Montag, 01.07.2024: Rainers Vorbild
Der Weg durch die Siedlung zum Fußballplatz ist immer noch der gleiche. Als Kind bin ich ihn oft gegangen, um Freunde zu treffen. Ein Fußballplatz im Originalmaß mit großen Toren, die Pfosten zwar noch aus Holz, aber mit einem richtigen Netz, das rauschte, wenn ein kräftiger Schuss sich darin verfing.
Eigentlich war der Platz für uns verschlossen, aber es gab ein Loch im Zaun, das leicht zu passieren war, und es gab wenige, die sich dafür interessierten, ob Unberechtigte dort kickten.
Ab und zu war Rainer schon da. Ganz allein trainierte er am gegenüberliegenden Tor. Rainer war deutlich älter als ich. Er konnte mit vielen Kontakten den Ball in der Luft halten, behandelte das Spielgerät wie ein rohes Ei, aber wenn er abzog, zischte das Leder durch die Luft. Manchmal krachte es am Pfosten.
Rainer war mein Vorbild. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, Rainer einmal anzusprechen. Ich wusste, er wartete auf Jens und Klaus und weitere fast erwachsene Mitspieler. Dennoch sah ich Rainer gern zu. Er war für mich wie ein Abbild von Franz Beckenbauer. Es sah elegant aus und souverän. Vielleicht hatte er sich vieles auch von ihm abgeguckt. Und ich selbst ertappte mich dabei, es ihm nachzutun - nicht in seiner Gegenwart, aber dann, wenn ich allein übte.
Wie ist das mit guten Vorbildern? Sind sie entbehrlich, oder prägen sie einen nicht mehr als man sich eingestehen mag? Heute gibt es Trainer, Coaches und Berater für fast jeden Lebensbereich. Sie bleiben neutral. Vorbilder sind anders. Sie entzünden ein Feuer, eine Leidenschaft, manchmal ohne es zu wissen.
Viele beklagen sich über Bevormundung durch die Medien, die Politik, ökologische Aktionsgruppen, die Kirche. Vorbilder fordern nichts. Sie gibt es einfach, und ich entscheide mehr oder weniger bewusst, wen ich mir zum Vorbild nehme.
Herzlich, sanftmütig, demütig, freundlich. Die Bibel vermittelt Lebenshaltungen, die segensreich sind. Man könnte sie einfordern. Man kann sie aber auch einfach leben. Das ist am überzeugendsten. Vielleicht nimmt sie sich jemand zum Vorbild. Könnte sein, so verändert sich die Welt und dreht sich ein klein wenig Richtung Himmelreich. Wir merken es nicht - so wenig wie die Drehung unserer Erde. Und sie bewegt sich doch!
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