. Die eigenen Eltern wurden zu Verfassern kleiner Evangelien.
Ganz oft endeten ihre Briefe mit: "Meine Liebe ist mit dir, deine Eltern."
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